Die Solitude lässt sich immer wieder neu entdecken. Foto: Simon Granville

Es ist Stuttgarts beliebteste Kulisse für Hochzeitsfotos. Doch im Schloss Solitude nur ein malerisches Hintergrundmotiv zu sehen, hieße, die Augen vor der Württembergs Geschichte zu verschließen.

So ziemlich jeder Stuttgarter und jede Stuttgarterin kennt die Solitude. Was viele von ihnen aber nicht wissen ist, dass die prachtvolle Schlossanlage zum innerstädtischen Stadtbezirk West gehört. Sozusagen als letzter Außenposten an der Grenze zur Stadt Gerlingen, auf deren Gemarkung die Solitude bis zur Eingemeindung durch die Landeshauptstadt 1942 lag.

Wer hat die Solitude gebaut? Mit der weitläufigen Schlossanlage erfüllte sich der Wunsch von Württembergs Herzog Carl Eugen (1723 – 1798) nach einem repräsentativen Rückzugsort, wo er wohnen, Feste feiern und dazu noch gleich vor der Schlosstür jagen konnte. 1763 beauftrage Carl Eugen den Hofbaumeister Philippe de la Gruêpière mit der Planung der Solitude (Einsamkeit). Zum Auftrag gehörte auch die Allee, die das 1769 fertig gestellte Lustschloss auf einer 13 Kilometer langen Geraden mit dem Residenzschloss in Ludwigsburg in direkte Verbindung gebracht hat.

Warum lohnt sich der Solitude-Besuch? Die Pracht des Gebäudes, das im Baustil für den Übergang von Rokoko zu Klassizismus steht, beeindruckt. Besonders der „Weiße Saal“ unter der Kuppel. Dazu viele Räume mit Fresken, Deckengemälden und Kronleuchtern. Und noch viel mehr lässt sich bei Führungen entdecken, die aber nicht nach Schema F ablaufen. So kann man sich zum Beispiel auf die Spuren von Friedrich Schiller begeben, der auf der Solitude die Karlsschule besuchte und unter deren militärischen Drill gelitten hat. Der Freiheitsdrang, der sich durch sein gesamtes Werk zieht, entstand auf der Solitude.

Was läuft dort anders? Wer mit einem Schloss Begriffe wie „verstaubt“, „altmodisch“ oder „langweilig“ verbindet, wird auf der Solitude zum Umdenken bewegt. Dafür sorgt das junge Verwaltungsteam um Christiane König- Lorch, die neben dem aufwendigen Erhalt der Anlage auch für das Veranstaltungsprogramm zuständig ist und mitentscheidend dazu beiträgt, dass die Solitude auf dem besten Weg ist, die vor Corona erreichte Besucherzahl von jährlich knapp 40 000 zu erreichen. Da werden höchst unterhaltsame und informative Kostümführungen angeboten mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in tragenden historischen Rollen. Es gibt ein Programm speziell für Kinder, ebenso wie für Literaturinteressierte. Zwischen Dienstag und Sonntag kommen so täglich bis zu sieben Führungen zusammen. Dazu wird die Solitude als Veranstaltungsort zur Verfügung gestellt. Voraussetzung: Inhaltlich muss es zum Schlossambiente passen. Das gilt aktuell für die Freiluftmesse Home and Garden, die vom 18. bis 21. August dort zu Gast ist.

Was ist mit dem Heiratstourismus? Verwaltungschefin Christiane König-Lorch und ihre Kollegin Nadine Bock sprechen von „illegalen Heiratsanträgen“ und meinen damit nicht Heiratsschwindler, sondern Leute, die dem Partner außerhalb der Öffnungszeiten vor dem Schloss Anträge machen – und dabei häufig übers Ziel hinausschießen. Gerne mit einem Feuerwerk oder anderem Brimborium. Zurück bleiben dann Müll und sogar Schäden in Park und an Fassaden. Was die Verwaltungsmannschaft auf die Idee gebracht hat, ein spezielles Solitude-Hochzeitspaket zu schnüren. Angefangen mit dem Antrag während einer Führung für zwei, bei der einer von beiden dem nichts ahnenden anderen ein Ja entlocken will. Zum Angebot gehört außerdem die standesamtliche Trauung im Festsaal so wie die berühmten Fotos. Sogar das Festessen kann dazu gebucht werden. So wird eine enge Beziehung zum historischen Ort hergestellt und gleichzeitig der Drive-in-Hochzeitsmentalität à la Las Vegas entgegengewirkt.

Was gehört noch zur Anlage? Seit sieben Jahren betreibt Jörg Mink mit seiner Familie die Solitude-Gastronomie, so lange wie keiner seiner Vorgänger. Neben dem pompösen Bankettsaal findet im Kavaliershäuschen auch jemand Platz, der es ungezwungener mag – zum Beispiel auf der Terrasse oder im Café. Seit 1990 hat dort oben auch die Akademie Schloss Solitude ihren Platz, die in den Nebengebäuden Stipendiaten unterbringt.

Am Zufahrtsweg befindet sich auch die Ministerpräsidentenvilla. Günther Oettinger ist allerdings der letzte Landeschef gewesen, der von diesem Wohnrecht Gebrauch gemacht hat. Daneben das Fritz-von-Graevenitz-Museum mit Werken des Stuttgarter Bildhauers. Seine Nähe zu den Machthabern der NS-Diktatur, die er mit einer Hitlerbüste in Bronze 1935 selbst ganz dick unterstrichen hatte, wirft einen großen dunklen Schatten auf den Künstler und sein Werk. Der 1959 verstorbene von Graevenitz liegt auf dem Soldatenfriedhof der Solitude begraben. Ebenso wie der Stuttgarter Ballettstar John Cranko – auf dessen Grabstein immer wieder eine frische Rose liegt –, die Eltern des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der den Friedhof immer wieder besucht hat, sowie der Unternehmer Robert Bosch junior, der entscheidend an der Gründung des gleichnamigen Stiftung beteiligt gewesen ist.

Wie kommt man am besten zum Schloss? Die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg wollen gemeinschaftlich weg von einer umweltbelastenden Anreise mit dem Privatfahrzeug. Die Umsetzung ist im Fall der Solitude kein Problem. Viele Wander- und Radwege führen von Stuttgart aus zur Solitude: zum Beispiel den Kräherwald entlang am Fuß des Birkenkopfs vorbei oder von der Hasenbergsteige aus über den Blauen Weg mit einer Zwischenstation am Bärenschlössle. Außerdem fährt die Buslinie 92 in Richtung Leonberg die Solitude direkt an.

Unterwegs in Stuttgart

Solitude-Besuch
Noch bis zum 31. Oktober öffnet das Schloss von Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 17 Uhr die Pforten. Ein Besuch ist das ganze Jahr über möglich. Die Öffnungszeiten außerhalb der Sommersaison sowie weitere Informationen sind im Internet aufgeführt. Mit dem Eintritt ist automatisch eine Führung verbunden. Erwachsene zahlen fünf Euro, ermäßigt sind es 2,50 Euro. Themenführungen kosten pro Person maximal 9 Euro.