Das Ehepaar Fuchs in seiner Werkstatt in Radolfzell am Bodensee. Foto: Sichtlichmensch/Andy Reiner

Isabella und Chris Fuchs trennen 15 Jahre Altersunterschied. Das Paar hat am Bodensee einen Abschleppdienst und eine Großfamilie. Sie erzählen, welche Rolle ihr Alter für die Liebe spielt und warum sie schon so lange glücklich vereint sind.

In einem kleinen Raum hinter der Werkstatt mit rundem Esstisch, holzfurnierten Einbauschränken und Vitrinen sitzt vor einer großen Glasscheibe Nelly, der Graupapagei, und schaut auf die Hebebühne. Hallo, krächzt Nelly, und Chris Fuchs legt eine Brötchentüte auf den Tisch. Isabella, seine Frau, stellt die Kaffeemaschine an. Die Luft ist dick angemischt aus wilhelmaschwerem Federtiergeruch und kaltem Rauch, die Holzwände sind abgeblättert, die Polster der schwarzen Lederstühle von Nelly zerpickt, in den Ecken hängen dichte Spinnweben. Chris und Isabella Fuchs haben Nelly gerettet, sagen sie, jetzt wohnt sie hier, die Teeküche ist ihre Voliere. Und sie kann immer raus gucken in die Werkstatt, wo gerade ein stark tätowierter Mitarbeiter mit Ohrloch-Fleischtunnel einen Audi TT hoch fährt. Oder sie schaut durch die Fenster auf die Schrottautos im Hof und den Radweg nach Radolfzell. Chris zieht eine Scheibe Ei aus seinem Salamiweckle, legt sie Nelly hin.

Chris ist 38, Isabella 53, seit 15 Jahren sind sie verheiratet, haben Isabellas vier Kinder großgezogen. Zwei wohnen noch daheim in Steißlingen, zwei Enkel und zwei Hunde auch. Was gibt’s heut’ zum Essen? ist die häufigste Nachricht, die Isabella aufs Handy bekommt. Seit zehn Jahren haben Isabella und Chris einen Abschleppdienst. Sie ist die Kfz-Meisterin, er der Schlosser. Er sagt: Ich weiß aber besser, wie man Autos repariert. Sie: Du weißt halt immer alles besser. Er: Wenn du recht hast, geb ich dir recht, aber du hasch halt nie recht.

Alter spielt für sie keine Rolle – als sie sich kennenlernen ist er 21, sie 36

Heute Morgen sind Chris und Isabella noch etwas zerknittert und blass, ihre langen Haare haben sie beide zum strengen Zopf zurückgebunden. Chris braucht zwei Stunden, um wach zu werden, sagt Isabella. Daheim schüttelt sie ihn dann, er ist wie ein alter Dieselmotor. Wenn er endlich wach ist, will sie eine Pause. Jeder schafft sein Sach.

Die große Liebe trifft Chris und Isabella unerwartet. Das erste Mal sieht er sie hinter dem Tresen der Freiheit 40, drüben in Singen. Isabella zapft ein Helles, schaut zu, wie das Bier langsam einläuft, als Chris über die Theke fragt, ob sie nicht mal mit ihm ausgehen würde. Du gfällsch mir, sagt Chris und guckt sie frech an. Isabellas dunkle Locken hüpfen, als sie das Glas schwenkt. Sie schaut kurz auf, schüttelt den Kopf und lacht. Chris ist damals 21, Isabella 36, sie hat kleine Kinder und einen Partner, fühlt sich geschmeichelt. Ernst nimmt sie die Avancen nicht.

Sie hat die gleichen Interessen wie er, zum Beispiel Felgenkombinationen

Fast 20 Jahre später, 15 Jahre nach ihrer Hochzeit wirkt das lustig. Du hast mir sehr gefallen, sagt Chris zu seiner Frau. Auch erotisch. Isabella rollt mit den Augen. Damals hat sie Rock’n’Roll getanzt, Sport war ihr wichtig. Chris ist Isabellas zweiter Mann, das erste Mal isch’s schief ganga, wie sie sagt. Den Heiratsantrag hat Chris ihr gemacht, als sie gerade mal ein halbes Jahr zusammen waren. Sie lag abends nichts ahnend auf dem Sofa, ein Glas Wein hatte sie intus, da ging es plötzlich los. So romantisch war das nicht, sagt sie. Er: Aber gekniet bin ich immerhin.

Praktischerweise hat Isabella die gleichen Interessen wie Chris. Oldtimer, Youngtimer, besondere Felgenkombinationen. Isabella fährt gegen Abend oft noch zwei Stunden zur Aral-Tankstelle, wo sich die Roadrunner aus der Tuning-Szene treffen. Die anderen staunen dann, was sie alles weiß.

Jetzt klingelt das erste Mal an diesem Morgen das Handy beim Abschleppdienst Fuchs. Isabella geht ran. Unfall zwischen Twielfeld und Hilzingen: Alles klar, da fährsch du raus, was isch des genau? Mit der Brille oder mit dem Lkw? Es ist immer irgendwas. Wenn Isabella und Chris sich abends aufs Sofa fläzen, rechts und links eine Chipstüte, einen Film einschalten, klingelt meist das Telefon. Dann wälzen sie sich halt wieder hoch. Wann bist du überhaupt zuletzt abends auf dem Sofa gelegen und hast einen Film zu Ende geguckt? fragt Chris Isabella. Ja, gut, ist schon eine Weile her, keine Zeit. Spezialisiert sind sie auf schwierige Fälle, Bergungen schwerer Verkehrsunfälle, Diebstahl, Mord, illegale Autorennen.

Sichtbarer Altersunterschied – ein Kunde hielt ihren Mann für ihren Sohn

Neulich kommt ein Kunde nach hinten in die Teeküche, sagt zu Isabella: Ich hab gerade mit Ihrem Sohn gesprochen. – Hallo? Das ist mein Mann, sagt Isabella dann. Es ist nicht zu übersehen, dass sie einige Jahre älter ist als er. Aber zu kümmern scheint das beide nicht. Er ist reifer als ich, sagt sie. Andere in seinem Alter fangen jetzt an mit dem ganzen Programm: Heiraten und Kinder. Chris hingegen ist schon Opa, wie er sagt. Aber das passt zu seinem Inneren und dazu, wie er sich fühlt. Er glaubt, sein körperlicher Verschleiß, so nennt er es, sei höher als der anderer in seinem Alter.

Isabella stellt sich manchmal vor, wie das wäre mit einem alten Mann, also einem, der gleich alt ist wie sie. Abends käme der dann heim von seinem Arbeitstag auf dem Bürostuhl, würde klagen, was ihm alles weh tut, und sich dann mit einem Bier aufs Sofa legen. Nein, so etwas braucht sie nicht. Da kann sie verzichten. Frauen, die ältere Männer haben, denken wohl nicht daran, dass sie ganz früh Witwe werden, sagt Isabella. Das passiert ihr nicht.

Chris ist ein harter Kerl. Kein langweiliger Bürotiger. Er kann schrauben, schweres Gerät heben, jede Maschine steuern. Am Abend geht er trainieren, sein Körper ist aufgepumpt, Alkohol trinkt er nie. Vor ein paar Jahren hatte Chris einen Genickbruch. Vom Quad gefallen. Hat es gar nicht gleich gemerkt. Die Muskeln haben bis zur OP alles zusammengehalten. Damals war Chris eine 117 Kilo schwere Maschine. Ich bin ein medizinisches Wunder, sagt er, die Ärzte wissen nicht, warum ich noch laufen kann. Aber, sagt Isabella, bissle komisch läufsch du scho.

So eine Beziehung ist nichts für Labile, glaubt Isabella. Einmal fragt eine Frau, ob sie nicht Angst habe, dass er mit einer Jüngeren durchbrennt. Isabella: Ich hab immer gesagt, so lang es eben gut geht. Chris: Also ich hab gesagt, ich heirate nur einmal. Isabella: Wir sind uns eben nie einig.

Liebe mit Altersunterschied taugt nicht mehr zum Skandal

Manche schlagen sogar vor: Der sieht doch so gut aus, warum nimmt der sich keine Frau aus dem Modekatalog? Aber Schönheit ist ein weitgedehnter Begriff, meint Isabella. Ein älterer Typ sagte mal zu Chris: Na, hat se dich mit dem Lolli gelockt? Da musste er lachen. Egal, die meisten reagieren anders, verständiger. 90 Prozent der Leute haben das Wesentliche erkannt, sagt Isabella.

Die Liebe mit Altersunterschied taugt nicht mehr zum Skandal, ihr Schockmoment ist verpufft. Geschichten der Art ,Ältere Frau liebt jüngeren Mann‘ werden heute anders erzählt als zu Zeiten der übergriffigen Mrs Robinson mit ihren cringen Annäherungsversuchen (Mrs. Robinson, Sie versuchen, mich zu verführen oder nicht?). In Martin Kordićs Roman „Jahre mit Martha“ verliebt sich völlig unprätentiös eine blonde Professorin aus Heidelberg in einen viel jüngeren Mann, Kind einer Putzfrau und eines Hausmeisters aus der Herzegowina. In der schwedischen Netflix-Serie „Liebe und Anarchie“ beginnt eine junge Mutter einen Flirt mit einem deutlich jüngeren Kollegen und bricht mit ihm spielerisch Konventionen. Viel mehr als spielerische Grenzen gibt es nicht mehr zu überwinden. Im Gegenteil, diese Art von Liebe hat sogar mehr Freiheiten als andere. Keine pupslangweiligen Pärchenabende oder gemeinsame Altersvorsorge.

Vielleicht gerade deswegen verleitet sie dazu, sich doch in feste Rollen zu fügen – freiwillig. Wenn Isabella mal drei Tage weg ist, sagt Chris: Fahr nur, ich mache hier alles. Und dann stapeln sich die Wäscheberge. Er weiß nicht, auf welches Knöpfle man bei der Waschmaschine drücken muss, weiß aber, wie man sie repariert, klar. Für die Kinder hat er in der Zeit dreimal Lyoner in der Pfanne angebraten und am Ende die Tochter kochen lassen. Bleib du mir nur raus aus meiner Küche, sagt Isabella, und schwätz mir da nicht rein. Er grinst. Sie spielen Mann und Frau, und wie jedes Spiel ist es ernst gemeint.

Ihre Beziehung mit Altersunterschied ist heute nicht mehr so impulsiv

Das ist auch schon alles an Bürgerlichkeit, was sie aufzubieten haben. Obwohl das mit der Impulsivität und dem Drama auch ein bisschen nachgelassen hat. Früher war es wilder. Unabhängig voneinander haben beide noch in der Hochzeitsnacht gegoogelt: Ehe binnen 24 Std. annullieren – geht das?

Diese alte Porzellanmanufaktur in Gräfenthal, Thüringen, haben Isabella und Chris gekauft. Foto: MDR/Screenshot StZ

Ging nicht. Da ist er mir schon auf die Nerven gegangen, sagt sie. Man will seinen Standpunkt klarmachen, sagt er. Wie oft hat er in den ersten Jahren seine Sachen gepackt und in den Kofferraum geworfen, ist weggefahren: Ich lass mich scheiden! Mit der Zeit hat er immer weniger Koffer mitgenommen, dann gar keine mehr. Nach ein paar Stunden hat sie meist das Auto wieder in der Einfahrt gehört. Irgendwann hat er ganz aufgehört mit den Auftritten. Und das mit dem Scheidenlassen hat er dann halt auch nicht mehr gesagt. Du wirst unglaubwürdig, sagt er.

Liebe gibt es nicht ohne Blessuren. Was hat Nelly eigentlich da am Flügel? In der Teeküche der Werkstatt beugt sich Chris jetzt über den Papagei. Nelly streckt ihren linken Flügel eigenartig weg, als wäre er gebrochen. Muss man beobachten. Zweimal war Isabella von Chris schwanger. Aber es hat nicht sein sollen. Wie alt wär es jetzt? fragt Chris sich selbst – 12. Das hört wohl nie auf, dieses Fragen: Wie alt wär es jetzt?

Das Geheimnis ihrer Liebe: Abends nicht vor dem Handy sitzen

Doch den Blick richten sie nach vorne. Vor zwei Jahren hat sich Isabella in den Kopf gesetzt, eine zerfallene Porzellanmanufaktur in Thüringen zu kaufen, 10 000 Quadratmeter Nutzfläche, 501 Euro Kaufpreis. Durch Zufall hat sie das Fabrikgelände entdeckt. Einen Tag vor dem Abriss haben Isabella und Chris das Gebäude gekauft. In ihrem Leben geschieht nichts ohne diese zugespitzte Dramatik. Gewundert hat sich keiner in der Familie. Die wissen, dass wir verrückt sind, sagt Chris. Bald soll der Sohn das Abschleppgeschäft am Bodensee übernehmen. Chris und Isabella ziehen nach Thüringen.

Wir sitzen abends nicht vor dem Handy, sagt Isabella. Was zum Schwätzen gibt’s immer. Am liebsten sind wir 24 Stunden zusammen, sagt Chris. Einmal hat eine Frau angerufen und geschrien, Chris solle sich von ihrem Mann fernhalten, er sei ein schlechter Einfluss, schließlich sei er mit ihrem Mann und einer Stretch-Limousine im Puff gewesen. Hä? Zum Glück ist Chris immer mit Isabella zusammen, sonst hätten ihr schon Zweifel kommen können, meint er. Aber klar, das war Quatsch. Nelly krächzt: Quatsch.