Altes Fachwerk reiht sich an der Stadtmauer und der Würm entlang bis zum Seilerturm. Foto: Jürgen Bach/Jürgen Bach

Von den Befestigungsanlagen der ehemals freien Reichsstadt Weil der Stadt zeugen noch Mauern, Türme und Tore. Man kann auf einem Spaziergang direkt eintauchen in die Geschichte. Und doch bleiben die alten Mauern geheimnisvoll.

Mit einer Burg oder einem Schloss als Demonstration weltlicher Macht kann Weil der Stadt nicht aufwarten. Schließlich war die Stadt von 1275 bis 1802 freie Reichsstadt, nur den Kaiser erkannte die Bürgerschaft als Obrigkeit an. Die Siedlung an der Würm, strategisch günstig gelegen zwischen Stuttgart, Leonberg und Calw, aber umzingelt von württembergischem Herrschaftsgebiet, schuf sich mit einer Stadtmauer ihre eigene Befestigung.

Stadtluft macht frei

Stadt habe zu Zeiten des Stauferkaisers Friedrich II., der im 13. Jahrhundert viele Städte gründete, Ummauerung und damit Schutz sowie Freiheit von Leibeigenschaft bedeutet, erklärt Wolfgang Schütz. Der ehemalige Gymnasiallehrer ist ausgewiesener Kenner der Historie seiner Heimatstadt, Mitgestalter und Leiter des Stadtmuseums und Autor, unter anderem des Stadtführers „Weiler Vademecum“. Um mit diesem Buch in der Hand die sehenswerte Stadt zu erkunden, bräuchte es mehr als einen Tag.

Aber das größte Baudenkmal, die Stadtmauer, ist – am besten mit einem Stadtplan – bequem auf einem etwa drei Kilometern Weg zu erkunden. Von den einst 18 Türmen und Toren sind noch fünf erhalten. Am eindrucksvollsten präsentiert sich der steinerne Schutzwall auf der Nordseite. Weil die Grünfläche davor, wo einst der Wehrgraben war, erhalten geblieben ist, gibt es dort Stadtmauer pur zu sehen. Der Bereich gehört zwar nicht zum ältesten Teil der Stadtbefestigung, die um die Kernstadt herum schon im 13. Jahrhundert entstand, sondern sie wurde gut 100 Jahre später um die Spitalvorstadt gezogen. Präsentiert wird wie in einem Flickenteppich das Material, das die Baumeister verwendet haben: Buntsandstein und Muschelkalk – Weil der Stadt liegt an der geologischen Grenze dieser Gesteinsformationen.

Ein Turm für Störche

Beeindruckend ist dort der Blick auf die beiden markanten Türme. Links neben dem Königstor – ein 1822 geschaffener Durchbruch und nach dem württembergischen König Wilhelm I. so genannt – ist der Storchenturm zu sehen, der seinen Namen wieder zu Recht trägt. Auf diesem früheren Wachtturm, später auch als Armenwohnung und heute von Vereinen genutzt, nisteten tatsächlich Störche, laut Wolfgang Schütz erstmals im Jahr 1798 erwähnt. Doch das Idyll fand in den 1920er Jahren ein Ende. „Eines schönen Tages soll während eines Festes einer, der nicht mehr ganz nüchtern war, mit der Flinte auf den letzten Storch geschossen haben“, so Schütz. Obwohl der Schuss wohl danebenging, gab es danach keine Störche mehr in der Stadt. Bis auf dieses Jahr. Und das kam so: Weil der Stadt ist mit Riquewihr im Elsass verschwistert. Dort ist bekanntlich Storchenland, und so schenkten die Freunde ihrer Partnerstadt vor drei Jahren ein Storchennest für den Turm. Tatsächlich nistete dort diesen Sommer wieder ein Paar, brütete und zog inzwischen mit seinem Nachwuchs Leon und Leonie Richtung Süden.

Der Rote Turm, auch Diebsturm, direkt an der Würm trägt ebenfalls zum mittelalterlichen Bild bei. Wer sich einer Stadtführung anschließt, hat die Chance, nicht nur auf dem Wehrgang zwischen den beiden Türmen zu laufen, sondern auch das Verlies zu sehen, in dem Delinquenten auf ihr weiteres Schicksal warteten. Weiter geht es – entweder auf einem Pfad entlang der Würm außerhalb der Stadtmauer oder durch kleine Gassen in Richtung Stuttgarter Straße. Wo diese die Würm überquert, stand bis 1865 das Spitaltor. Die dortige Spitalkapelle und der Spitalhof sind ebenfalls einen Besuch wert. Weiter führt aber der Weg Richtung Seilerturm.

Vom Rabenturm zum Judentor

Ab hier erstreckt sich bis zum Rabenturm – auf dessen Spitze ein Adler mit Schwert weithin sichtbar die freie Reichsstadt symbolisiert – eine Grünfläche mit Spiel- und Ruhemöglichkeiten. Kleine Durchgänge ermöglichen einen Blick auf die Innenseite des Rabenturms. Weiter geht es vorbei an einer Maueröffnung, an der heute eine Straße zu einem Einkaufszentrum verläuft. Im weiteren Verlauf am Carlo-Schmid-Platz (der Politiker ist in Weil der Stadt geboren) ist die Mauer, die zur ursprünglichen frühen Befestigung der Kernstadt gehört, frei sichtbar. Danach markiert nur noch der Mäuerlesgang den Verlauf. Wer diesem folgt, gelangt auf die Herrenberger Straße an die Stelle, wo bis 1812 das Untertor stand. Von dort bis zum Judentor, dem einzigen noch erhaltenen mittelalterlichen Tor, wurde die Stadtmauer weitgehend abgerissen.

Durch das gut erhaltene Judentor, erstmals 1534 urkundlich erwähnt, aber als Teil der Kernstadtbefestigung laut Wolfgang Schütz wohl wesentlich älter, führt die Calwer Gasse, früher der Zugang zur Straße nach Calw. Im Bereich des Tors lebten im 13. und 14. Jahrhundert Juden, die Pogromen zum Opfer fielen. 1933 wurde das Tor von den Nationalsozialisten in Calwer Tor umbenannt, 1980 erhielt es per Gemeinderatsbeschluss seinen alten Namen zurück.

Flucht vor Scheiterhaufen

Weiter führt der Weg durch die Zwingergasse zur Pforzheimer Straße, wo bis 1841 mit dem Obertor das größte der Tore stand. Von dort flüchtete 1617 aus einer Gefängniszelle die Tagelöhnerin Maria Fischerin, die der Hexerei angeklagt war. Auch in der freien Reichsstadt wütete im 16. und 17. Jahrhundert die Verfolgung von Frauen, der mindestens 40 Weil der Städterinnen zum Opfer fielen. Maria Fischerin jedoch konnte ins benachbarte Magstadt flüchten und verklagte die Stadt vor dem Reichskammergericht in Speyer, weil ihr während der Folter die Hand verletzt wurde. Bis 1824 gab es nahe dem Königstor einen Hexenturm.

Eine Besonderheit ist das erst im Jahr 1926 entstandene Antoniustor an der Besengasse, das nicht etwa nach einem Heiligen benannt ist, sondern nach dem Ökonomieveralter Anton Gall, der den Durchbruch mit Steinen des alten Stuttgarter Bahnhofs errichten ließ.

Sehenswerte Altstadt

An der Nordseite gibt es noch weitere Mauerreste zu sehen, bis die Besucher wieder am Königstor ankommen und von dort die Altstadt erkunden können. Sehenswert sind die St.-Peter-und-Paul-Kirche sowie der neu gestaltete Marktplatz mit dem nach dem großen Stadtbrand von 1648 erbauten Rathaus von 1665 und dem Denkmal des Astronomen Johannes Kepler, dem großen Sohn der Keplerstadt. Am Marktplatz laden das Kepler- und das Stadtmuseum ein.

Einkehren

Zu einer Einkehr lädt der Garten des Restaurants St. Augustinus direkt neben dem Rabenturm ein. Neben dem Judentor gibt es das Bistro Calwer Tor mit Biergarten (Öffnungszeiten beachten) und direkt am Königstor das gleichnamige Café.

So kommt man hin

Weil der Stadt ist Endstation der S-Bahn-Linie 6. Vom Bahnhof erreicht man in wenigen Minuten die Altstadt. Wer mit dem Auto kommt, findet einen großen Parkplatz beim Schulzentrum sowie einen weiteren beim Einkaufszentrum – in beiden Fällen mit direktem Blick auf die Stadtmauer.

Weil der Stadt erkunden – mit der S-Bahn gut zu erreichen

Serie
 Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern und eindrucksvollen Kirchen. Wir machen uns in und um Stuttgart auf die Suche nach Schlossgespenstern, erzählen spannende Geschichten aus vergangenen Tagen und liefern Wissenswertes zu mächtigen Mauern in luftigen Höhen. Unsere Sommerserie widmet sich diesen kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten und bietet Anregungen für Ausflüge, die sich lohnen. Wetten, dass auch für Sie etwas dabei ist?

Service
 Einen Stadtplan und Informationen zu Sehenswürdigkeiten und den Altstadt-Führungen in und durch Weil der Stadt gibt es bei der Tourist-Info am Marktplatz und unter www.weilderstadt.de, Termine & Veranstaltungen. Individuelle Führungen sind ebenso möglich wie die Teilnahme an öffentlichen historischen Führungen oder Rundgängen mit den Nachtwächtern.