Vor der Nikolauskapelle versammelte sich eine kleine Gruppe. Foto: Roberto Bulgrin

Die eigentliche Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus musste in diesem Jahr wegen Corona ausfallen. Eine kleine Erinnerungsfeier auf der Inneren Brücke gab es schließlich doch.

Esslingen - Ganz ersatzlos streichen wollten einige Mitglieder des Vereins Denkzeichen den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus dann doch nicht. Zwar ist die offizielle Gedenkfeier bereits auf das nächste Jahr verschoben worden, aber einen öffentlichen Akt solle es dennoch geben, wie Reinhold Riedel, einer der Initiatoren des Vereins, es ausdrückt. Dieser Akt ist ein ganz anderer, als es die Stadt Esslingen in den vergangenen 25 Jahren gesehen habe.

Seit 1996 setzt sich der Verein Denkzeichen für die Erinnerungsarbeit ein. Einmal im Jahr, am 27. Januar, wird am Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee an die Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland erinnert und der Opfer gedacht. Über dieser Erinnerungsarbeit, heißt es von der Vorbereitungsgruppe der Gedenkstunde, steht die Warnung von Meinhard Tenné, ehemaliger Vorstandssprecher der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg: „Es ist wichtig, sich zu erinnern. Damit wir übermorgen nicht im Gestern landen.“ Über die Jahre beteiligten sich die Kirchen, die evangelische und katholische Erwachsenenbildung im Kreis Esslingen sowie das Georgii-Gymnasium und die Stadtverwaltung an den Gedenkfeiern.

Zeitzeugen nicht mehr leicht zu finden

Zunächst habe man Zeitzeugen eingeladen, über ihre Erfahrungen zu sprechen. In einer der ersten Gedenkstunden war der Rabbiner Albert H. Friedländer aus London zu Gast. Auch Mordechai Ansbacher, der die Konzentrationslager in Theresienstadt, Auschwitz und Dachau überlebt hatte, Gertrud Müller, ehemalige Insassin des KZ Ravensbrück, Franz J. Müller aus Ulm mit seinem Bericht über die Weiße Rose, Larissa Staskjewitsch aus Molodetschno, Überlebende in einem Sumpf-KZ oder Stadtrat Otto Schönhaar mit einem Bericht über seinen Onkel Eugen Schönhaar zählten in den vergangenen Jahrzehnten zu den Ehrengästen. In jüngerer Zeit sei es immer schwieriger geworden, Zeitzeugen zu finden. Im vergangenen Jahr hatten darum Schüler des Georgii-Gymnasiums die Geschichte des jüdischen Lebens in Esslingen aufgearbeitet und die Gedenkstunde mit Leben gefüllt.

In diesem Jahr hätte es um das Nagelkreuz von Coventry und seine Botschaft gehen sollen. Unter dem Titel „Erinnerung und Versöhnung im Zeichen des Nagelkreuzes von Coventry“ sollte Oberkirchenrat Oliver Schuegraf in Esslingen sprechen. Im November 1940 wurde die englische Stadt Coventry von der deutschen Luftwaffe dem Erdboden gleichgemacht. Auch die dortige Kathedrale wurde zerstört. „Schon zu Weihnachten 1940 rief der damalige Domprobst dazu auf, nicht Rache zu üben, sondern Versöhnung und Frieden waren seine Botschaft“, sagt Riedel. Ein aus Zimmermannsnägeln geschmiedetes Nagelkreuz stehe seitdem für jene Botschaft. Die eigentlich geplante Gedenkfeier ist in diesem Jahr der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. „Wäre es ein Gottesdienst gewesen, hätten wir ihn feiern dürfen“, wie Riedel bemerkt. Wie berichtet, wird das diesjährige Thema 2022 aufgegriffen. Für dieses Jahr wurde schließlich in Abstimmung mit der Vorbereitungsgruppe eine deutlich kleinere Version des Gedenktags realisiert.

Corona zwingt zu anderem Gedenken

Eines der beiden Nagelkreuze, die seit 2018 in Esslingen heimisch sind, sollte trotzdem in diesem Jahr schon eine Rolle spielen. Gemeinsam mit Finanzbürgermeister Ingo Rust und Dekan Bernd Weißenborn legten Riedel und Markus Geiger, Geschäftsführer des evangelischen Bildungswerks, in der Nikolauskapelle auf der Inneren Brücke Blumen nieder und entzündeten eine Kerze.

Der Ort der kleinen Zeremonie, zu der bewusst nicht öffentlich aufgerufen wurde, sei mit Bedacht gewählt. Bereits 1956, nur etwas mehr als ein Jahrzehnt nach dem Krieg, habe der Esslinger Gemeinderat unter dem damaligen Oberbürgermeister Dieter Roser beschlossen, die Nikolauskapelle zur zentralen Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus zu machen. Bis Anfang März, so Riedel, werde das Nagelkreuz in der Nikolauskapelle stehen. So könne jeder für sich innehalten und der Opfer gedenken.