Die allgegenwärtige Angst verbindet: Auf ihrer Flucht vor den Nazis wachsen Papa Arthur (Oliver Masucci), Foto: Warner Bros. - Warner Bros.

Mit ihrem Jugendroman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ hat die Schriftstellerin Judith Kerr versucht, Kindern zu vermitteln, was Nationalsozialismus und Holocaust für die Menschen bedeutet hat und wie es sich anfühlte, alles hinter sich lassen zu müssen, um das nackte Leben zu retten. Nun hat die Regisseurin Caroline Link diesen Klassiker neu verfilmt.

EsslingenWie soll man jungen Menschen etwas erklären, das man selbst nicht begreifen kann? Mit ihrem Jugendroman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ hat die Schriftstellerin Judith Kerr versucht, Kindern zu vermitteln, was Nationalsozialismus und Holocaust für die Menschen bedeutet hat und wie es sich anfühlte, alles hinter sich lassen zu müssen, um das nackte Leben zu retten. Judith Kerrs Buch ist zur Pflichtlektüre in vielen Schulen geworden. Bislang gab es nur eine Fernsehverfilmung – nun hat Caroline Link Kerrs Buch auf die Leinwand gebracht. Dass der Film zum Abschluss des Kinojahres ein Ausrufezeichen setzt, ist nicht zuletzt der jungen Hauptdarstellerin Riva Krymalowski zu verdanken, die in ihrem Kinodebüt selbst feinste Zwischentöne prima trifft.

Das Leben der neunjährigen Anna (Riva Krymalowski) war bislang wohl geordnet und harmonisch. Mit ihrem Vater Arthur (Oliver Masucci), Mutter Dorothea (Carla Juri), ihrem Bruder Max (Marinus Hohmann) und Haushälterin Heimpi (Ursula Werner) lebt sie in einem noblen Haus in Berlin – ein unbeschwertes Kind wie jedes andere. Als die Nazis 1933 die Macht übernehmen, ist nichts mehr, wie es war. Arthur gehörte zu den profiliertesten Publizisten der Weimarer Republik – und so, wie er als Kulturkritiker nie ein Blatt vor den Mund genommen hatte, sagt er auch Hitler unverblümt die Meinung. Da er den Nazis als Jude ohnehin ein Dorn im Auge ist, wird die Lage immer bedrohlicher und er muss sich in der Schweiz in Sicherheit bringen. Dorthin folgt ihm seine Familie – nur Heimpi bleibt zurück. Und mit ihr der ganze Besitz der Familie. Anna darf nur ein paar Kleider, zwei Bücher und ein Spielzeug in ihren kleinen Koffer packen. Damit ihr Teddy nicht traurig ist, nimmt sie ihn mit und lässt ihr geliebtes rosa Kaninchen zurück in der kindlichen Hoffnung, „dass Hitler gut zu ihm ist“.

Der Abschied aus Berlin fällt Anna schwer, als Flüchtlingskind wird sie in der Schweiz nicht von allen mit offenen Armen empfangen, trotzdem lebt sie sich rasch in der neuen Umgebung ein. Doch auch dort kann die Familie nicht lange bleiben, weil sich die Schweizer mit den deutschen Nachbarn nicht anlegen wollen und Arthurs kritische Texte nicht mehr veröffentlichen. So muss die Familie erneut ihre Koffer packen und nach Paris weiterreisen, wo Anna, ihr Bruder und ihre Eltern in bescheidenen Verhältnissen einen weiteren Neubeginn wagen müssen. Diesmal ist alles noch viel schwieriger, weil Anna nicht mal die Sprache ihrer neuen Umgebung beherrscht ...

Judith Kerrs Roman ist auch deshalb so authentisch und fesselnd, weil die Autorin als Tochter des renommierten Kulturkritikers und Publizisten Alfred Kerr all das, was sie die kleine Anna erleben lässt, in jungen Jahren selbst erlebt hat. „Ich wollte Kinder damit vertraut machen, wie das mit Hitler zuging“, hat die Autorin vor Jahren in einem Interview erzählt. „Niemand hatte es bis dahin so richtig versucht, ich meine in Form einer erzählten Familiengeschichte von Flucht und Exil. Da uns (...) nichts Schreckliches passiert war, was sich etwa mit Anne Frank vergleichen ließ, wurde die Geschichte für Kinder vielleicht zugänglicher.“ Genau so, wie es Judith Kerr im Buch gelingt, die Geschichte der kleinen Anna in leichtem Ton und dennoch in der gebotenen Ernsthaftigkeit zu erzählen, schlägt auch Caroline Links Verfilmung einen Ton an, der es Kindern erlaubt, sich tiefschürfend und intensiv mit den Folgen von Intoleranz, Hass und der Verfolgung Andersdenkender auseinanderzusetzen, ohne vom ganzen Ausmaß der nationalsozialistischen Grausamkeit niedergedrückt zu werden.

Caroline Link hat Judith Kerrs Klassiker „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ einfühlsam, berührend und mit feinsinnigem Humor verfilmt. Mit der jungen Riva Krymalowski fand sie eine Hauptdarstellerin, die einer zu Herzen gehenden Geschichte die bleierne Schwere nimmt, ohne ihr die Ernsthaftigkeit zu rauben.