Verteidigungsminister Pistorius hat sein Konzept für einen neuen Wehrdienst vorgestellt. Von einer Pflicht ist nun keine Rede mehr – vorerst. Doch schon jetzt macht der Minister klar: Ginge es nach ihm, könnte da noch mehr kommen.
Der Verteidigungsminister ist überpünktlich. Fünf Minuten vor Beginn der Pressekonferenz sitzt Boris Pistorius (SPD) auf seinem Platz. Er stellt ein Projekt vor, das gehörige Verspätung hat: seinen Vorschlag zum Wehrdienst. Der war eigentlich schon für April angekündigt, dann verstrich auch der Mai. Nun also ein Mittwoch im Juni. Trotz vieler Spekulationen stellte Pistorius keine Wehrpflicht vor. Es wird keine Pflicht zum Dienst geben. Doch der Wehrdienst soll reformiert werden. Der Kern von Pistorius‘ Vorschlag sieht so aus: Wenn Frauen und Männer das 18. Lebensjahr erreichen, sollen sie einen digitalen Fragebogen zugeschickt bekommen. Männer müssen diesen ausfüllen, Frauen dürfen es. Gefragt wird nach Sportlichkeit, Interessen, besonderen Kenntnissen – und der Bereitschaft, Wehrdienst zu leisten.
Je nach Antwort wählt die Bundeswehr aus, wen sie zur Musterung einlädt. „Es sollen diejenigen ausgewählt werden, die am fittesten und geeignetsten sind“, sagte der Minister. Die Musterung ist für die Männer dann Pflicht. Ob danach ein Wehrdienst folgt, entscheidet jeder freiwillig. Der Dienst dauert zwischen sechs und 23 Monaten. Pistorius versprach: „Wir wollen keinen langweiligen, sinnentleerten Wehrdienst, sondern einen sinnstiftenden, mit Qualifikation versehenen Wehrdienst.“
Pistorius begründete diese Neuordnung des Wehrdienstes mit der Sicherheitslage: „Russland produziert Kriegsgerät auf Vorrat“, sagte er. Nach Einschätzung aller internationalen Experten könne Russland ab 2029 in der Lage sein, ein Nato-Land anzugreifen. Das müsse man durch Abschreckung verhindern.
Ziel des neuen Wehrdienstes sei es, die Zahl der Reservisten zu erhöhen, sagte Pistorius weiter. Sie könnten damit im Ernstfall schnell Aufgaben in den Streitkräften übernehmen. Man hofft, die bisher jährliche Zahl von 10 000 freiwillig Dienstleistenden auf 15 000 zu erhöhen. Diese Zahl soll in Zukunft weiter steigen.
Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), begrüßte Pistorius‘ Konzept: „Das neue Wehrdienstmodell ist ein guter Vorschlag des Verteidigungsministers und verdient eine breite Unterstützung.“ Aus den Reihen von FDP und Grünen gab es verhaltenes Lob. Die Union zeigte sich enttäuscht. Der verteidigungspolitische Sprecher Florian Hahn (CSU) sagte, dass er weitergehende Pläne erwartet habe. Pistorius habe ein Konzept für einen Pflichtdienst angekündigt: „Neun Monate später ist ein verbesserter Freiwilligendienst übrig geblieben.“
Klar dürfte sein, dass dieses Modell weniger ist, als sich Pistorius vorgestellt hatte. Der Minister selbst hatte stets das „schwedische Modell“ der Wehrpflicht als seinen Favoriten genannt. Diesem liegt ein ähnliches Verfahren zugrunde, wie dem, das er nun vorgeschlagen hat – bis auf einen entscheidenden Unterschied: Wenn sich nicht genügend Freiwillige melden, können in Schweden auch junge Menschen zum Dienst verpflichtet werden.
Doch Grüne, FDP, aber auch Teile der SPD hatten deutlich gemacht, dass sie einem solchen Wehrdienst mit verpflichtendem Charakter nicht zustimmen würden. Der Bundeskanzler und SPD-Parteifreund Olaf Scholz war ebenfalls skeptisch. Der nun vorgelegte Entwurf dürfte eben das sein, was in dieser Koalition umsetzbar ist – mit der Option auf mehr. „Wir müssen den Einstieg schaffen, es schließt aber auch nichts aus“, sagte Pistorius mit Blick auf die Zukunft.
Er kündigte an, dass der nun vorgelegte Vorschlag aber noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden solle. Bis zum ersten Halbjahr 2025 soll das Gesetz verabschiedet werden, und noch im selben Jahr sollen die ersten Soldaten den neuen Wehrdienst ableisten. Eine Grundgesetzänderung sei dafür nicht notwendig. Es müssten laut Pistorius lediglich Wehrpflichtgesetz und das Soldatengesetz geändert werden. Das wäre schon mit der Koalitionsmehrheit möglich. Danach gefragt, ob er die Unterstützung des Kanzlers und der Koalitionspartner habe, sagte Pistorius: „Ich habe alle Signale dafür, die ich brauche.“