Wie der Abgastechnik-Spezialist aus Altensteig im Schwarzwald bei der Transformation vorankommt, einen Großauftrag für die Batteriegehäuse-Fertigung gewinnt und warum der Boysen-Chef auch nach 50 Dienstjahren noch weitermacht.
Abgastechnik-Spezialist Boysen aus Altensteig (Kreis Calw) will künftig Batteriegehäuse für Elektroautos fertigen und dafür ein neues Werk in Ungarn bauen, das Mitte 2025 in Betrieb gehen soll.
„Wir werden in Ungarn rund 130 Millionen Euro investieren und bis zu 400 Arbeitsplätze schaffen“, sagte Boysen-Chef Rolf Geisel. Man habe einen „Großauftrag zur Fertigung von Batteriegehäusen für die Elektroautos eines namhaften Premiumherstellers“ gewonnen, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. Das Auftragsvolumen liege bei „einem dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr“, so Geisel. Mit über 50 000 Quadratmetern sei das neue Werk der größte Standort der Unternehmensgruppe und müsse entsprechend den Vorgaben des Kunden durch den Einsatz moderner Energie- und Umwelttechnik komplett CO2-neutral betrieben werden.
Den Namen des Kunden nennt Boysen nicht. Allerdings dürfte es sich um BMW handeln. Der bayerische Autobauer hat im Juni 2022 den Grundstein für sein neues Werk im ungarischen Debrecen gelegt und will dort 2025 mit der Serienproduktion seines ersten auf einer reinen Elektroplattform stehenden Modells beginnen und mehr als eine Milliarde Euro investieren. Seitens BMW hieß es damals, das Werk werde als erste Autofabrik der Welt ausschließlich mit erneuerbarer Energie und damit komplett CO2-frei produzieren.
Von der Schalldämpferschale zum Batteriegehäuse
Boysen hat sich nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren intensiv mit möglichen Produkttransfers von der Abgastechnik hin zur Elektromobilität beschäftigt. „Ausgehend von der Grundidee sind wir hier den Weg von der Schalldämpferschale zum Batteriegehäuse gegangen“, so Geisel. Mit dem Großauftrag sieht er das Unternehmen beim Thema E-Mobilität nun „im Kreis der gewichtigen und ernst zunehmenden Mitspieler angekommen“. Boysen fertige zwar bereits seit 2021 am Standort in Simmersfeld verschiedene Strukturbauteile für E-Fahrzeuge, doch von den Dimensionen her sei das nicht vergleichbar.
Neben neuen Produktgruppen für alternative Antriebe – unter anderem will Boysen ab 2023 auch seine ersten Flüssigwasserstofftanks für schwere Lkw zur Erprobung auf die Straße bringen – sieht Geisel die Zukunft auch in der Energietechnik: Nach dem Einstieg 2019 ins Geschäft mit stationären Flüssigbatteriespeichern soll im Herbst Baubeginn für ein eigenes Wasserstoffzentrum in Simmersfeld sein. Darüber hinaus plant Boysen dort einen 15 Hektar großen Wind- und Solarpark, der den gesamten Nordschwarzwald mit grünem Strom versorgen soll.
Vom Azubi bis zum Chef
Dieses Jahr ist Geisel 50 Jahre bei dem Autozulieferer, wo er es vom Azubi bis zum Chef gebracht hat – erst der Dritte in der gut 100-jährigen Firmengeschichte. Warum der 66-Jährige nicht ans Aufhören denkt, sondern weitermacht? „Weil das meine Aufgabe ist“, sagte er. Die lange Dienstzeit stehe auf Kundenseite für Sicherheit und Beständigkeit. Folglich habe sein Wort auch dann Gewicht, wenn er den Kunden etwas verspreche, was Boysen bislang noch nie für sie gemacht habe. „In Zeiten der technologischen Transformation und mit Blick auf den Erhalt unserer Arbeitsplätze ist das für Boysen ein wesentlicher Faktor“, so Geisel.
In der Branche ist er bekannt, auch als harter Verhandler. Denn Geisel ist einer der Klartext redet – auch in schwierigen Preisverhandlungen mit seinen Kunden. „Das Druckpotenzial der Hersteller gegenüber ihren Zulieferern ist immens und nimmt ständig zu“, hatte er mal in einem Interview mit unserer Zeitung gesagt. Man vollziehe einen täglichen Spagat.
Werkzeugmacher-Lehrer als 16-Jähriger
Auch auf Wunsch des Verwaltungsrates hat sich der gebürtige Schwarzwälder, der 1956 in Simmersfeld-Ettmannsweiler und damit nur wenige Kilometer von der Firma entfernt zur Welt gekommen ist, entschlossen weiterzumachen.
Geisel kennt die Firma von der Pike auf. Als 16-Jähriger begann er 1972 bei Boysen eine Lehre zum Werkzeugmacher, schon im Alter von 22 Jahren wurde er Betriebsleiter des Werks in Altensteig-Walddorf. Firmenchefin Elisabeth Boysen setzte voll auf das Eigengewächs, nachdem sie mit externer Unterstützung nicht vorankam. Ab 1982 traf Geisel bei Boysen die wesentlichen Entscheidungen, ab September 1985 als offizieller Geschäftsführer. Boysen beschäftigte zu jener Zeit 450 Mitarbeiter und machte mit vier lokalen Standorten 60 Millionen Mark (umgerechnet 30,7 Millionen Euro) Umsatz.
Seit dem Tod von Elisabeth Boysen im Jahr 2006 führt Rolf Geisel das Familienunternehmen, das bereits 1997 in eine Doppelstiftung überführt wurde, als alleiniger Geschäftsführer.
Im Jahr 2021 machte Boysen gut 2,8 Milliarden Euro Umsatz. Weltweit sind 5300 Mitarbeiter beschäftigt, davon 2260 in Baden-Württemberg. Ergebniszahlen nennt das Unternehmen traditionell nicht. In diesem Jahr peilt Geisel den Sprung über die Umsatzmarke von drei Milliarden Euro an.