Untersuchungen sagen, dass einige Parteien stärker in ländlichen Gebieten punkten, andere wiederum eher in urbaner Umgebung. Lässt sich dies anhand der Ergebnisse der Bundestagswahl im Kreis Esslingen bestätigen?
Nürtingen sticht heraus aus der AfD-Karte: Von den 17 Kommunen, in denen die AfD im Kreis Esslingen bei der Bundestagswahl besonders gut abschnitt und rund 20 Prozent der Stimmen einfuhr, ist Nürtingen die einzige Kommune mit mehr als 40 000 Einwohnern.
Wendlingen mit mehr als 15 000 Einwohnern könnte auch noch als Ausnahme durchgehen. Ansonsten sind die Gemeinden, in denen die AfD im Verhältnis zur Bevölkerung mehr Wähler als anderswo hatte, kleiner als 10 000 Einwohner. Etwa die Hälfte dieser 17 Kommunen haben weniger als 5000 Einwohner. Wird also im Kreis Esslingen auf dem Land eher blau gewählt als in der Stadt?
In ländlichen Gebieten hat die AfD im Kreis Esslingen mehr Erfolg
Gleichzeitig bleibt die AfD in Esslingen, mit knapp 100 000 Einwohnern die größte Stadt im Kreis, unter dem Durchschnitt. Sie gewinnt 13,3 Prozent der Stimmen – landesweit holte sie in Baden-Württemberg fast 20 Prozent. Noch weniger Stimmen holte sie in Leinfelden-Echterdingen (12,8 Prozent). Leinfelden-Echterdingen ist wie Esslingen eine Große Kreisstadt mit rund 40 000 Einwohnern, sehr städtisch, viele Pendler und stark verbunden mit der Landeshauptstadt Stuttgart.
Der Blick auf die Ergebnisse von CDU, Grünen, SPD und Die Linke bestätigen das Bild: Die im Kreis Esslingen überdurchschnittlich gut vertretenen Christdemokraten kommen in Städten wie Esslingen und Plochingen nicht über die 30-Prozent-Marke. An der 40-Prozent-Marke kratzen sie dagegen in Orten wie Owen (rund 3500 Einwohner), Notzingen (3600), Kohlberg (2300), Altdorf (1700). In Neidlingen (1800) überschreiten sie sogar die 40 Prozent. In den genannten Orten kommen CDU und AfD zusammen weit über 50 Prozent der Stimmen, teilweise bis zu 60 Prozent. In Esslingen und Leinfelden-Echterdingen dagegen bleiben sie deutlich unter 50 Prozent.
Umgekehrt sind hier die Grünen besonders stark – sie gelten als klassische Stadtpartei. Simon Richter und Stefanie John schreiben in der Untersuchung „Stadt, Land, Wahlverhalten“ zur Bundestagswahl 2021: „Mit Abstand am stärksten ausgeprägt ist der Stadt-Land-Unterschied für die Grünen. Sie schnitten in den städtischen Wahlkreisen deutlich stärker ab als in den ländlichen.“
Studien sehen Grüne als städtische Partei – das gilt auch für den Kreis Esslingen
Die Studie „Stadt, Land, … Unterschiede?“ aus dem Jahr 2024 von Dominik Hirndorf kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis. „Die Unionsparteien und die AfD erzielen überdurchschnittliche Ergebnisse mit zunehmender Ländlichkeit, während vor allem für die Grünen ein entgegengesetzter Zusammenhang gilt“, heißt es dort.
Bei der SPD findet sich ein vergleichbares Muster wie bei den Grünen: Ihr schlechtestes Ergebnis erzielte sie in dem 2000-Einwohner-Ort Altenriet, ihr bestes in der industriell geprägten 14 600-Einwohner-Stadt Plochingen. Auch in Esslingen und Leinfelden-Echterdingen steht sie relativ gut da mit Ergebnissen über 16 Prozent. Dasselbe bei den Linken, die offenbar ebenfalls zum Lager der städtischen Parteien zählen: Die meisten Stimmen holten sie mit mehr als neun Prozent in Esslingen.
Der Ethnologe Wolfgang Kaschuba erkannte vor acht Jahren gar einen Kulturkampf zwischen Stadt und Land. Der Deutschlandfunk titelte einen Beitrag zu dem Thema etwas martialisch mit „Die Rache der Dörfer“. Dort reflektierte Kaschuba die Perspektive der Städte: „Wir waren bisher der Meinung, dass die Vorstellung einer liberalen, einer offenen Stadtgesellschaft so etwas wie Konsens wäre.“ Und nun sei zu erkennen, dass „die ländlichen Regionen nicht einverstanden sind unter Umständen mit dem Weg, den die Stadtgesellschaften gehen“.