Wenn perfekt in Szene gesetzter Weitwinkelpop auf das Bekenntnis zur eigenen Unzulänglichkeit trifft: Sam Smith macht auf seinem neuen Album „Gloria“, das an diesem Freitag erscheint, alles richtig. Und Ed Sheeran kommt auch vor.
Ein R-’n’-B-Groove schmiegt sich behutsam an sanfte Gospelharmonien, der Autotune-Regler dreht sich dezent nach rechts, und Sam Smith singt davon, wie schwer es manchmal ist, das eigene Spiegelbild zu ertragen oder sicht nicht zu hassen, und wie wichtig es ist zu lernen, sich selbst ein bisschen mehr zu lieben.
Schwächen schmücken
„Gloria“, das neue Album des britischen Sängers und Songwriters Sam Smith, beginnt mit einem Glaubensbekenntnis namens „Love me more“, das der Platte das Thema vorgibt. In allen 13 Songs geht es letztlich darum, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist. Zum Beispiel in „Perfect“, in dem sich Smith im Duett mit Jessie Reyez mal wieder zur eigenen Unvollkommenheit bekennt, darin aber eine Stärke entdeckt: „I wear my flaws like jewelry“ – Meine Schwächen trage ich wie Schmuck. Dieses Thema beschäftigt Smith auch im souligen „No God“, in der Ballade „How to cry“, in der der vierfache Grammy-Gewinner zur Akustikgitarre sein Herz ausschüttet, oder in der Nummer „I’m not here to make Friends“, durch die sich verführerisch ein Siebziger-Jahre-Discobeat schlängelt und die mit einem RuPaul-Zitat beginnt: „ If you can’t love yourself, how in the Hell you gonna love somebody else?“ – Wie, zur Hölle, willst du jemand anderen lieben, wenn du nicht in der Lage bist, dich selbst zu lieben?
Emotionale, sexuelle und spirituelle Befreiung
Obwohl Smith, dem 2014 mit seinem Debüt „In the lonely Hour“ gleich der Durchbruch gelang, schon immer eine große Offenheit in seinen Liedern zur Schau gestellt hat, wirken die Stücke auf „Gloria“ noch etwas intimer, persönlicher. „Ich empfinde das als eine emotionale, sexuelle und spirituelle Befreiung“, sagt Smith selbst, „seltsamerweise fühlt sich dieses Album so an, als ob es mein erstes wäre, als ob ich jetzt endlich erwachsen werde.“
Auf seinem vierten Album thematisiert der nun 30-Jährige zwar immer wieder die eigene Unvollkommenheit, verpackt die eigenen Unzulänglichkeiten aber in perfekte Popinszenierungen. Zum Beispiel im störrischen R-’n’-B-Track „Unholy“, der ihm gerade eine weitere Grammy-Nominierung eingebracht hat und bei dem er im Duett mit der in Los Angeles lebenden deutschen Sängerin Kim Petras zu hören ist.
Dancetracks, Chorale und Ed Sheeran
Es ist immer wieder betörend mitzuerleben, wie wandelbar die Stimme des Briten ist, die oft einen femininen Ton hat und mal nach Adele, mal nach Whitney Houston klingt. Doch genauso erstaunlich ist, wie vielfältig die musikalischen Richtungen sind, in die sich dieses Album bewegt.
Auf „Gloria“ lässt sich Sam Smith auf nichts festlegen, zeigt auch stilistisch seine Vorliebe für Diversität. Als clever-großartiger Dancetrack erweist sich beispielsweise „Gimme“, bei dem er erneut mit Jessie Reyez, aber auch mit dem jamaikanischen Reggae-Star Koffee gemeinsame Sache macht – und damit nicht nur die Social-Media-Plattform Tiktok im Sturm erobert hat.
Die Perfektion des Unperfekten
In „Lose you“ nimmt er sich den Elektropop aus den 1980ern vor. Hinter dem Titelsong „Gloria“ verbirgt sich tatsächlich ein vielstimmiger Choral. Und am Ende des Albums erwartet einen noch die grandiose Gänsehautballade „Who we love“, bei der er sich mit Ed Sheeran das Mikrofon teilt. So perfekt kann das Unperfekte klingen.
Sam Smith: Gloria (Capitol/Universal) erscheint am Freitag, 27. Januar.
Sam Smith kommt im Mai für zwei Konzerte nach Deutschland: Am 1. Mai tritt er in der Mercedes-Benz-Arena in Berlin auf, am 8. Mai in der Lanxess-Arena in Köln.