Der Architekt Noel Rabuffetti plante 2018 in seiner prämierten Masterarbeit 2018 besagtes schwimmende Konzerthaus vor Konstanz: das „Arquistica“. Damit reagierte er auf den Platzmangel an Land. Foto: Privatarchiv Noel Rabuffetti/

Das schwimmende Konzerthaus vor Konstanz, zwei wie Segel geformte Hochhäuser an der Schweizer Grenze, die 3700 Meter lange Hängebrücke nach Meersburg: eine Ausstellung in Kreuzlingen zeigt utopische Architektur vom Bodensee.

Die ikonische Golden Gate Bridge über der Bucht von San Francisco misst 1280 Meter. 3700 Meter lang wäre die Brücke gewesen, die den Bodensee von Meersburg bis Konstanz hätte überspannen sollen. Doch wie der Konjunktiv und ein Blick auf den Bodensee von heute zeigen: Die Träume waren in den 1960er Jahren groß und von Superlativen geprägt – aber sie scheiterten. Die Brücke blieb Utopie. Immerhin, die Pläne existieren noch.

„Eine Weltkarte, in der Utopia nicht verzeichnet ist, ist keines Blickes wert, denn sie unterschlägt die Küste, an der die Menschheit ewig landen wird“, sagte einst der englische Dandy und Schriftsteller Oscar Wilde. Denn freilich sind es Utopien, die die Menschheit voranbringen – und sie sind auch seit jeher eine treibende Kraft bei der Realisierung von Städten.

Nie gebaute Bodenseebrücke zwischen Meersburg und Konstanz. Foto: StZN/Demag

Einige dieser utopischen Vorstellungen kamen nie zur Blüte

Am Ufer der Doppelstadt Konstanz-Kreuzlingen, zusammengewachsen und doch getrennt durch eine Grenze, schicksalhaft verbunden und zugleich sehr gegensätzlich, wurde immer wieder geträumt von einer „anderen“ Stadt. Einiges spricht dafür, dass gerade diese Grenzlage die Fantasie beflügelt hat. Vielleicht tat zudem der weite Blick über den See sein Übriges, um den Gedanken freien Lauf zu gewähren.

Einige dieser utopischen Vorstellungen kamen nie zur Blüte. Doch die Wurzeln dieser Gewächse sind hartnäckig – vielleicht, weil sie einem Problem entsprangen, das noch immer nicht gelöst ist. Auch aus diesem Grund präsentiert das Museum Rosenegg in Kreuzlingen in Kooperation mit dem Architekturforum Konstanz/Kreuzlingen sowie der Konstanzer Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) noch bis zum 9. März diese architektonischen Utopien in einer Ausstellung mit dem Namen „Geplatzte Stadt(t)räume“. Sie will zeigen, was aus welchem Bedürfnis heraus wie und wo geplant wurde – und warum es scheiterte. Sie blickt aber auch in die Zukunft. Denn die Utopien von gestern könnten womöglich die Realitäten von morgen sein.

Auf dem Douglas-Areal, wo neben der Villa Douglas heute die Schmieder-Kliniken stehen, sollte ein Halbrund mit Hotel, Wellenbad und Luxuswohnungen für 1500 Menschen entstehen – das „Kolosseum von Konstanz“. Foto: André M. Studer/Konstanzer Almanach 1972

Ob dazu die Brücke über den Bodensee zählen könnte, ist jedoch eher fraglich. Damals war die Idee aus der Notwendigkeit heraus geboren, auf den wachsenden Verkehr zu reagieren. Vorangetrieben hatte den Gedanken einer Autobrücke damals der FDP-Stadtrat und Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Konstanz, Josef Hund. Ihm diente nicht die Golden Gate Bridge als Vorbild, sondern die Fehmarnsund-Brücke an der Ostsee. 1964 legte die Duisburger Brückenbaufirma Demag schließlich erste Zeichnungen vor: Eine Schiffsbrücke, ein durchhängender Tunnel, eine Decken- sowie eine Hängebrücke.

Eine weitere planerische Ausführung folgte 1968: eine Schwimmbrücke, die auf Pontons lagern sollte. Sie hätte westlich der Insel Mainau ansetzen und nach Meersburg oder Unteruhldingen im Bodenseekreis führen können. Die vierspurige Brücke hätte an beiden Enden eine Durchfahrtsmöglichkeit für Schiffe geboten und ansonsten auf je 100 Meter langen und 16 Meter breiten Beton-Hohlkörpern geruht, die etwa drei Meter tief in den See eingetaucht wären. Der Bau sollte privat finanziert, die Investition über eine Maut wieder hereingeholt werden.


Ein spannendes – oder aber ein reichlich überspanntes Projekt?

Doch keine dieser Brücken wurde realisiert. Die Meinungen hatten sich im Laufe der Zeit verändert, der Druck der Umweltverbände wurde zu groß und der Preis dafür war sehr hoch: Die Hängebrücke hätte zwischen 100 und 600 Millionen Mark gekostet.

Ein spannendes, weil überspannendes – oder aber ein reichlich überspanntes Projekt? Darüber darf der Besucher der Ausstellung selber abstimmen. Bei der Brücke halten sich die kleinen Holzwürfel in den Ja- und Nein-Boxen die Waage. Diese haben Eva-Maria Heinrich und Eberhard Schlag mit ihren Architektur- und Kommunikationsdesign-Studenten in die Ausstellungskonzeption integriert.

Oliver Fritz, der an der HTWG Konstanz digitales und parametrisches Entwerfen lehrt, hat mit seinen Studenten zudem die Modelle digitalisiert und aus Wellpappe gebaut. Innerhalb nur eines Semesters gestalteten die Studenten die Ausstellung mit den schlichten, schwarzen Gittern, an denen die Schautafeln sowie Hörstationen und Abstimmungsboxen befestigt sind.

Beim schwimmenden Konzerthaus fiel die Abstimmung anders aus als bei der Brücke: Hier stimmten mehr Besucher dafür, dass es hätte verwirklicht werden sollen. Dies wundere insofern nicht, als es Konstanz auch heute noch an Kulturräumen fehle, wie David Bruder, Historiker und Direktor des Museums Rosenegg, sagt.

Das schwimmende Konzerthaus war eine Reaktion auf den Platzmangel

Dabei wird in der Stadt schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts über den Bau eines Konzerthauses diskutiert. Zuletzt plante der Architekt Noel Rabuffetti in seiner prämierten Masterarbeit 2018 besagtes schwimmende Konzerthaus: das „Arquistica“. Damit reagierte er auf den Platzmangel an Land. Das Konzerthaus sollte an vier Bojen befestigt werden und über Wassertaxis erreichbar sein. Sein Entwurf zeigt einen sechseckigen Konzertsaal, der wie ein Schiffsbauch bis zu 20 Meter unter einer 150 Meter langen Plattform hängt. Im Inneren gruppieren sich die Zuschauerränge mit 1200 Plätzen nach dem Weinbergprinzip um die zentrale Bühne. Es sollte auch Restaurants und Kunstausstellungen geben. Um dieses Konzerthaus zu bauen, bräuchte es indes sehr zahlungskräftige Sponsoren.

Verworfenes Doppelhochhaus am Standort Klein-Venedig. Foto: StZN/Bauverwaltung Kreuzlingen

Doch nicht nur an Kulturbauten fehlt es in Konstanz, sondern auch an Wohnraum. Im Jahr 2005 stellte das Architektur- und Ingenieurbüro Atkins aus England eine Anfrage für ein Bauprojekt auf der Grenze. Direkt am See sollte auf dem in den 1950er Jahren aufgeschütteten Gebiet namens Klein Venedig ein Doppelhochhaus entstehen, das wie zwei Segel die Grenze flankiert. Der Kreuzlinger Stadtrat zeigte sich interessiert. Doch schon aufgrund der Lage auf der Grenze und der damit verbundenen baurechtlichen Situation zweier Staaten war das Projekt schließlich nicht realisierbar.

Auf dem Douglas-Areal in Konstanz, wo neben der historischen Villa Douglas heute die Schmieder-Kliniken stehen, setzte sich in einem Wettbewerb ein Halbrund mit Hotel, Wellenbad und Luxuswohnungen für 1500 Menschen durch – es wurde auch als „Kolosseum von Konstanz“ bezeichnet. Im März 1971 stimmte der Gemeinderat für das Bauprojekt. Doch schon im Sommer des Jahres machte der sogenannte Bodensee-Erlass des baden-württembergischen Innenministeriums solche am Ufer gelegene Großbauten unmöglich.

Das Bodensee-Leitbild, das seit 1994 existiert und von allen angrenzenden Staaten getragen wird, untersagt neue Bauten im Uferbereich. Daran scheiterte auch ein Vorhaben von 2005, das Projekt „Goldene Schale“. Die moderne Luxus-Pfahlbausiedlung war die Idee des Vorarlberger Gastronomen Jürgen Mohr. Mit einer Grundfläche von 17 000 Quadratmetern sollte sich die Siedlung – auf 21 Pfählen zwischen der Kreuzlinger Hafeneinfahrt und der Landesgrenze stehend – in den See erstrecken. Geplant waren dort Hotels, Restaurants, eine Kunst- und Veranstaltungshalle sowie Wohnungen mit eigenen Bootsliegeplätzen.

Eine Art Petersdom für Petershausen

Pomp der etwas anderen Art hätte die Klosterkirche Petershausen dargestellt – wenn die sehr ambitionierten Pläne für den Stadtteil, in dem einst ein Benediktinerkloster stand, tatsächlich umgesetzt worden wären. Kolorierte Federzeichnungen aus dem 18. Jahrhundert zeigen eine gewaltige französisch-klassizistische Kuppelkirche mit Doppelturmfassade. Ein Petersdom für Petershausen. Die Namensgebung ist kein Zufall: Schon die Gründung des Klosters durch Bischof Gebhard im 10. Jahrhundert folgte der Idee, aus Konstanz ein zweites Rom zu machen.

1913 gab ein von Münchner Braukultur begeisterter Mann ein Projekt in Auftrag: Nahe seinem auf der Höhe gelegenen Landhaus im oberbayrischen Stil sollte der Vergnügungspark Ruppaner mit Biergarten, Musikpavillon und Gartenhaus entstehen. Der Erste Weltkrieg verhinderte dann allerdings die Ausführung. „Das ist eines der Projekte, auf das wir erst durch die Recherche für die Ausstellung gestoßen sind“, sagt Stefan Neubig, Präsident des Architekturforums Konstanz/Kreuzlingen. „Es wäre sonst weiterhin eine vergessene Utopie.“


Eine Brücke, die ungenutzt einfach so dastand: die „So-da-Brücke“

Ganz anders ist es mit der Brücke, die man auf der Rückfahrt von Kreuzlingen in Konstanz kaum umgehen kann, wenn man irgendwann auf die Autobahn will. Die Konstanzer träumten schon lange von einer zweiten Brücke über den Rhein – und da beim Bau einer Autobahn auch die dazugehörige Brücke vom Bund finanziert wird, bauten die Konstanzer 1975 kurzerhand diese riesige Brücke mitten in Konstanz. Dass Anlieger gegen das Projekt Klage eingelegt hatten, wurde ignoriert. Doch ebendiese Kläger erhielten nach der Fertigstellung der Brücke Recht, sodass sie ungenutzt einfach so dastand – was ihr den Namen „So-da-Brücke“ einbrachte. Von 1980 an konnte ein Teil der Brücke für den Verkehr freigegeben werden – 2007, nach einem Umbau und Teilabriss, schließlich die ganze. Eine Autobahn besitzt die Stadt aber freilich nach wie vor nicht.

Ade, Konstanz-Kreuzlingen. Uns spült es gewiss wieder zurück an dein Ufer, auf der Suche nach Utopien.

Info

Ausstellung
Die Ausstellung ist noch bis zum 9. März im Museum Rosenegg zu sehen.