Die Möglichkeit der Briefwahl nutzen Jahr für Jahr mehr Menschen. Dennoch sind auch bei dieser Bundestagswahl wieder viele Bürger im Kreis Esslingen vor Ort erschienen, um den Stimmzettel selbst in die Urne zu werfen. Eindrücke vom Wahlsonntag auf dem Zollberg.
„Mama und Papa gehen wählen und wir spielen draußen“, sagt ein Mädchen, das mit seinen zwei kleineren Brüdern um einen Baum auf dem Hof der Zollberg-Realschule hüpft. In der dortigen Mensa befindet sich eines der Esslinger Wahllokale. An diesem Sonntagmorgen zwischen 9 und 10 Uhr kann nicht von einem Andrang gesprochen werden. Zwischenzeitlich müssen einzelne Wählerinnen und Wähler aber doch mal kurz warten, bevor sie in der Wahlkabine ihre zwei Kreuze setzen. Viele kommen nicht allein, sondern wie die Eltern der drei Kinder mit der Familie oder mit Freunden. Für sie ist es ein Ritual, vor Ort ihre Stimme abzugeben.
Beispielsweise für Özgür Can (43), der seinen elfjährigen Sohn Levin ins Wahllokal mitgenommen hat. Er gehe gerne vor Ort wählen, weil er es entscheidend finde, seinen Kindern zu demonstrieren, dass die Wahl wichtig sei. „Und ihnen den Wahlgang an sich näher zu bringen“, sagt Can. Gegen die Briefwahl habe er sich auch deswegen entschieden, weil aufgrund des vorgezogenen Wahltermins unsicher gewesen sei, ob die Stimmen rechtzeitig ankommen.
Viele finden es aber auch einfach praktischer, nicht vorab den Wahlschein beantragen zu müssen und einfach ins Wahllokal um die Ecke zu gehen. Das schildert beispielsweise Hisir Hidir. Der 61-Jährige empfindet die Wahl als ein wichtiges Mittel der Mitbestimmung. „Überall hört man die Leute jammern über die Zustände. Ich sage immer: Jammert nicht nur, sondern geht wählen.“
Wahlvorgang wird bewusster in der Wahlkabine
Lisa Schönamsgruber schätzt die Möglichkeit der Briefwahl. „Aber wenn ich weiß, dass ich da bin, finde ich es ein schönes Ritual, vor Ort zu wählen.“ Das mache den Vorgang noch einmal bewusster, wenn man hingehe und im letzten Moment in der Wahlkabine noch mal durchatme, bevor man sein Kreuz setze. Der 72-Jährigen ist es wichtig, dass Parteien links der Mitte im Bundestag vertreten sind. Sie habe ihre Stimme abgegeben, auch wenn sie wisse, dass die Partei ihrer Wahl wohl nicht an einer Regierung beteiligt werde.
Für Selina Maier (34) fühlt sich die Stimmabgabe vor Ort etwas mehr nach Wahl an als per Brief. Sie ist mit ihrer Familie und Freunden zum Urnengang aufgebrochen. Trotz des verkürzten Wahlkampfes ist es ihrem Schwiegervater Thomas Maier (59) eigenen Aussagen zufolge nicht schwer gefallen, sich zu informieren und eine Wahl zu treffen. Ähnlich geht es dem Bekannten Nico Bauer (33), der unzufrieden mit der Politik der bisherigen Ampelregierung war. Am Abend wolle man im Fernsehen die Wahlergebnisse erfahren – aber nicht den ganzen Tag fortlaufend die Nachrichten verfolgen. „Das ist ja nicht wie beim Fußball“, scherzt Thomas Maier.
Viele genießen den Sonntag nach dem Urnengang
Für Waldemar Hafner stand nicht von Anfang an fest, was er wählen wollte. Der 32-Jährige, der mit Frau und Kindern ins Wahllokal gekommen ist, sagt: „Ich wähle jedes Mal anders.“ Um sich zu informieren und eine Entscheidung zu treffen, habe er unter anderem den Wahl-O-Mat zurate gezogen. Auch Hafner und seine Frau wollen nicht den ganzen Tag bangend auf die Wahlergebnisse warten und sich fortlaufend informieren. Nachdem das Paar seine Stimme abgegeben hat, will es erst mal den Sonntag in der Familie genießen.
Ähnlich lautet der Plan von Iris (41) und Steffen Springsguth (51) sowie Björn Teuber (51). Die Nachbarn gehen meistens gemeinsam ins Wahllokal. Dass der Wahlkampf diesmal kürzer ausfiel und weniger Diskussionsveranstaltungen mit den Direktkandidaten vor Ort stattfanden, hat die Entscheidungsfindung aus Sicht von Iris Springsguth nicht entscheidend erschwert. „Man kann sich ja über die verschiedenen Medien informieren“, sagt sie. Die Abstimmungsergebnisse wollen die drei am Abend erfahren, voraussichtlich werde ab 18 Uhr das Fernsehgerät eingeschaltet, sagt Steffen Springsguth. Allerdings nicht gemeinsam in der Nachbarschaft, sondern jeweils für sich in der eigenen Wohnung. „Bis dahin ist aber erst mal Entspannung angesagt“, meint Björn Teuber.
Auszählung ab 18 Uhr
Um 18 Uhr beginnt für Martina Schober dagegen der herausforderndste Teil des Sonntags. Sie ist Wahlvorsteherin im Wahllokal in der Zollbergrealschule, in dem Wählerinnen und Wähler aus zwei Wahlbezirken ihre Stimmen abgeben. „Ich muss dafür sorgen, dass die Wahlhandlung nach den vorgegebenen Bestimmungen und geheim abläuft“, sagt sie. Schober macht das seit vielen Jahren. In zwei Schichten sind je Bezirk vier Wahlhelfer und -helferinnen eingesetzt. Sie überprüfen die Wahlberechtigungen, geben die Stimmzettel aus und führen das Wählerverzeichnis. Hilfsbedarf der Wahllokalbesucher gebe es nicht viel bei der Bundestagswahl, sagt Schober – es handele sich ja nur um Erst- und Zweitstimme. Am Abend um 18 Uhr kommen dann alle Wahlhelfer wieder zur Stimmauszählung zusammen. Bei dieser stehe Sorgfalt über Schnelligkeit. Denn sollten am Ende nicht alle Zahlen und Häkchen miteinander übereinstimmen, müsse die Auszählung wiederholt werden. Schober selbst hat übrigens aufgrund ihres Einsatzes am Sonntag per Briefwahl gewählt.