Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Sagen wir‘s gleich: Die Fahrt mit dem rumpelnden Förderkorb in eine Tiefe von 180 Metern unter der Oberfläche ist nicht nur eine faszinierende Tour ins älteste mitteleuropäische Steinsalzbergwerk seiner Art, nicht nur die damit verbundene Reise in die Frühgeschichte der Erde, sondern auch ins Grauen der jüngeren deutschen Geschichte. Hier unten, im heutigen Besuchersalzbergwerk Bad Friedrichshall-Kochendorf, mussten ab September 1944 bis März 1945 KZ-Häftlinge schuften: nicht im Salzabbau, sondern für die Rüstungsindustrie. Die Nazis hatten eigens das Konzentrationslager Kochendorf eingerichtet, ein Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof im Elsass, um in der Bergwerkstiefe, unerreichbar für alliierte Bombenangriffe, in Zwangsarbeit Flugzeugteile montieren zu lassen. Die Arbeitsbedingungen waren grauenhaft und für Hunderte der Häftlinge tödlich, getreu der von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels ausgegebenen Losung „Vernichtung durch Arbeit“.

Gedenken an KZ-Häftlinge

Es ehrt die Südwestdeutschen Salzwerke, Betreiberfirma des Bergwerks, dass sie der Opfer gedenken und die Täter benennen. Eine hervorragende Ausstellung in einer Abbaukammer stellt die damalige Situation dar, bleibt aber nicht im Allgemeinen, sondern schildert an persönlichen Beispielen das Leid der Opfer und die Brutalität ihrer Peiniger - kritisch und ohne Schönfärberei. Es ist dies ein denkwürdiger, trauriger, aber notwendiger Kontrast zur Magie des Ortes, der mit seinen Gängen und Gelassen, seinen gigantischen Hallen und Sälen trotz aller Technologie die Bergwerksromantik von Novalis bis E.T.A. Hoffmann beschwört - und zumindest mit der 40 Meter langen Rutsche am Ende des Rundgangs einen gehörigen Spaßfaktor bietet.

Einzigartige Erlebnisästhetik

Freilich mögen weder Romantik noch Spaß mit der selbst unter regulären Bedingungen harten Bergarbeit allzuviel zu tun haben. Auch wurde hier nur nach dem „weißen Gold“ geschürft, dem Salz, in lang vergangenen Jahrhunderten immerhin kaum weniger wertvoll als das Edelmetall. Doch dies alles tut der einzigartigen Erlebnisästhetik keinen Abbruch. Man fühlt sich ein bisschen wie in der unterirdischen Stadt in Fritz Langs „Metropolis“. Apropos Ästhetik: In bitterironischer Verkehrung diente ihr in Nazi- und Weltkriegszeiten zum Schutz, was menschliche Vernichtungsstätte war. Wertvollste Kunstwerke und Archivbestände, von Grünewalds Stuppacher Madonna bis zu Briefmanuskripten Schillers und Notenhandschriften Beethovens, wurden im Kochendorfer Untergrund eingelagert und waren hier im Wortsinne so bombensicher wie die Rüstungsproduktion.

Doch wie kam das Salz selbst an seinen Ort? Es war vor rund 200 Millionen Jahren, als die heutige Region um Bad Friedrichshall und Heilbronn Teil eines riesigen und recht flachen Randmeeres war, das an einen tiefen Ozean grenzte. Allmählich bildete sich eine Landzunge, welche das Flachwasser abtrennte. Die damals herrschenden Wüstentemperaturen trockneten das Gewässer aus, beim Verdunsten blieben Salzkristalle übrig. Sie sanken im Laufe der folgenden erdgeschichtlichen Epochen unter neuen Gesteinsschichten in die Tiefe. Und dort wären sie in Finsternis verborgen geblieben, hätte nicht 1816, vor genau 200 Jahren, ein wackerer Bergrat namens Bilfinger die in 150 Meter Tiefe beginnende Salzschicht angebohrt.

Seine Existenz hatte das weiße Gold freilich schon vorher kund getan, durch salzhaltige Quellen welche zur Gewinnung des wertvollen Stoffs genutzt wurden. Neu in Mitteleuropa war jedoch das direkte Anbohren und Aufsprengen der Salzschichten. Zuvor wurde Salz im Siedeverfahren aus Sole, also salzhaltigem Wasser, gewonnen.

Salzabbau endete 1994

In Kochendorf endete der Salzabbau 1994, heute dienen die unterirdischen Areale, so sie nicht den Besuchern offenstehen, als Endlager für säuberlich eingetütete Industrieabfälle. Doch gleich nebenan, in Heilbronn, wird nach wie vor Salz gewonnen, allerdings kaum noch Speisesalz (sofern man Lecksteine für Tiere nicht dazu rechnet), sondern überwiegend Industrie- und Streusalze. Zwei Stollen, für Besucher allerdings nicht zugänglich, durchqueren die Salzlager vom Kochendorfer bis ins Heilbronner Bergwerk.

Blickt man an die Decke der riesigen Säle im Besucherbergwerk, scheint sich dort tatsächlich ein Bild der Erdgeschichte zu spiegeln: Wie ein brackig-düsterer Ozean kräuselt sich das graubraune Gestein, gekrönt von weißem Schaum als wären es gischtende Wellen. Es ist aber das Salzgestein, das sich zur Freude kleiner (und großer) Kinder natürlich auch unten auf dem Boden findet, freundlicherweise zum Haufen geschichtet, so dass kleinere Exemplare der durchsichtigen Steine als Gratis-Souvenir mitgenommen werden können. Größere gibt‘s zum Kaufen, und die schönsten zum Bestaunen im Kristallsaal: ein Reich der Transparenz zwischen dichten Gesteinswänden.

Lautstarke Schausprengung

So sind der Ort selbst, seine Aura und sein Bodenschatz Objekt des Staunens und Schauens. Die Inszenierung hält sich erfreulicherweise in Grenzen, auch wenn man in eine Laser-Lichtwelle eintauchen oder eine lautstarke Schausprengung auslösen kann. Für Informationshungrige gibt es sogenannte Kommunikationskuben, die alles über das Salz, seine Gewinnung und vielfältige Verwendung erzählen oder auch im Film schildern. Höchst anschaulich sind die Darstellungen zur Geschichte des Salzabbaus inklusive historischer Gerätschaften und einem modernen Maschinenpark mit monströs anmutenden Bohr- und Schneidevehikeln. Und da ein 160 Meter langer geologischer Bohrkern die Zeitreise in die Erdgeschichte weist, tummeln sich gleich auch jene Wesen, die vor 200 Millionen Jahren am und im Urmeer lebten: Saurier in realistischer Nachbildung.

Durch die Bergwerkskapelle mit der Statue der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, führt der Weg in den großartigen, 25 Meter hohen Kuppelsaal, wo einem Sancta Barbara gleich noch einmal begegnet: auf einem der ins Salzgestein gehauenen Wandreliefs von Hellmuth Uhrig und Rudolf Walter, entstanden in den 1930er-Jahren und mit ihrer klobig-kollektivistischen Ästhetik ein Ausdruck der Zeit des Faschismus.

Doch dafür naht nun auch der finale Höhepunkt, die 40-Meter-Rutsche. Damit der Spaß- nicht zum Schmerzfaktor wird, ist freilich Vorsicht geboten: Kleinere Kinder dürfen aus gutem Grund nur mit Erwachsenen rutschen, denn man nimmt enorm Fahrt auf auf den Rutschmatten. Und dann sollte man sich seinem sausenden Schicksal überlassen. Wer unsicher nach dem Rand greift, kriegt höllisch heiße Finger.

Tipps und Informationen

Anfahrt: Am besten mit der Bahn über Stuttgart-Hauptbahnhof, von dort nach Neckarsulm und mit Umstieg nach Bad Friedrichshall-Kochendorf. Der Bahnhof befindet sich direkt am Eingang des Bergwerksgeländes. Die Fahrzeit der schnellen Verbindungen (am Wochenende stündlich) beträgt ab Esslingen eine Stunde und 20 Minuten. Mit dem Auto über die B 10 zur Autobahnauffahrt Stuttgart-Zuffenhausen, auf der A 81 zum Weinsberger Kreuz, weiter auf der A 6 Richtung Mannheim bis zur Ausfahrt Neckarsulm, von dort auf der B 27 Richtung Bad Friedrichshall nach Kochendorf.

Öffnungszeiten: Da das Bergwerk teilweise noch genutzt wird, sind die Öffnungszeiten für Besucher eingeschränkt. Geöffnet ist in diesem Jahr bis 3. Oktober jeweils samstags, sonn- und feiertags von 9.30 bis 15.30 Uhr (letzte Einfahrt). Die letzte Ausfahrt ist um 17.30 Uhr. Im Winterhalbjahr ist das Bergwerk für Besucher geschlossen, die Saison beginnt in der Regel am 1. Mai.

Kleidung: Die Temperatur im Bergwerk beträgt konstant 18 Grad. Daher empfiehlt sich gerade auch im Hochsommer warme Kleidung. Der Rundgang unter Tage ist problemlos zu begehen, dennoch ist festes Schuhwerk ratsam.

Gastronomie: Die Bergschänke bietet über Tage in authentischem Ambiente gutbürgerliche Küche sowie Kaffee und Kuchen.