1998: Foto: Archivfoto: Lahoti - Archivfoto: Lahoti

Vor 20 Jahren hat Plochingen mit der Landesgartenschau 1998 ein unwirtliches Areal samt Industriebrache zum Lebensraum für mittlerweile 450 Menschen und Naherholungspark für alle ungewandelt.

PlochingenEin sonniger Freitag mitten im Frühjahr: Obwohl der Feierabend für die meisten Mitmenschen noch nicht in Sicht ist, sitzen etliche Glückliche entspannt bei „Steiner am Fluss“. Die Radler freuen sich, im Biergarten ihren Flüssigkeitsverlust ausgleichen zu können – denn im Landschaftspark Bruckenwasen treffen sich Filstalroute und Neckartalradweg. Mütter beobachten ihre Kinder auf einem der beiden Spielplätze, eine junge Frau hat sich auf der anderen Seite des Damms im Schatten eines Obstbaums niedergelassen. Bei den Schäferhundefreunden wird ebenfalls schon ausgeschenkt, die Dampfbahner nebenan schicken ihr Zügle erst sonn- und feiertags auf die Runden. Die Lärmschutzwand kann die B 10 akustisch nicht ganz ausgrenzen, aber das sanfte Dauerrauschen irgendwann trotzdem vergessen machen.

Vor mehr als 20 Jahren war die von der Stadt abgewandte Neckarseite noch eine „vergessene und verlärmte Restlandschaft“. So hat der Landschaftarchitekt Jörg Stötzer die Industriebrache der ehemaligen Spinnerei Otto und das unwirtliche Gelände daneben beschrieben, wo sich vor langer Zeit einmal die Festwiese der Stadt befand. 17 Hektar zwischen Neckar und den Hochbrücken der B 10/B 313 mitsamt einem Stückchen östlich des Neckarknies, begrenzt von der Fils. Abgeschnitten von der Stadt durch den Fluss und die Bahnlinie, umtost vom Rauschen der Bundesstraße und ratternden Zügen.

Steiniger Weg zur „bunten Insel“

Stötzer war es denn auch , der das Areal für die 16. baden-württembergische Landesgartenschau 1998 zur „bunten Insel“ gemacht und mit seiner Wege- und Wasserführung in die Form eines Fisches gegossen hat. Die Idee, mit einer öffentlich geförderten Blümchenparade aus der Brache einen Erholungspark zu machen und einen Teil davon mit Wohnungen zu beleben, war zuvor heftig umstritten in der Stadt. Kritiker – allen voran der damalige Stadtrat Klaus Hink – warnten vor den Kosten des Spektakels und den Ausgaben für die anschließende Pflege des Parks. Sie fanden die Wohnungspläne für die Alte Spinnerei und drumherum, vom Tessiner Architekten Ivano Gianola auf Papier gebracht, aber nur einen Steinwurf von der B 10 entfernt, als unzumutbar.

Der damalige Bürgermeister Eugen Beck, der schon Friedensreich Hundertwasser nach Plochingen geholt hatte, warb indessen unverdrossen für die Chance, Plochingen wieder an den Neckar zu bringen. Und zwar nachhaltig: „Kein Garten Eden, sondern ein Garten für jeden“ solle der Bruckenwasen werden, wehrte er sich dagegen, nur ein weiteres Prestigeprojekt an Land ziehen zu wollen. Ein Bürgerentscheid stellte 1994 die Vision auf etwas breitere Beine: Knapp 60 Prozent der Wähler stimmten mit Ja. „Diese Bürgerbeteiligung war für Plochingen sehr wichtig. Die Gartenschau war damals eine große Herausforderung. Plochingen war die kleinste Stadt, die so etwas bis dahin ausgetragen hatte“, erinnert sich Becks Nachfolger Frank Buß, gebürtiger Plochinger, damals Schultes in Kohlberg.

Im Sog von Ploggi

Am 24. April 1998 zogen Beck, Landwirtschaftministerin Gerdi Staiblin, Maskottchen Ploggi und 400 Kinder über den neuen Otto-Steg und eröffneten die Landesgartenschau. Die Stadt hatte kräftig investiert, das Land ordentlich bezuschusst. Wie viel, ist am Ende bei der Gemengelage von Grünanlagen, Lärmschutz und Wohnungsbau schwer zu beziffern. 7,5 Millionen Euro Investitionskosten, 3,1 Millionen Förderung: Diese Zahlen nannte jedenfalls das Landwirtschaftsministerium 2003 für Plochingen in einer SPD-Anfrage zum Nutzen der Grünspektakel im Land. Als die Schau am 11. Oktober 1998 ihre Pforten wieder schloss, hatten rund 750 000 Besucher die „bunte Insel“ betreten. Dennoch blieb damals etwas mehr als das einkalkulierte Defizit an der Stadt hängen. Unschön war auch die Überraschung mehr als zehn Jahre später, als die für neun Millionen Euro umgebaute Spinnerei schon wieder zum Sanierungsfall wurde – weil in der knappen Zeit vor der Gartenschau der Beton offensichtlich nicht lange genug ausgetrocknet war. Ein paar Jahre darauf musste auch noch ihr Dach in Angriff genommen werden. Dennoch rüttelt heute keiner mehr am Bruckenwasen, erzählen die Einheimischen. Buß: „Der Landschaftspark ist ein unendlich wichtiger Gewinn für Plochingen.“ Bei gutem Wetter findet man an Wochenenden kaum einen Parkplatz rund um die Grünflächen mit ihren Vereins-, Gastro- und Freizeitangeboten samt dem Umweltzentrum Neckar-Fils. Zudem hat sich der abgeflachte Uferbereich als wichtiger Beitrag zum Hochwasserschutz erwiesen. Der Baubetrieb ist zwar regelmäßig im Einsatz. Aber eine Bürgerinitiative ackert verlässlich dafür, dass der Park gut in Schuss bleibt. Und der Trägerverein des Umweltzentrums kümmert sich ums Ufer. Gut 450 Menschen leben mittlerweile auf dem Bruckenwasen. Mit einem sechsgeschossigen Neubau soll das Quartier nach 20 Jahren einen markanten Eckpunkt bekommen. Anlass für Kritik? Wir reden 2038 wieder darüber. Oder auch nicht.

Selbst Goethe und Schiller kommen – so feiert Plochingen 20 Jahre Bruckenwasen

Zwei Dichter auf Abwegen: Anlässlich des 20. Geburtstags des Landschaftsparks Bruckenwasen übergibt der seit über 25 Jahren in Plochingen arbeitende Künstler Wolfgang Thiel am Mittwoch, 9. Mai, um 18 Uhr auf dem Bruckenwasen der Stadt eine Skulptur, die dort als Leihgabe für einige Zeit präsentiert wird. Die zweiteilige großformatige Arbeit aus Cortenstahl mit dem Titel „Herr Goethe und Herr Schiller auf Abwegen“ entstand 2011 für den Skulpturenpfad „Korber Köpfe“ und war zuletzt im Rahmen der Böblinger Sculptoura zu sehen. Zur Begrüßung der beiden großen Köpfe deutscher Dichtkunst sprechen der Plochinger Bürgermeister Frank Buß, Künstler Wolfgang Thiel und Günter Baumann, Kurator des Böblinger Kunstvereins.

Bruckenwasenfest: Am 12. und 13. Mai laden dann die Plochinger Vereine und Marktanbieter gemeinsam mit ES-Märkte, dem Stadtmarketing Plochingen und dem Kulturamt Plochingen jeweils von 11 bis 18 Uhr zum großen Bruckenwasenfest ein. Am Samstag wird es bei „Steiner am Fluss“ ab 14 Uhr mit den Kindern des Parkkindergartens eröffnet. Auf dem gesamten Gelände werden wieder viele Aktionen und Attraktionen für die ganze Familie angeboten: sportliche Turniere, Hundevorführungen, Bärenhospital, Wildkräuter-Werkstatt, Bastelspaß zum Muttertag, Kinderschminken, Fahrten mit der großen Gartendampfbahn, ein Discgolf-Parcours und vieles mehr. Dazu gibt es Musikalisches für jeden Geschmack: Bei „Steiner am Fluss“ konzertiert der Musikverein Stadtkapelle, am Fischauge ist das Duo „Herbstzeitlose“ zu hören, Schlagermusik erklingt beim Schäferhundeverein und beim Obst- und Gartenbauverein Blues, Rock und Country mit „Jack & Friends“. Beim großen Frühlingsmarkt bieten kreative Aussteller ihr umfangreiches Angebot rund um Garten und Haus. Für Verpflegung sorgen die Gastronomen vor Ort und die Vereine. Das Programm kann unter www.plochingen.de abgerufen werden.

Parken: Da die Parkmöglichkeiten am Gelände sehr begrenzt sind, empfiehlt sich die Anfahrt mit dem ÖPNV oder am Festsonntag mit dem Pendelbus vom Parkplatz der Firma Decathlon (Filsallee 19) zum Bruckenwasen.