Quelle: Unbekannt

Die innenpolitischen Veränderungen 1890 finden auch in Esslingen ihren Niederschlag. Das ist in alten Bänden der EZ nachzulesen.

EsslingenIm Jahr 1890 arrondiert das Deutsche Reich seinen Einflussbereich direkt vor der Haustür und tauscht mit Großbritannien seine De-facto-Kolonie Sansibar gegen Helgoland in der Nordsee ein. Innenpolitisch ist Deutschland von großen Umwälzungen geprägt. Zunächst erlebt Reichskanzler Otto von Bismarck im Reichstag mit seiner Forderung, das Sozialistengesetz auf unbestimmte Zeit zu verlängern, eine Niederlage. Er löst daraufhin den Reichstag auf, bei den Neuwahlen kassieren Nationalliberale und Konservative eine vernichtende Niederlage. Die Sozialdemokraten erhalten mit 19,7 Prozent die meisten Stimmen. Im März entlässt Kaiser Wilhelm II. Bismarck als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident und ernennt den General Leo von Caprivi zum Nachfolger.

Auf Beschluss der im Jahr zuvor in Paris gegründeten Zweiten Internationale wird der 1. Mai mit Streiks und Demonstrationen erstmals als internationaler Kampftag der Arbeiterbewegung begangen. Die Lehrerin Helene Lange gründet den Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein, der fortan eine wichtige Rolle in der deutschen Frauenbewegung spielt.

Nach dem Aus für das Sozialistengesetz Ende September gründet sich im Oktober die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands als Sozialdemokratische Partei Deutschlands neu. Im November konstituiert sich die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands.

Die innenpolitischen Veränderungen finden auch in Esslingen ihren Niederschlag. Im April berichtet die Eßlinger Zeitung von einer großen Feier, die im Kugel’schen Festsaal anlässlich Bismarcks Geburtstags abgehalten worden ist. Einer der Redner würdigt dabei „das unvergleichliche Wirken Bismarcks für das deutsche Reich und für ganz Europa“ und stellt fest, Bismarck habe sich „bedeckt mit Ruhm wie vor ihm kein Sterblicher“.

Zum Ende des Sozialistengesetzes zählt ein Redner bei einer Volksversammlung Anfang Oktober im Traubensaal als Folge der Repression „893 Ausweisungen, 1299 Verbote von Druckschriften, 332 Vereins-Verbote, 119 verhängte Gesamt-Untersuchungs- und 611 Jahre Straf-Haft“ auf. Wie die Eßlinger Zeitung schreibt, ruft die Versammlung dazu auf, „daß die Arbeitervereine Eßlingens nur solche Säle zu ihren Vergnügungen benützen, die auch sonst den Arbeitern zur Verfügung stehen“. Im Herbst dieses Jahres wird die seit mehreren Jahren andauernde Sanierung der Esslinger Frauenkirche abgeschlossen. Die Eßlinger Zeitung kritisiert die magere „Beteiligung des Publikums an dem Dank-Gottesdienste für Vollendung der Restauration“, trotz des Interesses, „welches diesem schönen, 150:000 Mark kostenden Werke in den weitesten Kreisen entgegengebracht wurde“. „Der Grund hiefür war wohl das Unterbleiben einer allgemeinen öffentlichen Einladung“, lediglich „die besonders geladenen Herren“ hätten gefeiert, bemängelt das Blatt und fordert „für die vielen, welche viel oder wenig zum Bau beigesteuert haben, noch eine allgemeine Feier“.

Auch so manches Missgeschick findet seinen Weg in die Zeitung. So meldet die Eßlinger Zeitung den „eigentümlichen Unfall“, der einem Arbeiter aus Cannstatt widerfuhr. „Derselbe wollte seinen Kameraden gegenüber den Beweis führen, daß ihm Opium nichts schade. Er genoß ein Fläschchen voll Opium, welches ein Kranker in kleinen Dosen nach und nach nehmen sollte, auf einmal und war in kürzester Zeit eine Leiche.“