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Ein Geisterspiel vor dem Fernseher: Geht das überhaupt? Im Prinzip schon, aber die Nachbarschaft stellt Fragen.

Stuttgart - Zuschauer gab es schon, als der Fußball noch gar nicht erfunden war. Wer neben der Stadionpostille auch die Bibel liest, weiß, dass Adam und auch der Herr im Himmel zuschauten, als Eva heimlich am Apfel naschte. Es wurden also auch damals schon Spieler getestet, Eintritt wurde aber noch keiner kassiert. Und wenn es stimmt, was der Spaßmacher Mike Krüger vermutet, dann gab es bald darauf schon das erste Fußballspiel: „Gott sprach’ zu Noah. Geh du in den Kasten, ich mach den Sturm!“ Das Stadion war ausverkauft. Es gab nur noch Resttickets. Und wer weiß: Vielleicht meldete Jesus sogar die erste Fußballmannschaft der Menschheitsgeschichte – mit seiner Elf aus Jerusalem.

Die zweite Luft

Jetzt gibt es jedenfalls Geisterspiele, weil ein Virus ins Spiel gekommen ist, von dem niemand so richtig weiß, wer es eingewechselt hat. Und die Zuschauer müssen draußen bleiben, weil zu viel von ihrer Freude in Corona-Zeiten ziemlich ansteckend ist. Aber der Fan ist ein wesentlicher Bestandteil des Geschehens und nicht ohne Grund öfter mal als der zwölfte Mann gefordert. Er ist zuständig für die extrinsische Motivation der Spieler, wie es die Fachleute formulieren. Für die zweite Luft. Oder wie meine Frau sagt, wenn ich den Müll rausbringen soll: „Jetzt beweg endlich deinen Hintern! So oder so: Es ist ein Jammer.

Jubel vor der menschenleeren Kurve

Dortmunds Spieler jubelten nach dem 4:0 gegen die fußlahmen Schalker vor der menschleeren Südkurve. Und wer je den Orkan erlebt hat, der dort normalerweise nach einem Derbysieg tobt, der bekommt eine Ahnung von der Absurdität der Situation. Fußball ohne direkte Beteiligung der Menschen, die ihn am meisten mögen, ist wie Saitenwürstle ohne Senf. Oder wie Augsburgs Trainer Heiko Herrlich ohne Zahnpasta. Da fehlt einfach was.

Gekickt wurde trotzdem. Systemrelevant sind nun mal nicht die Zuschauer, sondern die Kameras der Bezahlsender, die den Sponsoren ihren Mehrwert garantieren und die in Flachpässen geübten Wirtschaftsunternehmen vor dem finanziellen Abstieg bewahren.

Geister-Atmosphäre

Weil langjährige Beobachter des VfB Stuttgart nur dann ohne fußballseelische Schäden überdauern, wenn sie versuchen aus jeder Situation das Beste zu machen, kam mir Madonna in den Sinn und ihre Beschreibung der optimalen maskulinen Romantik: „Er sitzt im Fußballstadion bei Kerzenschein.“ Es ist zugegebenermaßen ungewöhnlich, am helllichten Tag die Rollläden herunterzulassen und Kerzen anzuzünden, es führt auch zu besorgten Nachfragen der Nachbarschaft, immerhin lässt sich aber eine Atmosphäre schaffen, die dem Charakter des Geisterspiels annähernd entspricht.

Denn Geister, so sagt es das Lexikon, gelten als Teile des Menschen, die den Tod überdauern, mit den Hinterbliebenen in Verbindung stehen und Einfluss auf deren Wohlergehen oder Unglück nehmen können. Geister erscheinen meist in schwer zugänglichen Gebieten und treten den Menschen als Schutz- oder Plagegeister gegenüber. Passt!

Und wer sind die Geister?

Nicht klären ließ sich trotz intensiver Recherchen, wer denn nun die Geister sind: Die Fans, die Funktionäre oder die Spieler? Jedenfalls war es ein „historischer Tag“ auf den „die Sportwelt schaut“, wie es Frankfurts Manager Fredi Bobic formulierte. Das Konzept sei für die Liga eine Riesenchance. Er habe unheimlich viele Anrufe von amerikanischen Clubs bekommen.

Rudi, mein Freund, ruft zwar nicht aus Amerika an, aber er geht immer mal wieder Angeln am örtlichen Fischerteich. „Nächstes Mal nehme ich dich mit“, sagt er voller Mitleid. „Ach, Rudi“, sag ich, „lass mal gut sein. Angeln ist langweilig. Und weißt du was noch langweiliger ist?“ Stille in der Leitung. „Dir beim Angeln zuzuschauen.“