Der wundersame Künstler Rüdiger Keßler prägte die Plochinger Jugendkultur in den 1960er Jahren wie kein anderer. Mit Freunden gründete er den „Intelligenz-Club“. Eine Ausstellung in der Galerie der Stadt Plochingen erinnert daran.
Er war ebenso eigenbrötlerisch wie genial. Er lebte zurückgezogen und strahlte nach außen. „Der Rü“, wie ihn seine Freunde nannten, hatte viele Facetten. Rüdiger Keßler (1940 bis 2020) war in jeder Hinsicht außergewöhnlich – ein charismatischer Mensch und hochtalentierter Künstler, der seine Kindheits- und Jugendtage in Plochingen verbrachte. Mit der vielschichtigen Schau, „Rüdiger Keßler – Künstler und Motor der Plochinger Jugendkultur in den 1960er Jahren“ in der Galerie der Stadt Plochingen, erinnern Markus Schüch und Judith Rühle vom Kulturamt an einen bemerkenswerten Menschen.
Seine Leidenschaft galt großen Maschinen
Die beiden engen Freunde aus Jugendtagen, Gerfried Beck und Dietmar Pleil, sind die Initiatoren für die Ausstellung. Sie wurden auf Betreiben der Schwester Keßlers, Inge Detzel, aktiv. Zu sehen sind Porträts aus dem Plochinger Freundeskreis. Keßlers große Leidenschaft galt großen, lärmenden Maschinen aller Art wie Teerkocher, Betonmischmaschinen und eine Drehbank aus den 50er und 60er Jahren. Videos liefern den Sound dazu. Bilder seiner damaligen Freundin Erika, Landschaften und Holzdrucke werden im zweiten Obergeschoss gezeigt.
Gerfried Beck ist im November 2023 verstorben, doch Dietmar Pleil trieb dessen Herzenswunsch engagiert weiter voran. Pleil war von 1958 insgesamt 34 Jahre lang freier Mitarbeiter der „Eßlinger Zeitung“ und berichtete auch über den Freund. Mit „Rü“ ging er einige Jahre ins Esslinger Schelztor-Gymnasium, später wurde Keßler sein Trauzeuge. Als studierter Architekt machte er die Entwurfsplanung für Pleils Wohnhaus. Der erinnert sich an die Treffen im keßlerschen Wohnhaus in der Bergstraße und an die Gründung des „I-Clubs“, was ironisch für „Intelligenz-Club“ stand.
Keßlers Wohnhaus war der Plochinger Salon für die Intellektuellen
„Frau Keßler hat alle mit Kuchen versorgt“, schwärmt Pleil heute noch: „Da ging man gerne hin.“ Es war ein offenes Haus für Gespräche. „Wir diskutierten tiefgründig über Philosophie, Literatur und über Kunst“, so Pleil. Man veranstaltete Lesungen, Theater, machte gemeinsam Musik, Sport und Ausflüge, Keßler spielte Gitarre und Geige. Das Wohnhaus der Familie Keßler wurde gewissermaßen zum Plochinger Salon für die intellektuellen Köpfe und vor allem „zum Podium für eine kulturelle Inspirationsquelle um den Kristallisationspunkt Rüdiger Keßler, zur offenen Tür für einen neuen Geist der Zeit“, so Monika Geiselhart, Cousine von Rüdiger Keßler und Kennerin seiner Werke.
Ausstellen wollte er seine Arbeiten nur widerstrebend
1957 begann „Rü“ zu malen, „wie ein Besessener, alles, was ihm ins Auge sprang“ ohne Ausbildung, ohne Scheu, so Geiselhart. Kleinere Schauen wurden von seinen Freunden organisiert. 1962 war die erste große Ausstellung mit 80 Werken in der Plochinger Stadthalle zu sehen. Das hätte der Karrierestart sein können. Doch „Rü“ war kompromisslos, wollte sich nicht festlegen. Fünf Jahre später endete die Beziehung mit seiner Freundin Erika und damit auch seine künstlerische Tätigkeit. Ruhm und Ehre waren dem öffentlichkeitsscheuen Freigeist, Menschenfreund und Philosoph stets gleichgültig. Ausstellen wollte er seine unzähligen Arbeiten, die er in nur zehn Jahren geschafften hat, nur sehr widerstrebend auf Drängen seiner Freunde. Wenn jemand ein Bild kaufen wollte, sagte er: „Zahl’sch mir d’ Farb’ und Leinwand“, erinnert sich Pleil. „Er wollte kein Geld verdienen mit Kunst.“ Um sein Architekturstudium zu verdienen, hat er immer gearbeitet: beim Straßenbau, in einem Schlossereibetrieb. Bei der Bahn hat er Eisenbahnschwellen verlegt und auch daraus Kunst gemacht: L’art pour l’art.
Ausstellung und Rahmenprogramm
Vernissage
Die Ausstellung wird am Donnerstag, 24. Oktober, um 19.30 Uhr eröffnet und läuft bis 21. Dezember. Der Tübinger Kunstkurator Rudolf Greiner führt in das Werk ein. Kuratiert wurde die Schau von Monika Geiselhart, die 2022 eine Monografie über Keßler herausgebracht hat. Öffnungszeiten: Montag, Mittwoch und Samstag von 10 bis 13 Uhr, Dienstag und Donnerstag von 10 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr, Freitag 9 bis 16 Uhr. Zusätzlich ist die Galerie vom 29. November bis 1. Dezember während des Weihnachtsmarktes freitags von 9 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 18 Uhr und sonntags von 13 bis 18 Uhr geöffnet.
Führung
Die ehemalige Kulturamtsleiterin Susanne Martin führt am Freitag, 22. November um 16 Uhr mit anschließender Verköstigung von kleinen Retro-Snacks durch die Ausstellung. Kosten: sechs Euro pro Person, Anmeldung über die Plochingen-Info unter Telefon 07153/7005-250 oder an: tourismus@plochingen.de
Besonderheiten
Die Plochingen-Info verwandelt sich während der Schau in einen kleinen 60er Jahre Salon mit einer zeittypischen Sitzecke und nostalgischen Klickfernsehern.