In der deutschsprachigen Wikipedia gab es Ende 2016 etwa 900 Autoren, die mehr als 100 Bearbeitungen pro Monat erledigten – 50 weniger als im Vorjahr. Zum einen mag der nachlassende Wikipedia-Hype daran schuld sein. Zum anderen sind für Anfänger.Für neue Autoren sind die technischen ­Hürden bei Wikipedia hoch. Foto: dpa-Zentralbild

Der Online-Enzyklopädie Wikipedia gehen Autoren verloren. Diese sind frustriert über die „Löschhölle“ und über die strengen Hierarchien in der Community. Ein Insider erzählt.

Die „Löschhölle“, wohin die Administratoren der Online-Enzyklopädie die Texte schicken, die ihrer Meinung nach nicht von großer Bedeutung sind, bekommt viel Futter. „Es passiert leider zu oft, dass schlechte Artikel gelöscht werden müssen“, sagen sie. Und das ist eigentlich auch verständlich: Schließlich will Wikipedia, das größte Lexikon der Welt, ihre Seriosität bewahren. „Der Artikel muss das Mindestniveau erfüllen und soll durch Quellen belegt sein“, lautet klipp und klar die Forderung der Wiki-Oberen. Doch ihre Entscheidungen lösen mitunter Frust bei den Autoren aus. Ein Insider beklagt „die Löschwut mancher Admins, von der wir alle genervt sind“.

Auch andere Wikipedia-Autoren waren gegen eine Löschung

Der Fall Franz W. sorgte für eine lebhafte Kontroverse unter Wikipedianern. Eine Woche lang wurde diskutiert, ob eine Löschung des Beitrags gerechtfertigt ist oder nicht. So schrieb „Mewa 767“: Der Beitrag sei „zwar noch nicht zufriedenstellend, doch eine regionale Relevanz von Franz W. dürfte unbestritten sein“. Und warnte: „Löschen sollte man den Artikel auf keinen Fall.“ Weil man die Autoren nicht demotivieren dürfe. Für den entscheidungsbefugten Administrator war die Sache jedoch klar: „Keine Relevanz im Artikel dargestellt.“ Und drückte den Löschknopf – ohne Rücksprache mit dem Autor.

Ein anderer Schreiber, der sich seitenlang über eine französische Weintrinker-Bruderschaft ausmehrte, blieb von Löschaktionen bisher verschont. Das Stück, dessen Relevanz man strittig sehen kann, ist bisher nicht im Visier der Wiki-Wächter.

Die Zahl der Autoren für Wikipedia geht immer mehr zurück

Der Autor des Franz-W.-Beitrags hat sich von Wikipedia frustriert zurückgezogen. Zumindest vorläufig. Ein Einzelfall, möchte man meinen. Tatsächlich aber geht die Zahl der Schreiber seit Jahren zurück. In der deutschsprachigen Wikipedia gab es Ende 2016 etwa 900 Autoren, die mehr als 100 Bearbeitungen pro Monat erledigten – 50 weniger als im Vorjahr. Zum einen mag der nachlassende Wikipedia-Hype daran schuld sein. Zum anderen sind für Anfänger die technischen Hürden ziemlich hoch. Erst einmal muss man sich mit einer Vielzahl von Satz- und Layoutbefehlen vertraut machen. Hilfeseiten gibt es zwar jede Menge, aber es geht ziemlich kompliziert zu, bis alles Wikipedia-gerecht aufbereitet ist. Beklagt wird auch der rüde Umgangston in der Wikipedia-Community. Neulinge beschweren sich oft über die Arroganz und Herablassung der Platzhirsche, die vieles besser zu wissen scheinen und häufig recht behalten wollen.

Wikipedia entschuldigt den Autorenschwund mit dem höheren Anspruch an die Artikel

Michael Schlesinger, der Wikipedia gegenüber der Presse vertritt, sieht vor allem die erhöhten Anforderungen an neue Artikel als Grund für den Rückgang der Autorenzahl. Gefragt sei Fachwissen auf hohem wissenschaftlichen Niveau. „So schnell mal einen Artikel zu schreiben, wie das noch um 2010 möglich war, ist nicht mehr möglich.“ Die Community achte sehr auf Quellen, Belege und Neutralität der Darstellung, so Schlesinger. Allein schon um den Ruf der deutschen Wikipedia zu schützen.

Tatsache ist, dass gegen Wikipedia im Netz zum Teil heftige Vorwürfe erhoben werden. Wer eine solche Verbreitung wie Wikipedia hat, der darf sich eben nicht wundern, dass ihm von vielen auf die Finger geschaut wird. Es ist ein Online-Medium, das allein in Deutschland täglich vier Millionen Menschen nutzen. Weil jeder jeden Eintrag beliebig verändern kann, finden auch völlig falsche Behauptungen Eingang in Wikipedia, schreiben die Kritiker.

Beiträge neuer User werden von erfahrenen Autoren überprüft

Gegen diesen Vorwurf argumentiert Schlesinger so: „Die Kritik an Wikipedia ist so alt wie sie selbst. Sie bezieht sich meist auf die Tatsache, dass theoretisch jeder mitschreiben darf, dass es keine Redaktion und vor allem keine Kontrolle gibt. Das mag zwar in den Anfangsjahren so gewesen sein, aber mittlerweile gibt absolut wirksame Mechanismen, die die Qualität von Einträgen überprüfen. So sind beispielsweise Beiträge neuer User nicht sofort für die Leser sichtbar. Sie müssen erst durch erfahrene Autoren überprüft und freigegeben werden.“

In diesem Verfahren sehen Kritiker freilich eine „dunkle Seite“ von Wiki. Unliebsames werde verändert, gestrichen und gelöscht. „Und zwar eben nicht von jedermann, sondern von – anonymen – Mitgliedern der Wiki-Hierarchie, die sich hinter ihren selbst gewählten Usernamen verstecken“, heißt es. Ein Punkt, den Schlesinger mit Nachdruck zurückweist: „Nicht ernst zu nehmen sind hingegen Internetforen, bestehend aus frustrierten ,Wikipediaopfern’, denen es nicht gelungen ist, beispielsweise ihr jung-dynamisches Software-Start-up zwecks Reklame in der WP zu platzieren. Ähnliches gilt für Kulturschaffende, die sich von einem WP-Artikel Aufmerksamkeit und Karriere versprechen.“

Medienexperten halten am hohen Nutzen von Wikipedia fest

Mag es intern bei Wiki auch manchesmal heftig zugehen: Die Fachwelt hält nach wie viel vom Online-Medium. Der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler und Medienforscher Wolfgang Schweiger beispielsweise nützt es gern als Informationsquelle in reinen Sachfragen, außen vor bleibt Wikipedia bei ihm, wenn es um Politik oder Weltanschauung geht. Und dass es bei den Autoren hin und wieder zu Frustrationen kommt, hält Schweiger für ganz normal. Ohne eine hierarchische Ordnung gehe es nun mal nicht, die Basisdemokratie habe nicht funktioniert. „Ich halte Wikipedia für eine großartige Errungenschaft. “

Hehre Worte. Die Verdienste des Franz W. bleiben den Nutzern der Enzyklopädie freilich verborgen.