Die junge Garde von Borussia Dortmund könnte auch als Boyband antreten. Foto: Imago//Maik Hölter

Borussia Dortmund plant den nächsten Angriff auf den Serienmeister FC Bayern München – mit einer Mannschaft, die als neue, junge Boygroup der Bundesliga durchgehen könnte.

Stuttgart/Dortmund - Borussia Dortmund und seine offiziellen Saisonziele, über diese Kapitel ließen sich womöglich Bücher schreiben. Da gab es in der jüngeren Vergangenheit mal vollmundige Ansagen (Meisterschaft!), mal gab es gar keine, und einmal, vor knapp eineinhalb Jahren, da hakte der damalige und heutige Trainer Lucien Favre nach einer schlimmen Derbyniederlage gegen den FC Schalke 04 die Meisterschaft ab: drei Spieltage vor Schluss, bei zwei Punkten Rückstand auf den FC Bayern München.

Kein offizielles Ziel, aber trotzdem die Welt

Jetzt, vor dem Beginn der neuen Bundesliga-Runde, gibt der Dortmunder Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke eine neue Losung aus. Er sagt: „Wir werden kein offizielles Ziel mehr ausgeben – und das geschieht nicht, weil wir keines haben.“ Anders ausgedrückt: Beim BVB reden sie mit Blick auf eigene Bruchlandungen und die Dominanz des Serien- und Rekordmeisters FC Bayern München über kein Ziel mehr, wollen aber – und das klingt in Watzkes Subtext durch – trotzdem alles. Das klingt nicht nur kompliziert, sondern ist es wahrscheinlich auch.

Klarer ist die Gemengelage da bei einer übergeordneten Dortmunder Sache: bei der Philosophie oder – beim übergeordneten Weg, den der BVB beschreiten will, um wieder an die Spitze der Bundesliga zu kommen.

Dieser Weg ist jung, er ist frisch, und er ist auch die Bestätigung dessen, was beim BVB in der jüngeren Vergangenheit ablief: Borussia Dortmund setzt wieder mal auf talentierte und entwicklungsfähige Profis, das ist das bewährte Konzept – das vor der neuen Spielzeit aber wohl so konsequent wie noch nie umgesetzt wird.

Das Sprungbrett Europas

Gerhard Poschner, ehemaliger Profi des BVB und des VfB Stuttgart und heute als Leiter mehrerer Spielerberateragenturen bestens vernetzt in der Szene, sagt, dass Borussia Dortmund wie kaum ein zweiter europäischer Club dafür stehe, jungen, entwicklungsfähigen Toptalenten ein Sprungbrett zu bieten. Es ist ein Sprungbrett mit der Aussicht auf viele Startelfeinsätze bei einem Spitzenverein in einer der besten europäischen Ligen. Und, fast noch wichtiger: auf Startelfeinsätze in der Champions League.

Die Dortmunder Liste an hochbegabten Kickern ist lang: Stürmer Erling Haaland (20) war schon vor dem Sommer da, ebenso wie Jadon Sancho (20) und der US-amerikanische Offensivmann Giovanni Reyna (17). Nun verpflichtete der BVB das nächste Juwel. Der englische Mittelfeldspieler Jude Bellingham (17), der bei sämtlichen Spitzenvereinen zumindest auf dem Zettel stand, kam für 26,5 Millionen Euro von Birmingham City und deutete beim 5:0-Sieg im DFB-Pokal gegen den MSV Duisburg am Montagabend sein Potenzial an. Stürmer Youssoufa Moukoko dagegen ist auch schon länger da, er hat als 15-Jähriger sämtliche Torrekorde in der A-Jugend des BVB gebrochen – laut dem neuen DFL-Beschluss ist er nun schon nach seinem 16. Geburtstag im November bei den Profis spielberechtigt.

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Gerhard Poschner findet diese Jugendkultur seines Ex-Clubs gut und hält sie sogar für alternativlos. „Jeder Verein braucht etwas, wofür er steht, und beim BVB ist das der Fokus auf diese jungen Toptalente“, sagt er. Poschners Blick bei dieser speziellen Dortmunder Nachwuchsgeschichte geht dabei recht weit zurück. Vom Jahr 2005 an, als der BVB fast insolvent war und sich unter der Aufsicht des Chefsanierers Watzke nur langsam erholte, sei der Verein mit Blick auf die angespannten Finanzen gezwungen worden, den Blick auf junge, entwicklungsfähige Profis zu richten, sagt Poschner.

Jungspunde für viel Geld weiterverkaufen

Als perfektes Sinnbild dafür taugt der Mittelfeldmann Nuri Sahin, der 2005 im Alter von 16 Jahren sein Bundesligadebüt gab. Später, unter dem Trainer Jürgen Klopp, gab es von 2008 an einen jungen Abwehrteenie namens Mats Hummels. Es gab auch Mario Götze, es gab Christian Pulisic – und es gab, teils noch später, die Lewandowskis, Aubameyangs und Dembélés, die der BVB als Jungspunde vergleichsweise günstig aus dem Ausland verpflichtete. Und irgendwann für ein Vielfaches weiterverkaufte.

Jetzt ist Erling Haaland, wenn man so will, mit Blick in die Zukunft so etwas wie der neue Dortmunder Lewandowski. Denn schon jetzt ist klar, dass der BVB den Norweger nicht mehr lange halten können wird. Dieser Fall zeigt eine Krux des Dortmunder Jugendwegs: Denn die Borussia ist zwar mit wenigen Ausnahmen längst Stammgast im Achtelfinale der Champions League, mit einigen Ausreißern nach oben.

Die Durchgangsstation auf dem Weg zu Großem

Aber im Vergleich zum großen nationalen Konkurrenten – dem FC Bayern – oder zu den internationalen Großkopferten auf europäischer Bühne fehlen dem Club ungefähr 100 bis 150 Millionen Euro in finanzieller Hinsicht. Bei manchen Clubs wie Manchester City oder Manchester United sogar noch mehr. In gewisser Weise also ist der BVB auch im Vergleich zum großen Meisterschaftskonkurrenten aus München noch immer ein Ausbildungsverein, der seine besten jungen Kräfte nur ein paar Jahre lang halten kann – auch wenn sie das in Dortmund mit Blick auf die eigenen Titelambitionen nicht gerne hören.

Der BVB also ist, etwas überspitzt formuliert, eine Durchgangsstation für die Haalands, Sanchos und Bellinghams, für die die großen Träume in Dortmund anfangen. Mit Blick auf die erwünschte große Karriere aber meist noch lange nicht enden.