Britney Spears legt in ihrer Autobiografie den Finger in die eigenen Wunden – aber zielt auch auf andere. Auf ihren Vater Jamie. Ihre Mutter und Schwester. Und immer wieder: auf Justin Timberlake.
Britney Spears geht dahin, wo’s weh tut. In ihrer Autobiografie „The Woman In Me“ lässt die 41-jährige Popikone nichts aus. Alkoholiker-Vater, Abtreibung, Wochenbettdepressionen – schonungslos legt die Sängerin in dem 304 Seiten starken Buch den Finger in die eigenen Wunden.
Aber auch mit den anderen Menschen in ihrem Leben geht Spears nicht zimperlich um: Ihr Vater – ein Säufer. Ihre Mutter – eine schreiende Xanthippe. Ihre Schwester Jamie Lynn – eine verwöhnte „bitch“. Justin Timberlake – warf sie weg und schrieb einen Hit („Cry Me A River“) darüber. Kevin Federline – nur auf „Ruhm und Macht“ aus.
„Zuhause hatte ich meist Angst“
Ihre Kindheit im konservativen amerikanischen „Bible Belt“ ist alles andere als idyllisch: Ihr Vater trinkt, die Eltern streiten sich ständig, nachts dringt die wütende Stimme ihrer Mutter durch die Kinderzimmertür. „Zuhause hatte ich meist Angst.“ Singen ist die geheime Superkraft dieses Mädchens aus dem Kaff Kentwood, Louisiana: „Mein Gesang waren meine Sprache und mein Schwert.“ Und Ablenkung von den Sorgen und Ängsten, die Britney plagen: „Nur die Musik ließ dieses Rauschen verstummen.“
Ihr Vater Jamie, der offenbar selbst mit den Dämonen seiner Kindheit kämpft, habe seine Kinder zu Höchstleistungen angetrieben: „Nichts war ihm gut genug.“ Die begabte Tochter, die im Chor singt und zu Tanzwettbewerben geht, wird zum Projekt ihrer Eltern: Mit gerade einmal acht Jahren steht Britney bei einer Talentagentur unter Vertrag. Ihr erster Job ist eine Zweitbesetzung am New Yorker Broadway. Mit elf wird sie ein „Mouseketeer“ beim „Mickey Mouse Club“. In diesem „Trainingslager der Unterhaltungsbranche“ trifft Britney auf andere Kinder, die singen, tanzen, steppen, entertainen können: Christina Aguilera, Ryan Gosling – Justin Timberlake. Beim „Wahrheit oder Pflicht“-Spielen küsst sie ihn zum ersten Mal.
„... Baby One More Time“ verändert die Popmusik
Der „Mickey Mouse Club“ habe ihr „inneres Feuer“ entzündet: „Von da an wusste ich, dass ich genau das tun wollte, was ich dort tat – singen und tanzen.“ Mit 15 ergattert das blonde Mädchen aus den Südstaaten einen Plattenvertrag. In einem Tonstudio in New Jersey entsteht „... Baby One More Time“, das Album, von dem der „Rolling Stone“ einmal schrieb, es habe die Popmusik für immer verändert. Rückblickend schreibt die Sängerin: „Wahrscheinlich war das die Zeit in meinem Leben, in der ich die größte Leidenschaft für die Musik empfand.“
Aus dem Stand schießt Britney mit „... Baby One More Time“ an die Spitze der Charts und verkauft Tonträger um Tonträger. Sie kann die Schulden ihres Vaters begleichen, ihrer Familie ein Haus kaufen, ihrer fast zehn Jahre jüngeren Schwester Jamie Lynn das bieten, was Britney als Kind nicht hatte.
Mit 13 trinkt sie mit ihrer Mutter Cocktails, mit 17 nimmt sie Antidepressiva – auch um das mulmige Gefühl zu vertreiben, das sie beim Anblick der Männer beschleicht, die in ihr eine „Fantasie-Lolita“ sehen. „Manchmal wurde ich schier wahnsinnig vor Angst, wenn ich sah, wie sie mich lüstern anstarrten.“
Justin Timberlake machte per SMS Schluss
Bei der Tour mit Timberlakes Boy-Band NSYNC kommen sich die beiden näher. „Es war fast schon absurd, wie verliebt wir waren.“ Nach außen sind die beiden das Traumpaar des Pops. Doch Justin, schreibt Britney, habe sie betrogen. Doch sie, das brave Mädchen aus den Südstaaten, lässt es ihm durchgehen. Sie wird schwanger – und treibt ab, weil ihr Freund noch kein Kind will. „Wenn er nicht Vater werden will, dann habe ich keine große Wahl, dachte ich.“ Sie nimmt Abtreibungspillen und übersteht den Abort daheim auf der Toilette. Die Beschreibung dieser Szene gehört zu den Passagen im Buch, die am schwierigsten auszuhalten sind. Nach vier Jahren Beziehung macht Timberlake Schluss – per SMS.
Britney ist am Boden, doch die Show muss weitergehen. In der Öffentlichkeit wird sie als die Schuldige an der Trennung wahrgenommen, als die Frau, die „Amerikas Goldjungen“ das Herz gebrochen hat. Jamie Spears drängt seine Tochter dazu, öffentlich in der Sendung der TV-Journalistin Diane Sawyer Abbitte zu leisten. „Es war absolut demütigend.“ Justin Timberlake, heute verheiratet und Vater zweiter Söhne, schweigt zu den Enthüllungen in Britneys Buch.
Nach einer kurzen, leidenschaftlichen Affäre mit dem Schauspieler Colin Farrell heiratet Britney in einer besoffenen Blitzhochzeit in Las Vegas ihren Jugendfreund Jason Alexander. 55 Stunden später ist die Ehe schon wieder annulliert. „Er und ich waren nicht verliebt. Ich war nur schrecklich betrunken.“
Kurz darauf die Ehe mit Kevin Federline und zwei Söhne, Sean Preston und Jayden James, denen Britney ihr Buch gewidmet hat: „Für meine Jungs - ihr seid die Liebe meines Lebens.“ Nach den Geburten, nur wenige Monate nacheinander, leidet die Sängerin unter Wochenbettdepressionen. Permanent wird sie von Fotografen verfolgt, die keine Rücksicht darauf nehmen, dass sie nicht will, dass ihre Söhne ebenfalls fotografiert werden. Als sie und Federline sich 2008 trennen, kommt es zu einem hässlichen Sorgerechtsstreit. Britney ist „verrückt vor Schmerz“, weil sie ihre Söhne nicht sehen darf, und bricht zusammen. Die Glatze, die sie sich rasieren lässt, ist nur das äußere Zeichen ihrer Verzweiflung. Was alles nicht besser macht: Die Paparazzi, die jeden ihrer Schritte unerbittlich verfolgen.
Nichts als ein „Roboterkind“
Ihr Vater Jamie wird als Britneys Vormund eingesetzt. „Ihm ging es immer nur um Geld.“ Jamie und seine Helfer hätten ihr ihr Leben komplett aus der Hand genommen. „Ab sofort bin ich Britney Spears“, soll ihr Vater ihr unverblümt gesagt haben. Nichts als ein „Roboterkind“ sei sie in den 13 Jahren, die die Vormundschaft dauern soll, gewesen. Über Jahre veröffentlicht die Sängerin neue Musik, gibt Konzerte, sitzt in der Jury der Castingshow „The X-Factor“ und wuppt ihre eigene Show in Las Vegas – alles immer ohne Kontrolle über ihr eigenes beträchtliches Vermögen.„Dreizehn Jahre durfte ich nicht essen, was ich wollte, nicht Auto fahren und mein Geld nicht so ausgeben, wie ich es wollte.“ Wie ein Schatten ihrer selbst habe sie sich gefühlt. Erst 2021 erhält Britney Spears ihre Freiheit zurück – und hebt das erste Mal wieder selbst Geld ab. Die #FreeBritney-Bewegung habe ihr Mut gemacht, als sie sich schließlich juristisch gegen die Vormundschaftsregelung wehrte. „Sie demonstrieren und ‚Free Britney!’ rufen zu sehen, war unglaublich schön.“
Das alles hat Spuren auf ihrer Seele hinterlassen, schreibt Britney. Aber auch körperliche: Sie leidet an Migräneanfällen. Erstmals erklärt die 41-Jährige im letzten Kapitel auch ihre manchmal gewöhnungsbedürftigen Posts auf Instagram: Sie habe neues Selbstbewusstsein und „Riesenspaß“, sich auf der Social-Media-Plattform „in neuen Outfits und sogar nackt“ zu zeigen. Sie sei so oft fotografiert worden, nun zeige sie sich so, wie sie es wolle. Anpassen, um zu gefallen? Diese Zeiten sind für die 41-Jährige endgültig vorbei. It’s Britney, bitch – und wem es nicht passt, braucht ja nicht hinzuschauen.
Ob sie irgendwann auch wieder neue Musik aufnehmen und auf der Bühne stehen wird? „Ich muss zugeben, dass mir die Antwort darauf schwer fällt. Momentan genieße ich es, zu singen und zu tanzen so wie früher, als ich es noch nicht für meine Familie tun musste und um geliebt zu werden.“
Britney Spears: „The Woman In Me – Meine Geschichte“. Penguin Verlag, 304 Seiten, 25 Euro.