Bundesagrarminister Cem Özdemir (r.) zu Besuch in der Ukraine. Foto: dpa/Andreas Stein

Der Ukraine-Krieg schlägt auf die Agrarmärkte durch - längst nicht nur mit höheren Preisen im Supermarkt. Der deutsche Fachminister kommt zu Besuch nach Kiew. Es geht um Solidarität und konkrete Hilfe.

Bundesagrarminister Cem Özdemir hat der Ukraine deutsche Unterstützung zugesichert, um ihre Landwirtschaft und Getreideexporte im andauernden russischen Krieg aufrechtzuerhalten. „Der Erfolg der ukrainischen Landwirtschaft ist nicht nur für die Ukraine wichtig, er ist für uns alle wichtig“, sagte der Grünen-Politiker am Freitag bei einem Besuch in einem Agrarkolleg in Nemischajewe bei Kiew. Bei der Reise ging es angesichts blockierter Häfen auch um alternative Wege für Ausfuhren des Landes zur weltweiten Ernährungssicherung. Konkret will Deutschland unter anderem mit Geld für Tierarzneimittel helfen.

Özdemir machte klar, dass es ihm mit seinem Besuch zu allererst um ein Zeichen der Solidarität mit der angegriffenen Ukraine geht. Die wichtigste Frage sei, dass der von Russlands Präsident Wladimir Putin begonnene Krieg so schnell wie möglich ende, sagte er nach einem Gespräch mit seinem Amtskollegen Mykola Solskyj in Kiew. All die Probleme mit der Lebensmittelversorgung in der Ukraine und im Rest der Welt, für die die Ukraine ja traditionell eine wichtige Rolle spiele, gäbe es ohne den „feigen Angriffskrieg“ Putins nicht.

Angespannte Märkte und steigende Preise

„Jede andere Lösung ist eine zweit-, drittbeste Lösung. Wir wissen es“, sagte Özdemir. „Trotzdem müssen wir es machen.“ Er teile Skepsis in der Ukraine, dass Russland angeblich bereit wäre, Korridore für Agrarexporte über das Schwarze Meer zu ermöglichen. „Das wäre für die Ukraine Kamikaze, sich auf das Wort von Putin zu verlassen, ohne dass es glaubwürdige, wirksame militärische Garantien gibt, dass die Sicherheit der ukrainischen Häfen und der Schiffe abgesichert ist.“

Hintergrund ist, dass der Krieg zu angespannten internationalen Märkten und steigenden Preisen geführt hat - und akuten Sorgen um die Versorgung in einigen Ländern. Denn die Ukraine ist ein großer Exporteur unter anderem von Weizen vor allem nach Nordafrika und Asien. Nach Angaben der Regierung in Kiew können wegen Blockaden von Schwarzmeer-Häfen mehr als 23 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten nicht exportiert werden. Trotz des Kriegs seien aber 75 Prozent der Agrarflächen des Vorjahres wieder bestellt worden.

Exporte um ein Drittel zurückgegangen

Der ukrainische Minister Solskyj dankte Özdemir für die Unterstützung und den Besuch, zu dem er ihn bei einem G7-Treffen in Stuttgart Mitte Mai eingeladen hatte. Die Exporte seien um ein Drittel im Vergleich zur Vorkriegszeit zurückgegangen, erläuterte er. Daran werde aber gearbeitet, auch wenn die Frage kompliziert sei. Nach Angaben des ukrainischen Ministeriums wurden in den Kriegsmonaten März, April und Mai 51 Prozent der Agrarexporte mit der Bahn außer Landes gebracht, 37 Prozent über ukrainische Donauhäfen, 11 Prozent über Straßen. Laut Bundesregierung haben auch Transporte mit Hilfe der Deutschen Bahn über eine „Schienenbrücke“ in Richtung Nordsee und Adria begonnen.

Als konkrete Hilfen kündigte Özdemir unter anderem 500 000 Euro zum Ausbau von Laborkapazitäten in Ismajil an der Grenze zu Rumänien an, um die Abfertigung von Agrarexporten zu beschleunigen. Deutschland will zudem fünf Millionen Euro für Tierarzneimittel bereit stellen. Özdemir versicherte seinem Amtskollegen, solange der Krieg dauere, sei das Bundesministerium „auch eine Art Außenstelle“ für dessen Ministerium in Berlin. „Wir stehen zur Verfügung. Das ist unsere Aufgabe. Landwirtinnen und Landwirte sind keine Nationalisten.“

Die Spuren des Krieges

Bei seinem Besuch bekam Özdemir auch einen Eindruck von Spuren des Krieges. Zum Beispiel im 1912 gegründeten Agrarkolleg in Nemischajewe für elf Fachrichtungen. Die Delegation besichtigte ein Bienenhaus, Pferdewiehern war zu hören, mehrere Schwerbewaffnete sicherten den Ort ab. Özdemir sagte, ihm sei berichtet worden, dass die Einrichtung beschädigt und Geräte entwendet worden seien. Und er sicherte zu: „Wir werden mitfinanzieren, dass die technische Ausrüstung Ihrer hoch angesehenen Ausbildungsstätte hier wieder zustande kommt.“

Weitere Station war ein Waldforschungsinstitut in der Stadt Irpin. „Sie werden wieder arbeiten, und die Ukraine wird wieder auf die Beine kommen“, sagte Özdemir vor einem zerstörten Gebäude. Dann ging es zu einem Landwirtschaftsbetrieb im Gebiet Kiew. Angebaut werden dort Mais, Weizen, Soja, Raps - drei der 30 Beschäftigten sind an der Front. „Futtermais ist eine der Exportkulturen“, erläuterte Landwirt Viktor Scheremeta in einer Halle. Wieder in Kiew, traf Özdemir dann auch noch den ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal.

Özdemir reiste von einem Besuch im Nachbarland Polen am Vortag in die Ukraine weiter - und war dort am Freitag nicht der einzige deutsche Ressortchef. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kam ins westukrainische Lwiw (Lemberg) und sagte Hilfe für die medizinische Versorgung zu. Aufgebaut werden sollen etwa Container-Werkstätten zur Herstellung von Prothesen. „Wir machen hier eine humanitäre Initiative im Namen der gesamten Bundesregierung“, sagte Lauterbach am Morgen in der ARD noch aus Polen über den Doppelbesuch. Denn die Ukraine brauche humanitäre Hilfe genauso dringend wie militärische.