Die Norwegerin Marte Olsbu Röiseland liegt nicht nur am Schießstand, sondern auch in der Weltcup-Gesamtwertung in Führung. Foto: imago/JOEL MARKLUND

Im Weltcup der Männer sind die Plätze eins bis vier von Norwegern besetzt, bei den Frauen sind es die Ränge eins und zwei. Wir nennen die Hintergründe über die norwegische Dominanz im Biathlon.

Stuttgart - In Norwegen müssen sich rund 482 000 Menschen eine WM-Medaille im Biathlon teilen. Elf Plaketten brachten die Sportler vergangenes Jahr aus Antholz zu den etwa 5,3 Millionen Untertanen von König Harald V. mit. In Deutschland kamen 16,5 Millionen Menschen auf eine WM-Medaille der Skijäger, da mussten sich rund 82 Millionen fünf Plaketten teilen. Statistik ist nicht alles, aber sie verdeutlicht manches. Im Biathlon sind die Skandinavier seit Antholz das Nonplusultra. In diesem Winter besetzen sie im Weltcup der Männer die Plätze eins bis vier, bei den Frauen die Ränge eins und zwei – bei der WM auf der Hochebene Pokljuka in Slowenien haben sich die Norweger mit der Mixed-Staffel gleich die erste Goldene gegriffen, die zu holen war. Erik Lesser, mit der deutschen Lauf- und Schießgemeinschaft auf Platz sieben, macht sich Gedanken zur Überlegenheit der Nordmänner und -frauen. „Die haben sicher einen größeren Pool an Talenten, dennoch arbeiten sie in allen Facetten besser als wir. Anders kann ich es mir nicht erklären“, sagte der 32 Jahre alte Routinier, „sie trainieren besser, sind besser und daher in der Endabrechnung meist vor uns.“

Aber was machen sie besser als der Rest der Welt? Im Biathlon, Skispringen und Langlauf wie in der Nordischen Kombination mischen die Norweger vorn mit. Die simple Erklärung: Weil’s Spaß macht! Wintersport ist die Nummer eins im Land, wie Fußball in Deutschland; es wundert sich hierzulande auch niemand, warum die Deutschen im internationalen Vergleich gut dastehen. Es ist Volkssport: Fußball hier, Wintersport dort. „Jeder zweite Norweger wird mit Langlaufskiern an den Füßen geboren, so wie bei uns vielleicht mit Fußballschuhen“, sagte der deutsche Biathlon-Nachwuchstrainer Zibi Szlufcik kürzlich. Immer im April kommen Jugendliche beim Skiskytterfestival in Liatoppen zwischen Oslo und Bergen zusammen und fordern sich im weltweit größten Biathlon-Wettkampf. Die über 1000 Startplätze sind in Minuten gebucht. In Deutschland dagegen gibt es rund 400 aktive Biathleten von Anfänger bis Routinier, was verdeutlicht, aus welchem Fundus die norwegischen Nachwuchstrainer schöpfen.

Norwegen ist ein reiches Land

Sport besitzt in Norwegen einen enormen Stellenwert, mehr als 90 Prozent der U-18-Generation sind Mitglied in einem Sportverein, wo die Jüngsten spielerisch ihre Grundausbildung erhalten. Wer ausreichend Talent sowie den nötigen Willen hat, besucht später eine der Sportschulen, wo die die Ausbildung zum Leistungssportler beginnt. „Es bedeutet viel für die norwegische Identität, im Wintersport richtig gut zu sein“, sagt Rektor Lars Tore Ronglan von der Sporthochschule Oslo. „Ich glaube nicht, dass es da ein Geheimnis gibt. Ich denke, das liegt an der engen Verbindung zwischen Breiten- und Leistungssport und an der guten Organisation.“ Das Land kann sich die Förderung leisten, Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee spülen Geld in die Staatskasse, ein Teil der Einnahmen fließen in den Sport. Eine gute Basisfinanzierung plus eine gut ausgebaute Infrastruktur plus eine gut situierte Forschung ergeben eine hohe Kompetenz. Dazu kommt: Das hohe gesellschaftliche Interesse am Wintersport lockt Sponsoren. „Die großen Verbände haben eine sehr gute finanzielle Situation“, betont Ronglan. Maßnahmen wie Trainingslager und Leistungsdiagnostik sind so in ausreichender Zahl möglich.

Sportler leben 250 Tage im Jahr zusammen

Talente und Taler sind zwei Zutaten im Rezept für Dominanz, die dritte: Teamgeist. Alle nationalen Equipen arbeiten nach demselben Muster – alle Sportler trainieren gemeinsam, wobei sie Wissen austauschen und eine Leistungskultur aufbauen. Bis zu 250 Tage im Jahr verbringen sie miteinander. „Wir arbeiten hart, wir haben Spaß gemeinsam – und pushen uns gegenseitig“, sagt Tiril Eckhoff, die Gold in der Mixed-Staffel gewonnen hat, „die interne Konkurrenz zahlt sich aus.“ Sigfried Mazet, Franzose und seit 2016 in norwegischen Diensten, betont: „Um ein gutes Team zu formen, ist es fundamental, dass man genießt miteinander zu leben. Als Trainer muss ich jeden auch als Mensch kennen.“ Die Stars halten auch den Kontakt zur Basis. Wenn in Liatoppen der Nachwuchs läuft und schießt, sind Johannes Thingnes Bö oder Marte Olsbu Röiseland anwesend – und schütteln bei der Siegerehrung am Abend jedem die Hand, ganz egal, ob eine „1“ oder eine „50“ auf der Urkunde steht.

Unschlagbar sind die Norweger nicht, das hat die Saison gezeigt, etwa in Oberhof beim Massenstart, als Julia Simon (Frankreich) vor Franziska Preuß (Haag) und Hanna Öberg (Schweden) ins Ziel kam. Erik Lesser weiß, wie man sie besiegt. „Wir sind darauf angewiesen, dass sie mit Fehlern anfangen. Dann müssen wir Profit schlagen und unsere Stärken umsetzen“, sagte er. Im Sprint an diesem Freitag (14.30 Uhr/ARD) könnte er die Theorie in die Praxis transferieren.