Ein syrischer Oppositionskämpfer hisst die Fahne der Fraktion Haiat Tahrir al-Scham in Aleppo. Foto: Anas Alkharboutli/dpa

Innerhalb kurzer Zeit übernehmen Rebellen einen Großteil der syrischen Großstadt Aleppo. Syriens Regierung bereitet einen Gegenschlag vor. Wie geht es in dem Bürgerkriegsland weiter?

Aleppo - In Syrien hat binnen weniger Stunden eine Rebellen-Allianz in einer Blitzoffensive fast die gesamte Millionenstadt Aleppo im Norden des Bürgerkriegslandes unter ihre Kontrolle gebracht. Der Vorstoß kam auch für das Regime von Baschar al-Assad scheinbar überraschend. Experten sprechen von einem einschneidenden Ereignis. Wie es jetzt weitergeht, hängt auch von Entscheidungen ab, die in Russland getroffen werden - Moskau ist einer der engsten Verbündeten Assads.

Die Truppen von Präsident Assad und ihre Verbündeten gerieten diese Woche durch eine Offensive der Rebellen-Allianz unter der Führung der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) überraschend stark unter Druck. Sie hatten am Mittwoch die Offensive "Abschreckung der Aggressionen" gestartet und dabei innerhalb weniger Tage mit Tausenden Kämpfern große Gebietsgewinne in der Umgebung von Idlib und Aleppo erzielt. Die Allianz will mittlerweile auch die Kontrolle über die gesamte benachbarte Provinz Idlib übernommen haben.

Am Freitag rückten die Rebellen an den westlichen Stadtrand Aleppos heran und drangen von dort immer weiter in die Stadt ein, die seit Jahren unter Kontrolle der Regierung stand.

Luftschlag auf Aleppo - viele Tote

Wenige Stunden nachdem die syrische Regierung bestätigt hatte, die Kontrolle großer Teile Aleppos an Rebellen verloren zu haben, traf ein heftiger Luftangriff das Zentrum. Mindestens 16 Menschen seien ums Leben gekommen, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Bei dem mutmaßlichen Angriff russischer Kampfflugzeuge am Samstagnachmittag seien außerdem 20 Personen verletzt worden. Es war der erste Luftschlag auf Aleppos Zentrum seit Beginn der Offensive der Rebellen.

Zuvor hatte die syrische Regierung zwar bestätigt, große Teile der Stadt verloren zu haben. Den Aufständischen sei es bisher aber nicht gelungen, dort Stellungen einzurichten, weil weiterhin gezielte Schläge gegen sie ausgeführt würden, hieß es in einer von der Staatsagentur Sana verbreiteten Mitteilung der syrischen Streitkräfte. 

Nach Darstellung der syrischen Armee sind die Rebellen von "Tausenden ausländischen Terroristen" unterstützt worden und mit schweren Waffen und einer großen Anzahl von Drohnen vorgerückt. Dutzende Soldaten der Regierung seien gefallen. Aufgrund der großen Zahl der Angreifer und der vielen Fronten habe man entschieden, sich zurückzuziehen und einen Gegenangriff vorzubereiten. 

"Ich kann mein Glück kaum fassen", sagte ein Aktivist an der Seite der Rebellen, Abdulkafi Alhamo, der Deutschen Presse-Agentur. "Nach acht Jahren konnte ich zurückkehren und durch die Straßen Aleppos laufen." Er wurde 2016 an der Seite von Rebellen aus der Stadt vertrieben. "Ich hätte nie geglaubt, dass ich zurückkommen würde", sagte er.

Bereits mehr als 300 Tote

Bereits seit 2011 herrscht in Syrien ein verheerender Bürgerkrieg, der das Land völlig gespalten hat. Machthaber Assad kontrollierte zuletzt mit Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran etwa zwei Drittel des Landes. Der Nordwesten ist teilweise unter Kontrolle von Oppositionskräften. Eine politische Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht.

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind seit Beginn der überraschenden Rebellenoffensive am Mittwoch mindestens 327 Menschen getötet worden. Darunter seien über zwei Dutzend Zivilisten. Die Beobachtungsstelle, die in Großbritannien sitzt, bezieht ihre Informationen von einem Netz aus Informanten vor Ort.

Experte: "Viel hängt von Russland ab"

Viel hänge nun davon ab, wie sich Assads Verbündeter Russland verhalte, sagte Heiko Wimmen von der Denkfabrik International Crisis Group der Deutschen Presse-Agentur. "Ohne substanzielle russische Luftunterstützung wird Assad Aleppo vermutlich nicht zurückerobern können", erläuterte Wimmen. Möglicherweise könnten die Rebellen in diesem Fall noch weitere Geländegewinne erzielen. Russland habe aber zu viel in Assad investiert, um ihn jetzt fallen zu lassen.

Assads zweiter Verbündeter Iran befinde sich in der Defensive, sagte Wimmen weiter. Der Wahrnehmung nach hätten Rebellen offenbar diese momentane Schwächung des Irans als günstige Gelegenheit erkannt.

Ein Sprecher einer der Rebellengruppen sagte der dpa, die Operation sei auch wegen des "Kollapses der proiranischen Milizen" in Syrien so schnell und erfolgreich verlaufen. Die vom Iran unterstützten Milizen hätten ihre Posten verlassen und die syrischen Truppen bei der Konfrontation mit den Rebellen allein gelassen.

Der Iran und von ihm unterstützte Milizen sind im Bürgerkrieg in Syrien neben Russland die wichtigsten Verbündeten Assads. Durch ihre indirekte Beteiligung am Gaza-Krieg und darauffolgende Angriffe Israels auf den Iran und auf proiranische Ziele in der Region wurden sie bereits stark geschwächt. 

Erinnerung an 2016

Aleppo war bereits in den ersten Jahren des syrischen Bürgerkriegs Austragungsort schwerer Gefechte zwischen Rebellengruppen und Truppen der Regierung sowie deren Verbündeten. 2016 wurden die Rebellen unter schweren Kämpfen aus östlichen Stadtteilen Aleppos vertrieben. Russland und der Iran halfen den Regierungstruppen von Assad damals, wieder ganz Aleppo unter ihre Kontrolle zu bringen. 

Während der Kämpfe zwischen 2012 und 2016 wurde Aleppo fast komplett zerstört. Der damalige Kampf um Aleppo gehörte - insbesondere in der Endphase - zu den heftigsten und brutalsten im syrischen Bürgerkrieg. Bis heute wurde die Stadt jedoch fast vollständig wieder aufgebaut. Heute leben in Aleppo etwa 2,5 Millionen Einwohner. Die Offensive der Rebellen-Allianz ist der erste Angriff der Opposition auf Aleppo seit 2016.