In Berlin ist die Sperrstunde vom Verwaltungsgericht gekippt worden. Foto: dpa/Annette Riedl

Erst das Beherbergungsverbot, nun die Sperrstunde: Die Maßnahmen von Bund und Ländern zum Eindämmen der Corona-Pandemie finden vor Gericht wenig Zustimmung. Die Zahl der Neuinfektionen steigt derweil stetig weiter.

Berlin - Nach den Urteilen gegen die Beherbergungsverbote in mehreren Bundesländern hat ein Gericht erstmals eine Sperrstunde gekippt. Das Berliner Verwaltungsgericht gab am Freitag Eilanträgen von Gastronomen gegen die am vergangenen Wochenende in Kraft getretene Sperrstunde von 23.00 Uhr abends bis 6.00 Uhr morgens statt. Auch das Beherbergungsverbot für Urlauber aus Regionen mit hohen Infektionszahlen wird immer löchriger. Bayern lässt es an diesem Freitag auslaufen, wie Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) der Deutschen Presse-Agentur in München sagte. Auch Hessen plant die Abschaffung.

Sperrstunden sind ein zentraler Baustein im Konzept von Bund und Ländern, um die auch in Deutschland stark steigenden Neuinfektionen in den Griff zu bekommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder hatten am vergangenen Mittwoch vereinbart, dass ab einem Wert von 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen eine Sperrstunde um 23.00 Uhr für Gastronomiebetriebe zwingend zu erlassen ist. Ab einem Wert von 35 Neuinfektionen wird eine Sperrstunde empfohlen.

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Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Freitagmorgen 7334 neue Corona-Infektionen innerhalb eines Tages - der höchste Wert seit Beginn der Pandemie. Am Vortag waren es 6638 neue Fälle gewesen. Die jetzigen Werte sind nur bedingt mit denen aus dem Frühjahr vergleichbar, weil mittlerweile wesentlich mehr getestet wird - und damit auch mehr Infektionen entdeckt werden.

Vermehrt Corona-Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen

Bei den intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten zeichnet sich ein deutlicher Anstieg ab. Laut RKI-Lagebericht wurden am Donnerstag 655 Corona-Infizierte intensivmedizinisch behandelt, 329 davon wurden beatmet. Eine Woche zuvor (8.10.) hatte der Wert noch bei 487 (239 beatmet) gelegen.

Laut RKI werden wieder vermehrt Corona-Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen gemeldet. „Da sich wieder vermehrt ältere Menschen anstecken, nimmt die Anzahl der schweren Fälle und Todesfälle zu“, schreibt das Institut in seinem Lagebericht von Donnerstagabend. Im Frühjahr hatte es mehrere große Corona-Ausbrüche in Altenheimen mit vielen Toten gegeben. Ältere Menschen gelten generell als anfälliger für einen schweren Verlauf von Covid-19.

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) nannte die Corona-Lage im „Frühstart“ von RTL/ntv „deutlich ernster“ als im Frühjahr. Es gebe einen steilen Anstieg der Zahlen. „Wir erwarten nicht, dass die Zahlen morgen geringer werden.“ Auf die Frage, wie nah Deutschland an einem zweiten Lockdown sei, sagte der CDU-Politiker: „Das haben wir selber in der Hand. Das A und O ist eben jetzt Vorsicht, sofort.“ Mit vertretbaren Maßnahmen könne man in den nächsten 14 Tagen die Lage wieder stabilisieren. Einen Lockdown brauche man jetzt nicht.

Die Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus hat laut einer Umfrage zugenommen. 43 Prozent der Menschen in Deutschland haben „sehr große“ oder „eher große Angst“; im Juli waren es 40 Prozent gewesen. Knapp die Hälfte der Befragten gab an, keine Angst zu haben. Das geht aus dem aktuellen YouGov-Covid-19-Tracker hervor, der am Freitag veröffentlicht wurde. 72 Prozent glauben zudem, dass die Corona-Lage in Deutschland derzeit schlimmer wird.

Auch in Bayern fällt Beherbergungsverbot

Das Beherbergungsverbot war beim Corona-Gipfel am Mittwoch im Kanzleramt hochumstritten gewesen. Länder wie Nordrhein-Westfalen und Thüringen setzten es gar nicht um, andere wie Mecklenburg-Vorpommern halten bis heute strikt daran fest. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hat nur die Bereitschaft signalisiert, die in ihrem Land besonders strengen Regelungen etwas zu lockern. Bund und Länder fanden denn auch keine Einigung und vertagten das Thema bis zum 8. November.

Am Donnerstag kippten dann Gerichte in Baden-Württemberg und Niedersachsen die dortigen Verbote. Sachsen und das Saarland strichen die Regel freiwillig. Die Rechtssprechung ist allerdings nicht eindeutig. Das Oberverwaltungsgericht in Schleswig-Holstein wies am Donnerstag einen Eilantrag gegen das Beherbergungsverbot ab.

Dass das Verbot auch in Bayern fallen werde, hatte Ministerpräsident Markus Söder schon am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ angekündigt. Die Einschränkungen für Urlauber aus Corona-Hotspots seien im Kampf gegen die Seuche „in der Tat nicht das Wichtige“, sagte er dort. „Auch bei uns wird das so sein, dass wir das Stück für Stück auslaufen lassen.“ Voraussetzung sei aber, dass die Menschen sich an die neuen, strengeren Beschränkungen hielten.

Zwei Drittel der Bevölkerung für einheitliche Regelungen

Nach der Regelung durften Touristen aus Gegenden mit besonders hohen Infektionszahlen nur in ein Hotel oder eine Ferienwohnung, wenn sie einen negativen Corona-Test vorlegen konnten, der nicht älter als 48 Stunden war. In Mecklenburg-Vorpommern ist darüber hinaus eine fünftägige Quarantäne und anschließend ein zweiter negativer Corona-Test vorgeschrieben.

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Prof. Michael Meyer-Hermann, Leiter der Abteilung System Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, zeigte sich enttäuscht über die Ergebnisse der Bund-Länder-Runde. „Wir haben Zeichen, dass das Virus sich gerade unkontrolliert ausbreitet“, sagte er am Donnerstagabend im ZDF-„heute-journal“. Er habe deshalb am Mittwoch bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Kanzleramt eine „große Warnung“ ausgesprochen. „Die Maßnahmen, die erfolgt sind, sind nicht die, die ich mir erhofft hatte“, bedauerte Meyer-Hermann.

Die Nachverfolgung der Infektionen könne vielerorts nicht mehr gewährleistet werden. „Die Bevölkerung muss einfach verstehen, dass es jetzt um die Wurst geht“, sagte der Experte. Die Menschen müssten Feste viel stärker einschränken und auf Reisen - wenn möglich - verzichten und konsequent Maske tragen.

Laut einer Umfrage im Auftrag des ARD-„Morgenmagazins stoßen die unterschiedlichen Maßnahmen und Regelungen in den Bundesländern bei den Bürgern auf wenig Akzeptanz: Gut zwei Drittel (68 Prozent) befürworten eher einheitliche Regelungen für Deutschland. Nach einer Forsa-Umfrage für RTL hat eine große Mehrheit der Bürger (74 Prozent) nicht den Eindruck, dass Bundesregierung und Bundesländer bei der Eindämmung der Corona-Pandemie gut zusammenarbeiten.