„Browser Ballett“ jetzt bei ZDF Neo: Talkmaster Magnus Richter (Fabian Hinrichs, Mitte) im Kreise seiner Gäste Foto: ZDF/Stephanie Kulbach

Das mit dem Grimme-Preis gekrönte Satireformat „Browser Ballett“ ist vom Internet ins Fernsehen gewandert. Der Auftakt auf ZDF Neo ist aber noch nicht preiswürdig.

Juryarbeit kann mitunter zäh sein, weil auch die vermeintlichen Perlen eines Fernsehjahres die Erwartungen nicht immer erfüllen. Als sich die Grimme-Preis-Jury 2019 mit „Bohemian Browser Ballett“ befasste, war die Freude dagegen einmütig und groß: Die für das das junge Onlineangebot „funk“ von ARD und ZDF entstandenen satirischen Schnipsel zeichneten sich durch eine erfrischende Respektlosigkeit aus. Ein besonderes Merkmal der von Schlecky Silberstein (alias Christian Brandes), Christina Schlag und Raphael Selter konzipierten Beiträge war ihre Fähigkeit, komplexe Sachverhalte in erstaunlich kurzer Zeit auf den Punkt zu bringen.

Keine kurzen Sketche mehr

Im vergangenen Herbst ist die Satiremarke vom SWR zum ZDF gewechselt, wo sie beim Tochtersender Neo nun erstmals auch im klassischen Fernsehen zu sehen ist. Mittlerweile heißt das Format nur noch „Browser Ballett“. Von der Kürze, in der einst die Würze lag, kann bei den geplanten sechs Ausgaben à dreißig Minuten, die sich jeweils auf ein Thema konzentrieren, keine Rede mehr sein. Kurze Sketche, sagt Silberstein, „werden dem wachsenden Facettenreichtum des Spätkapitalismus nicht immer gerecht. Manchmal braucht es für die erfolgreiche Gegenwartsbewältigung einen ganzen Film. So können wir mit unserer Satire auch mehr in die Tiefe gehen und verschiedene Perspektiven abbilden.“

Herne liegt schon in Schutt und Asche

Was in der Theorie plausibel klingt, könnte sich für die Fans des Formats als Geduldsprobe erweisen. Die Premierenausgabe ist eine Talkshow-Parodie, deren einziges Alleinstellungsmerkmal allerdings der Tabubruch ist: Russland rächt sich für die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine mit dem Abwurf einer Atombombe. Berlin ist zwar verfehlt worden, aber dafür liegt nun Herne in Schutt und Asche; schätzungsweise 50 000 Menschen sind gestorben. Das ist nicht lustig und schürt die Ängste vieler Deutscher. Andererseits soll Satire ja dahin gehen, wo’s weh tut, und mit dem Entsetzen seine Scherze treiben. Der humoristische Ansatz gilt jedoch vor allem dem Rahmen: Selbst im Angesicht des Todes sind die vier Studiogäste nicht in der Lage, ein konstruktives Gespräch zu führen; auch der Moderator bleibt seiner Rolle bis zum bitteren Ende treu, als Russland erneut Berlin ins Visier nimmt und ein Countdown die Minuten bis zur Apokalypse zählt.

Die Altfeministin darf nicht fehlen in der Runde

Die typischen Talkshowelemente sind allerdings so gut parodiert, dass sie den Vorbildern zum Verwechseln ähnlich sind. Das war zwar auch schon bei Olli Dittrichs Persiflage „Das TalkGespräch“ (2014) der Fall, aber der Komödiant hat damals sämtliche Teilnehmer gespielt: Dank einer speziellen Kameratechnik war es möglich, dass die von ihm verkörperten Gäste auch bei Fahrten oder Schwenks gleichzeitig agieren konnten. Solche kostspieligen Kabinettstückchen hat „Browser Ballett“ nicht zu bieten. Stattdessen nimmt Autor Raphael Selter die vier Prototypen aufs Korn: Der TV-Philosoph betrachtet die Krise als Chance, er hat darüber auch ein Buch geschrieben, das der mit ihm befreundete Moderator anpreist. Die Klimaaktivistin ist der Meinung, die Menschheit habe ganz andere Probleme; die Altfeministin sagt, die jungen Frauen von heute steckten „knietief in den Rollenbildern der Fünfzigerjahre“. Komplettiert wird die Runde durch einen Seriendarsteller („GZSZ“-Urgestein Wolfgang Bahro), dem die Mitwirkung in einem Weltkriegsfilm nicht gut bekommen ist, wie seine Parolen verdeutlichen („Jeder Schuss ein Russ’“).

Mischung aus Lanz und Plasberg

Fabian Hinrichs interpretiert den Moderator als besserwisserische und gönnerhafte Mischung aus Markus Lanz und Frank Plasberg, und auch die Gäste sind in ihren Klischees recht gut getroffen. Einen erneuten Grimme-Preis wird es zumindest für diese Ausgabe höchstwahrscheinlich trotzdem nicht geben; „Browser Ballett“ wäre nicht das erste Format, dem der Wechsel in den Mainstream nicht gut bekommt.

Browser Ballett: Richter – Der Talk: in der ZDF-Mediathek. Sa, 19.45 Uhr, ZDF Neo