Ein Braunbär beunruhigt in Oberbayern die Menschen. Foto: dpa/Lino Mirgeler

Ein Braunbär streift durch das Grenzgebiet zwischen Oberbayern und Österreich. Auf einer Alm reißt er Schafe. Im Ernstfall sind für die Behörden aber trotzdem „alle Maßnahmen“ denkbar.

Viele Menschen im oberbayerischen Landkreis Rosenheim sind derzeit beunruhigt. Der Grund: ein Braunbär ist in der Region unterwegs. Das Tier hat auf einer Alm Schafe gerissen. Zuvor hinterließ er im Schnee bereits Tatzenabdrücke.

Ein sogenannter Problembär ist er nach ersten Erkenntnissen der Behörden nicht. Die staatlichen Stellen sind aber wachsam: Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) bezeichnet die Sicherheit der Menschen als absolut vorrangig. „Im Ernstfall kommen alle Maßnahmen in Betracht“, sagt Glauber am Donnerstag in München. „Bayern ist auf das Thema Bär vorbereitet.“

In Oberaudorf ist der Bär natürlich das große Gesprächsthema. Aber: Der Bär sei ja schon länger in der Region unterwegs, sagt Bürgermeister Matthias Bernhardt. Vielleicht sei er auch schon weitergezogen. Insofern seien die Bürger sicher besorgt, aber „es gibt keinen Volksaufruhr“. Wichtig sei nun, vor allem mit den Almbauern zu sprechen und ihnen zu helfen. Da sei die Politik gefordert. Denn einfache Weidezäune könnten einen Bären nicht abhalten. „Das Problem haben wir ja auch beim Wolf.“

Beliebtes Touristenziel

Momentan könnten die Landwirte ihre Tiere nicht auf die Almen auftreiben. „Es entstehen viele Probleme, über die man viel früher schon hätte reden müssen“, sagt Bernhardt. In der Region gebe es ein riesiges Almengebiet. Sollten sich Bären fest ansiedeln, wäre es für Landwirte wohl nicht mehr attraktiv, die Almen zu bewirtschaften. Dann würde das Gebiet verstrauchen. „Das wäre verheerend.“

Zudem ist der Landkreis ein beliebtes Touristenziel. Die Gemeinden stünden vor der Aufgabe, Touristen klar zu machen, dass hier unter Umständen ein Bär unterwegs sein könnte - auch wenn die Wahrscheinlichkeit nicht hoch sei.

Dauerhafte Ansiedlung unwahrscheinlich

Grundsätzlich ist es nicht ungewöhnlich, dass im südlichen Bayern Bären umherstreifen. Meist sind das junge, männliche Tiere, die nach einer Partnerin suchen. Zuletzt gab es den Behörden zufolge im Sommer 2022 Nachweise in den Landkreisen Bad-Tölz-Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen. Eine dauerhafte Ansiedlung von Bären im Freistaat erwarten Fachleute nicht.

Allerdings hinterlässt der tödliche Angriff einer Braunbärin auf einen Jogger im Trentino ein ungutes Gefühl. Das Tier mit der Kennung „JJ4“ hatte Anfang April einen Mann attackiert. In der Nacht zum Dienstag war die Bärin - eine Schwester des 2006 in Bayern erschossenen Bären „Bruno“ - eingefangen worden. Nach Angaben des Landesamtes für Umwelt (LfU) befindet sich im Trentino von Bayern aus gesehen die nächste Bären-Population - etwa 120 Kilometer vom Freistaat entfernt. Dort leben demnach rund 100 Bären.

Ur-Angst vor Wolf und Bär

Uwe Friedel ist beim Bund Naturschutz (BN) Experte für Wolf und Bär. Die Sorge der Menschen vor einer Begegnung mit deinem Braunbären kann er nachvollziehen. „Ich hätte auch Angst“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Was also tun? „Sich bewusst machen: Ich gehöre nicht in das Beuteschema.“ Bären seien in erster Linie Vegetarier, etwa 75 Prozent ihrer Nahrung sei pflanzlich, der Rest Insekten oder Ameisen und vielleicht auch ein Schaf, sofern es einfach zu erreichen sei.

Wichtig sei, das Verhalten eines Bären behördlich zu beobachten. Sollte eine Konditionierung auf Menschen erkennbar sein, müsse eingegriffen werden, so Friedel. „Also einfangen oder Abschuss.“ Der Riss von Weidetieren mache einen Bären nicht zum Problembären. Das sei normales Schlagverhalten. Problematisch sei, wenn er spezielle Herdenschutzzäune überwindet - für normale Zäune gelte das nicht.

Es gebe eine Ur-Angst vor Beutegreifern wie Bär oder Wolf, sagte Friedel. Die Zecke sei beim Wandern jedoch die viel größere Gefahr. Und Unfallgefahr im Straßenverkehr sei alltäglich. Aber Lkw oder Autos würden als notwendig erachtet, der Bär nicht. Und die Lawine beim Skifahren? „Die Lawine hat keine Augen, die guckt den Menschen nicht an.“ Den Bären seien die Menschen hier nicht gewohnt.

Begegnung mit einem Bären: Ruhe bewahren, nicht wegrennen

In der Regel fänden Begegnungen mit Menschen aus der Distanz statt. „Bären sind scheu.“ Sie seien aber auch neugierig und reizbar. Sollte es doch zu einem nahen Aufeinandertreffen kommen, gelte es ruhig zu bleiben, nicht wegzurennen und keine Äste oder Steine nach dem Bären zu werfen, sagt Friedel. Zudem sollte man einen Bären, der vielleicht nach Beeren sucht und einen nicht bemerkt hat, nicht erschrecken.

Richte sich ein Bär auf, sei das nicht als Drohgebärde zu verstehen. Vielmehr wolle sich der Bär einen Überblick verschaffen und selber sicher sein. In der Regel ziehe sich das Tier zurück. Sollte sich das Tier einem Menschen nähern, dann meist auch aus Neugierde, so Friedel. Hinlegen und die Hände in den Nacken nehmen, lautet der Expertenrat für diese Situation, auch vom LfU. Dann könne der Bär erkennen, dass er nicht angegriffen wird.

Ganz seltene Vorfälle

Der Todesfall im Trentino sei der erste dort, so der BN-Fachmann. Aus Norwegen seien in den vergangenen 40 Jahren zwei Todesfälle bekannt. „Beide waren Jäger.“ Wenn ein Jäger auf einen Bären schieße und diesen verfehle oder verletze, fühle sich der Bär angegriffen.

Auf Freizeitaktivitäten müssten die Menschen im Landkreis Rosenheim laut Friedel nun nicht verzichten. Auf den Wegen bleiben, Hunde anleinen, keine Essensreste zurücklassen und mit wachen Sinnen unterwegs sein, lautet sein Rat.

BN fordert Ausweitung des Herdenschutzes

Um das Vieh vor dem Bären wie auch dem Wolf besser zu schützen, fordert der BN schon lange eine Ausweitung der Förderung von Herdenschutzmaßnahmen. Spezialzäune oder Herdenschutzhunde würden nur in den Regionen staatlich finanziert, wo ein Wolf sesshaft sei. Allerdings könnten durchwandernde Wölfe und auch Bären theoretisch jederzeit in anderen Regionen auftauchen.

Das LfU hat nach dem Vorfall in Oberaudorf die Nutztierhalter im Grenzgebiet des Landkreises Rosenheim zu Österreich aufgefordert, ihre Tiere zurzeit nachts möglichst einzustallen und Herdenschutzmaßnahmen zu ergreifen. Die Behörden könnten dabei mit Zaunmaterial unterstützen, hieß es.