Auf dem Luftkissen der Manege werden die abgestürzten Artisten versorgt. Foto: Lichtut/Max Kovalenko

Der Schock war groß. Im Weltweihnachtscircus blieben die abgestürzten Artisten für Minuten liegen. Chef Henk van der Meijden gibt Entwarnung: „Sie haben Glück gehabt.“ Ihre Fahrradpyramide fällt bei der Premiere heute aus.

Stuttgart - In der Pause der Vorpremiere hatte der 82-jährige Henk van der Meijden, ein zirkusverrückter Holländer, der sich jedes Jahr weltweit etwa 400 verschiedene Manegennummern anschaut, im Foyerbistro beim Bier einem Journalisten mit leuchtenden Augen erklärt, warum seine Parade der Weltrekorde so reizvoll sei. „Bei uns gibt es kein Fake“, sagte der Chef, der vor 27 Jahren den Stuttgarter Weltweihnachtscircus erfunden hat, „bei uns ist alles live, echt, das Publikum ist nah dran, wenn Emotionen hochkochen.“

Artisten stürzen sieben Meter in die Tiefe

Bei der ersten Nummer nach der Pause hat dann das von ihm so geliebte Stuttgarter Publikum live, nah dran, emotional und ganz echt mitbekommen, wie gefährlich Artisten leben. Dass bei ihren Darbietungen selten etwas Schlimmes geschieht, heißt nicht, dass die Gefahren gering sind und man sie stets im Griff hat.

Bei der spektakulären Hochseilnummer mit einer Pyramide aus sieben Fahrradfahrern, die als eine der Höhepunkte im diesjährigen Weltweihnachtscircus auf dem Cannstatter Wasen gilt, stürzten am Mittwochabend Artisten der kolumbianischen Werner Guerrero Gruppe mit ihren Fahrrädern aus etwa sieben Metern in die Tiefe. Alles ging sehr schnell. Als das Publikum realisierte, was passiert war, gab’s Momente der Angst, die Abgestürzten könnten womöglich querschnittsgelähmt sein.

Zirkusmitarbeiter ziehen Sichtschutz für die Verletzten hoch

Zwei der sieben Artisten standen nicht mehr auf. Zwar war der Manegenboden mit Luftkissen gepolstert, doch offensichtlich, so sah es zumindest aus, hatten herunterfallende Fahrräder die beiden Kolumbianer getroffen. Zirkusmitarbeiter zogen den Rand des Kissens hoch, um den Verletzten Sichtschutz zu bieten und Handyfotografen davon abzuhalten, Bilder zu machen. Zwar versuchte der Moderator das Publikum zu beruhigen, indem er sagte, es sehe schlimmer aus als es sei, doch kaum einer wollte ihm glauben angesichts zweier Menschen, die nicht mehr aufstehen konnten.

Zirkusdirektor Henk van der Meijden und seine Tochter waren von ihrer Loge aufgesprungen und zu den Verletzten geeilt. Schon nach wenigen Minuten war ein Löschfahrzeug der Hauptfeuerwache, die sich auf der anderen Straßenseite befindet, mit Rettungssanitätern eingetroffen. Sie leisteten Erstversorgung, bis zwei Rotkreuzfahrzeuge mit Martinshorn den Cannstatter Wasen erreichten. Als die abgestürzten Artisten abtransportiert wurden, nach einer etwa zehnminütigen Unterbrechung des Programms, wurde die Show fortgesetzt.

Die Fahrradnummer wird vorerst aus dem Programm genommen

Die Kolumbianer wurden in ein Krankenhaus gebracht. „Ich habe ihre Nummer mit den Fahrrädern schon hundertmal gesehen“, sagte ein sichtlich aufgewühlter van der Meijden, „nie ist etwa passiert.“ Wenig später konnte er aufatmen. „Die beiden Artisten können sich bewegen, und sie können fühlen“, berichtete er. Noch später erfuhr er nach einem Anruf im Krankenhaus, dass es ihnen relativ gut gehe.

Ihre Fahrradnummer wird vorerst aus dem Programm gestrichen. „Wir werden sie durch eine andere Nummer ersetzen“, sagt der Zirkuschef. Jetzt gehe es erst einmal darum, dass sich die Verletzten von dem Schock erholen. Der Weltweihnachtscircus, dies habe sich an diesem Abend gezeigt, sei eine große Familie, die zusammenhält und sich gegenseitig hilft. Zum Finale ging van der Meijden in die Manege ans Mikro, was bei einer Vorpremiere nicht üblich ist, und bedankte sich bei allen. Man sah ihm an, wie nahe ihm der Vorfall gegangen war und wie er gleichzeitig erleichtert darüber war, dass die Artisten wohl Glück im Unglück hatten.

Dass der Weltweihnachtscircus kein Fake ist, hätten wir ihm gern auch ohne Unfall geglaubt. Alles Gute im Namen des Stuttgarter Zirkuspublikums an die beiden Kolumbianer!