Viele Hausärzte finden keine Nachfolger. Foto: dpa/Britta Pedersen

Lange Wartezeiten, zu wenig Ärzte und Pfleger, Klinikschließungen – im Medizinsektor hakt es an vielen Stellen. Das zeigt auch der aktuelle Bawü-Check.

Ein wachsender Anteil der Menschen in Baden-Württemberg sorgt sich um die Qualität der Gesundheitsversorgung im Land. Das ist eines der Ergebnisse des aktuellen Bawü-Checks. Bei der regelmäßigen Umfrage der baden-württembergischen Tageszeitungen gibt ein Drittel der Befragten an, in ihrer Region sei die Gesundheitsversorgung alles in allem „weniger gut“ oder „gar nicht gut“. Im Jahr 2010 waren nur 16 Prozent oder rund ein Sechstel der Befragten dieser Ansicht gewesen. Im gleichen Zeitraum ging der Anteil derjenigen, die der Versorgung in ihrer Region die Note „sehr gut“ oder „gut“ gaben, von 82 Prozent im Jahr 2010 auf aktuell 66 Prozent zurück.

Gibt es regionale Unterschiede?

In der Umfrage zeigt sich ein deutliches Stadt-Land-Gefälle: In Dörfern mit bis zu 5000 Einwohnern kommen die beiden negativen Bewertungen „weniger gut“ und „gar nicht gut“ zusammen auf einen Anteil von 41 Prozent. In Großstädten mit mindestens 100 000 Einwohnern ist dieser Wert mit 20 Prozent nur knapp halb so hoch. Spiegelbildlich dazu liegt der Anteil der Noten „sehr gut“ und „gut“ in Dörfern bei 58 und in Großstädten bei 78 Prozent. Kleine und mittlere Städte liegen jeweils dazwischen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Klagen über einen Mangel an Ärzten. Demnach sind in Dörfern 50 und in Kleinstädten immerhin noch 40 Prozent der Umfrageteilnehmer der Ansicht, dass es an ihrem Wohnort zu wenig Ärzte gebe. In Großstädten liegt dieser Wert bei lediglich 28 Prozent. Tatsächlich haben niedergelassene Ärzte insbesondere im ländlichen Raum vielerorts Probleme, Nachfolger für ihre Praxen zu finden.

Wie gut ist die Hausarzt-Versorgung?

Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) gibt es im Südwesten derzeit fast 1000 offene Hausarztsitze – 2019 waren es erst 625. Insgesamt hat die Zahl der Ärzte zwar zugenommen. „Doch die Zahl der Arbeitsstunden pro Kopf ist zurückgegangen“, sagt ein Sprecher der KVBW. Zum einen sei die Teilzeitquote gestiegen, zudem gebe es mehr angestellte Ärzte, die oft weniger Stunden arbeiteten als selbstständige niedergelassene Mediziner. „Unter dem Strich hat sich die Versorgungssituation deshalb verschlechtert“, so der Sprecher, der die Ergebnisse der aktuellen Umfrage gut nachvollziehen kann.

Welche Ärgernisse im Umgang mit Ärzten, Apotheken und Kliniken werden am häufigsten beklagt?

Rund 37 Prozent berichten von einer Verschlechterung, wenn es um ihre persönliche Erfahrungen im Gesundheitswesen der vergangenen zwei Jahre geht. Etwa 16 Prozent von einer Verbesserung. 42 Prozent sehen hingegen keine wesentliche Veränderung.

Die Liste negativer Erfahrungen wird von den teils langen Wartezeiten auf Arzttermine angeführt (83 Prozent). Dahinter folgen Schwierigkeiten, überhaupt einen Arzt zu finden, der einen als Patienten aufnimmt, Probleme mit der Medikamentenversorgung sowie Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen in der Krankenversicherung.

Beim Kritikpunkt Leistungskürzungen zeigt sich zudem ein deutlicher Unterschied zwischen gesetzlich und privat Krankenversicherten. Während von der letztgenannten Gruppe nur 13 Prozent den Eindruck haben, ihnen sei schon einmal eine Behandlung oder ein Medikament aus Kostengründen vorenthalten worden, ist das bei 38 Prozent der gesetzlich Versicherten der Fall.

Welche Reformen werden vorgeschlagen?

Die Teilnehmer des BaWü-Check wurden auch nach konkreten Reformvorschlägen für das Gesundheitssystem befragt. An oberster Stelle steht dabei die Forderung, „den Pflegeberuf attraktiver zu machen“. Tatsächlich klagen niedergelassene Mediziner sowie Krankenhäuser über wachsende Probleme, qualifiziertes Pflegepersonal zu finden. Weit vorne in der Liste der Reformvorschläge stehen zudem der Abbau von Bürokratie im Medizinsektor, eine besseren Versorgung auf dem Land sowie eine gleiche Behandlung aller Patienten – unabhängig von ihrem Versicherungsstatus. Jeder zweite plädiert in diesem Zusammenhang für eine Aufhebung der Trennung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung.

Kann Telemedizin eine Lösung sein?

Vorteile versprechen sich viele von der Digitalisierung des Gesundheitswesens, die in vielen anderen Industrieländern schon deutlich weiter fortgeschritten ist. können sich 52 Prozent der Baden-Württemberger statt eines Praxisbesuchs auch eine Videosprechstunde mit ihrem Arzt vorstellen, vier Prozent haben diese Möglichkeit bereits genutzt. Allerdings legt die Umfrage zugleich große Unterschiede zwischen sozialen Schichten offen. Insbesondere Ältere wie auch Menschen aus niedrigeren Einkommensschichten sind nicht so offen für telemedizinische Angebote wie jüngere und besser verdienende Bürgerinnen und Bürger.

Wie macht sich die Krankenhausreform auf Patientenebene bemerkbar?

Rund 32 Prozent der Befragten geben an, dass in ihrem Umfeld bereits Kliniken geschlossen oder zusammengelegt worden sind, weitere 28 Prozent berichten, dass es in ihrer Region entsprechende Überlegungen gibt. Insgesamt 60 Prozent sehen sich daher aktuell oder in absehbarer Zeit vom Umbau der Kliniklandschaft betroffen. Bei der Erhebung im Jahr 2022 war dies lediglich bei 46 Prozent der Umfrageteilnehmer der Fall. Ähnlich wie beim Ärztemangel gibt es auch bei der klinischen Versorgung ein deutliches Stadt-Land-Gefälle. In den Regierungsbezirken Tübingen und Freiburg wird die Krankenhaussituation am schlechtesten beurteilt, der Regierungsbezirk Karlsruhe schneidet dagegen überdurchschnittlich gut ab, der Regierungsbezirk Stuttgart repräsentiert etwa die Mitte.

Wie wird die Krankenhausreform bewertet?

Obwohl sich in der aktuellen Umfrage mehr Menschen von Klinikschließungen oder -zusammenlegungen betroffen sehen als 2022, befürchten weniger negative Folgen für ihre eigene klinische Versorgung: Sahen vor zwei Jahren 54 Prozent der Befragten Krankenhausschließungen in ihrer Region als großes Problem an, sind es nun 46 Prozent. Allerdings sind auch hier die Befürchtungen im ländlichen Raum größer als in dichter besiedelten Regionen.

Gleichzeitig glauben fast 60 Prozent der Befragten, dass sich Versorgungslücken infolge der Klinikreform zumindest teilweise oder ganz durch den Aufbau Medizinischer Versorgungszentren kompensieren lassen. In solchen Einrichtungen arbeiten Ärzte verschiedener Fachrichtungen zusammen. Mit Hilfe der Versorgungszentren soll es möglich werden, einen Teil der bisherigen stationären Behandlungen ambulant vorzunehmen.

Wie bewerten Patientenschützer die Umfrageergebnisse?

Die Ergebnisse sind für den Sozialverband VdK Baden-Württemberg nicht überraschend: „Wir bemerken eine zunehmende Verunsicherung in der Bevölkerung“, sagt der Landesvorsitzende Hans-Josef Hotz unserer Zeitung. Zwar sei die medizinische Versorgung nach wie vor auf einem hohen Niveau. Dennoch seien die Hürden für gesetzlich Versicherte sehr hoch: „Wir fordern eine Abschaffung des Zwei-Klassen-Systems bei der Krankenversicherung.“ Gleichzeitig müsse die Gesundheitspolitik im Umgang mit der Krankenhausreform umsichtiger vorgehen: „Qualität geht vor Quantität“, sagt Hotz im Blick auf die geplanten Zusammenlegungen und Schließungen von Kliniken. Dennoch brauche es mehr Augenmaß: „Dort wo Veränderungen entstehen, müssen die Menschen besser aufgeklärt werden, wie ihre zukünftige gesundheitliche Versorgung auch im Notfall organisiert wird.“

Der BaWü-Check

Format
 Im Rahmen des BaWü-Checks werden Menschen aus dem Land im Auftrag der baden-württembergischen Tageszeitungen regelmäßig zu wichtigen Themen befragt. In der mittlerweile 20. Welle steht die Gesundheitsversorgung im Mittelpunkt.

Auswahl
An der repräsentativen Befragung, die vom 19. bis zum 28. August dauerte, nahmen 1010 Personen in Baden-Württemberg Personen ab 18 Jahren teil. Die für die Befragung ausgewählten Personen bekamen per E-Mail eine Einladung und gelangten von dort über einen Link zu einem Online-Fragebogen.

Stimmung
In der aktuellen Erhebung wurde auch nach der allgemeinen Stimmungslage der Bevölkerung gefragt. Auf die Frage, wie sie den kommenden zwölf Monaten entgegensehen, antworteten 32 Prozent „Mit Hoffnungen“, 28 Prozent „Mit Skepsis“ und 26 Prozent „Mit Befürchtungen“.