Die Aufführung „Schwanensee“ des Stuttgarter Balletts im Staatstheater sahen die Zuschauer im Schlossgarten live auf einer großen Leinwand. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Kein Platz mehr frei: 4999 Menschen sehen am Samstag kostenlos den „Schwanensee“ auf großer Leinwand im Stuttgarter Schlossgarten. An diesem Sonntag läuft dort eine weitere Übertragung – und das Stück für das kommende Jahr steht auch schon fest.

Die Wiesen rund um den Eckensee sind für gewöhnlich Territorium der Nilgänse. An diesem Samstagabend aber beherrschen 24 Schwäne und eine alle überstrahlende Schwanenprinzessin den oberen Schlossgarten. Zur 16. Auflage von „Ballett im Park“ hat das Stuttgarter Ballett den „Schwanensee“ in der so menschlichen Interpretation von John Cranko live von der Bühne im Staatstheater auf die Leinwand im Schlossgarten übertragen.

Vergangenes Jahr sahen 4300 Menschen Crankos „Onegin“. „Schwanensee“, der Klassiker, setzt erwartungsgemäß noch einen drauf. Nach dem dritten Akt verkündet Sonia Santiago, Stuttgarts einstige Erste Solistin und langjährige Moderatorin der Veranstaltung: Kein Platz mehr frei, die Wiese ist dicht. 4999 Menschen sind gekommen. Am Ende klatschen viele auch hier mehr als sieben Minuten lang für die Stuttgarter Kompanie im Staatstheater mit, die später vom Balkon hinüberwinkt.

Planbarer Erfolg mit „Schwanensee“: Kurz nach Einlass ist die Wiese gefüllt

Um 18.30 Uhr beginnt das Ballett. Schlange stehen sie im Park bereits, als sich die Tore der abgezäunten Wiese um 16 Uhr öffnen. Dagmar und Rainer Sturm aus Leinfelden-Echterdingen gehören zu den ersten – mit Zeitung und Roman zur Überbrückung. Seit 2012 sehen sie sich jedes „Ballett im Park“ an: „Wir saßen auch schon im Regen.“

Dagmar und Rainer Sturm sind seit 2012 von „Ballett im Park“ begeistert. Foto: Jana Gäng

Die Sonne brennt, Schattenplätze sind rar. Trotzdem strömen bis kurz vor Beginn Massen ein, quetschen sich manchmal zum Ärger der Nebensitzer auf freie Flecken. Gesellig ist man trotzdem. Picknickmitbringsel werden ausgetauscht, Decken und Fächer geteilt.

Der berühmte „Schwanensee“ lockt auch Neulinge. „Es ist mit seiner verständlichen Geschichte zum Mitfühlen ein tolles Einsteigerballett“, findet Viola Reuschenbach. Die 22-Jährige hat acht Jahre lang Ballett getanzt und ist zum ersten Mal hier. „Ballett ist nicht billig und gilt als Schickimicki, hier ist es entspannt“, sagt sie. „Wir waren oft im Ballett und Theater, aber in der Rente können wir uns die Karten nicht mehr wie früher leisten“, sagt auch Dagmar Sturm. Bei „Ballett im Park“ ist der Eintritt frei.

Zugänglichkeit bis zum Anglizismus

Zugänglich sein und ein anderes Publikum ansprechen will das Stuttgarter Ballett – so sehr, dass Santiago vorne das Stück jugendnah bis aufs Äußerste zusammenfasst. Da ist die Entdeckung der Schwäne für den Prinzen auch mal „strange“. Der Kanadier Reid Anderson war es, der als Intendant den Ballettstream nach Stuttgart holte. Im Angelsächsischen war die Liveübertragung von Kulturveranstaltungen schon weiter verbreitet.

Moritz Lerch und Viola Reuschenbach studieren in Tübingen und sind zum ersten Mal bei „Ballett im Park“. Foto: Jana Gäng

Finanziert sind Leinwand, Kamera- und Tontechnik unübersehbar von Porsche, Hauptsponsor des Stuttgarter Balletts. Vor dem Staatstheater parken gar zwei Taycan für Fotos – bis in die Farben hinein passend zum Weißen und Schwarzen Schwan.

Bestechende Luft- und Nahaufnahmen

Das Marketing-Tamtam lohnt sich. Bestechende Perspektiven fangen die elf Kameras im Saal ein. Im Park blicken sie von oben auf 24 Schwäne, die sich in perfekter Synchronität drehen, drehen, drehen.

„Diese Emotionen im Gesicht und die feine Gestik erkennt man wahrscheinlich nicht einmal in den vorderen Reihen“, sagt Dagmar Sturm. Auf der Leinwand aber zittert im 16:9-Format der Zeigefinger der Königin, die den allzu sorglosen Prinzen Siegfried (Henrik Erikson) zurechtweist, und mit dämonischer Mimik triumphiert Elisa Badenes als Odile im dritten Akt beim Schwarzer Schwan Pas des deux.

Der erste Zwischenapplaus geht an Mikhail Agrest, der das Stuttgarter Staatsorchester leitet. Die Tonqualität draußen überzeugt – „und die Musik von Peter Tschaikowsky sowieso“, sagt Anna-Maria Krauth-Huber, 65, aus Tübingen. „Ich bin ergriffen.“

Erste Solistin Elisa Badenes leidet und leuchtet

Elisa Badenes als Odette und Odile aber überstrahlt für viele Besucher alle. „Einfach fantastisch, wie sie tanzt, großartig“, sagt Jenni Tomaschew, 40, aus Karlsruhe. Ballett auf der Bühne werde sie sich auch weiterhin kaum ansehen – aber wiederkommen zu „Ballett im Park“.

Möglich ist das bereits an diesem Sonntag um 11 Uhr, wenn die Matinee des Nachwuchses der Cranko-Schule auf der Leinwand im Oberen Schlossgarten läuft. Oder im kommenden Jahr, am 26. Juli, dann mit „Don Quijote“.