Nicht nur Schlösser und Burgen, Gebäude aus dem 20. Jahrhundert sind ebenso schützenswert. Dafür setzt sich Barbara Saebel ein – auch die Villa von Hans Scharoun auf dem Killesberg steht unter Denkmalschutz. Foto: imago images/Arnulf Hettrich/Arnulf Hettrich via www.imago-images.de

Was sind die größten Abriss-Sünden im Land, wie können alte Gebäude in Stuttgart und anderswo besser und leichter geschützt werden? Das hat sich die Landtagsabgeordnete Barbara Saebel gefragt und ein Denkmalnetz für Baden-Württemberg gegründet.

Denkmalschutz ist kompliziert und wird oft mit hohen bürokratischen Auflagen in Verbindung gebracht. Im Interview sagt die Landtagsabgeordnete Barbara Saebel, wie das neu gegründete Denkmalnetz BW Hürden abbauen und den Prozess vereinfachen möchte.

Frau Saebel, Sie sind Initiatorin des Denkmalnetzes und Schirmherrin der Orangenen Liste. Warum ist Ihnen Denkmalschutz so wichtig?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen sind Denkmale im Allgemeinen die prägenden Gebäude in unseren Städten. Wir haben teilweise ganze Stadtkerne, die unter Denkmalschutz stehen. Sie vereinbaren Geschichte in sich, Baugeschichte, Kunstgeschichte, die Geschichte von Handwerk, die Geschichte von Menschen, die in ihnen gelebt haben. Sie sind auch eine kulturelle Stufe der Entwicklung in unserer Menschheitsgeschichte. Und sie sind natürlich oftmals auch ästhetisch.

Es gibt bereits Denkmalschutzbehörden. Wozu braucht es da noch Ihr Denkmalnetz?

Vor der Gründung des Denkmalnetzes war ich seit Jahren im Austausch mit vielen im Denkmal Beschäftigten. Also mit Eigentümern, die teilweise Probleme haben, teilweise nicht wissen, wie sie ihr Denkmal erhalten können. Dann habe ich natürlich Gespräche mit den jeweiligen Architekten und Ingenieuren geführt. Mit Bauausführenden auf der Baustelle selbst, also sprich mit Handwerkern, Zimmerleuten, Steinmetzen. Dann habe ich einen regen Austausch mit dem Landesdenkmalamt, die ja die Bewertung der Denkmale vornehmen und natürlich ein hohes Interesse daran haben, dass möglichst viel originale Substanz auch erhalten bleibt. Und weil eben immer viel übereinander gesprochen wurde und teilweise aus unserer Sicht es noch zu optimieren wäre, miteinander zu sprechen, versuchen wir über ein Denkmalnetz, möglichst viele Akteure zwanglos an einen Tisch zu bringen.

Was wird da besprochen?

Wir treffen uns nicht immer erst dann, wenn es ein Problem gibt, sondern man ist sowieso miteinander im Austausch. Beim Denkmalnetz sitzt der Eigentümer vom großen Schloss neben dem Eigentümer vom kleinen Fachwerkhaus, und zwischendrin sitzen Architekten, sitzen Ingenieure, sitzen Bauhandwerker, Kunsthandwerker, Restauratoren, Bauhistoriker, das Landesdenkmalamt, die Architektenkammer, die Ingenieurkammer. Natürlich auch die vielen Ehrenamtlichen, die sich um ihr Stadtbild Gedanken machen. Wir sind da erst mal unbegrenzt belastbar, auch mitgliedermäßig.

Barbara Saebel ist Landtagsabgeordnete und Initiatorin des Denkmalnetz BW. Foto: Blumenzwerg/Elias Blumenzwerg

Und womit beschäftigen Sie sich konkret?

Wir haben inzwischen drei Arbeitsgruppen, die vierte ist in der Gründung. Die erste hat das Thema Öffentlichkeitsarbeit. Also einfach so, wie wir jetzt miteinander sprechen, darauf aufmerksam machen, dass Denkmale in unseren Städten und Gemeinden vorhanden sind und dass sie zu schützen sind. Darüber hinaus wollen wir, darum kümmert sich die Arbeitsgruppe zwei, uns damit beschäftigen, wieder einen Studiengang Denkmalpflege in Baden-Württemberg zu etablieren. Wir haben leider keinen mehr.

Warum ist Ihnen das wichtig?

Die aktuelle Situation bedeutet, dass unsere jungen Leute dann nach dem Bachelor, vielleicht in Architektur oder Kunstgeschichte, wenn sie sich dem Thema Denkmal nähern wollen, eben in andere Bundesländer, nach Bayern oder Hessen gehen. Und dann vielleicht auch dortbleiben. Und deswegen wollen wir wieder einen eigenen Studiengang haben.

Was tun die anderen Arbeitsgruppen?

In Arbeitsgruppe drei geht es um das Thema Bürokratieabbau. Wie bekommen wir es hin, dass wir das Sanieren leichter machen? Die vierte Arbeitsgruppe soll sich um den Erhalt von Kirchen kümmern. Das sind oft die Mittelpunkte unserer Orte, unserer Dörfer, unserer Gemeinden, unserer Städte. Wenn die weg wären, weil die Kirche sie nicht mehr nutzt, was passiert denn damit? Das ist aus meiner Sicht ein gesamtgesellschaftliches Thema.

Das heißt, Sie erhoffen sich von der Gründung des Denkmalnetzes vor allem bessere Kommunikation und Aufmerksamkeit auf Themen lenken zu können, die bisher vielleicht zu kurz gekommen sind?

Ja, ich glaube, dass der gesamtgesellschaftliche Austausch dazu nicht genügend geführt wird. Da wird man natürlich Beispiele finden, wo er geführt wird, wo das gelingt. Und es gibt ja auch an vielen Orten schon Bürgergruppen, die sich engagieren. Aber oftmals ist es eben auch so, dass ein Eigentümerwechsel stattfindet oder jemand ein altes Gebäude auf einem Grundstück erbt, weiß nichts selbst damit anzufangen, verkauft es und das Erste, was der neue Eigentümer macht, ist ein Abrissantrag und die Neubebauung. Das muss nicht in jedem Fall schlecht sein, aber man muss eben vorher alle anderen Möglichkeiten prüfen.

Sie haben eben schon angesprochen, dass Eigentümer sich oftmals mit dem Denkmalschutz ein bisschen schwertun, weil es eben sehr strenge Auflagen gibt und es teuer werden kann. Wären da gelockertere Regeln im Denkmalschutz wichtig, um die Akzeptanz zu steigern?

Das kann ich so nicht eindeutig beantworten. Denkmale haben häufig Einmaligkeitscharakter, deswegen werden sie zu Denkmalen. Deswegen wird das eine Denkmal und das andere, das schon so oft umgebaut wurde, nicht. Wenn jetzt jede Generation an dem Denkmal herumbaut, und das ihren Vorstellungen entsprechend völlig ummodelt, ist irgendwann nichts mehr übrig. Das heißt, ich kann da nicht Ja oder Nein sagen.

Es gibt auch viele Wohnhäuser und öffentliche Gebäude, die nicht mehr unter Denkmalschutz stehen und die dann zum Beispiel aus Profitgründen abgerissen werden. Wäre es in so einem Fall besser, Gebäude auch dann unter Denkmalschutz zu stellen, wenn sie vielleicht nicht mehr ganz den strengen Kriterien gerecht werden, damit diese alte Substanz, die das Gedächtnis einer Stadt ja auch darstellt, erhalten bleibt?

Grundsätzlich ist das wünschenswert, ja. Natürlich ist die Frage mit dem vorhandenen Personal kaum zu stemmen. Denkmalpflege spricht ja auch immer von dem besonderen künstlerischen oder wissenschaftlichen Hintergrund der Baudenkmale. Wenn der weggefallen ist, dann kann ich es schwer rechtfertigen, das neu unter Denkmalschutz zu stellen. Aber wir sollten uns eigentlich einer anderen Kategorie von Gebäuden stärker bewusst werden, die nicht direkt unter Denkmalschutz stehen, aber als besonders erhaltenswerte Bausubstanz deklariert sind.

Welche wären das?

Wir haben zwei, drei Prozent der Gebäude in Baden-Württemberg, die unter Denkmalschutz stehen. In manchen Altstädten sind es natürlich mehr. Und dann gibt es wieder jüngere Gründungen, da sind es weniger. Viel mehr Gebäude, etwa ein Drittel aller Gebäude, zählen zur sonstigen erhaltenswerten Bausubstanz.

Also etwa auch Nachkriegsbauten oder Betonbunkern aus den Siebzigerjahren? Sind die auch erhaltenswert, wenngleich sie vielleicht nicht so pittoresk wirken und keine Touristenattraktionen sind?

Nehmen wir die Verwaltungsbauten der Siebziger als Beispiel. Etwa die Rathäuser, die jetzt auch in Reihe abgerissen werden. Wir hatten zum Beispiel in Karlsruhe das Landratsamthochhaus. Internationaler Stil, Anfang der Sechziger gebaut. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass es erhalten bleibt. Zum einen, weil es ein typischer Vertreter dieses Stils war und wir nicht so viele davon haben. Jetzt wird es abgerissen, dorthin kommt ein anderes Hochhaus, was viel massiger ausfallen wird. Bei dem alle sagen, es ist eine Hybridbauweise mit Holz. Ja, kann sein, aber allein was jetzt der Abbruch an CO2 freisetzt, dass man all das nicht weiterverwendet, was da anfällt, und dieser Neubau, das ist natürlich eine ökologische Sünde. Da kann der so schöngeredet werden, wie man will.

In Stuttgart gibt es, und das ist nur ein Beispiel, in der Diemershaldenstraße 23, aktuell noch eine alte Villa, die aber nicht mehr denkmalgeschützt ist. In einem Immobilienportal online heißt es in diesem Listing für das Grundstück, dass sie da „derzeit“ noch steht. Es wird also angedeutet, dass der Plan ist, sie abzureißen. Was würde in so einem Fall Ihrer Meinung nach verloren gehen?

Ich kenne das Umfeld der Villa nicht, ob da noch andere Villen danebenstehen.

Direkt daneben steht in der Tat noch eine alte Villa.

Dann würde natürlich der Ensemblecharakter dadurch gestört werden. Wenn das eine Jugendstilvilla ist und daneben auch Jugendstilvillen stehen, dann habe ich ja genau das, was eigentlich so schön ist, wenn man dran vorbeiläuft. Diese Ästhetik dieses Ensembles. Das heißt, es wäre aus meiner Sicht sehr schade, wenn so was wegkommt, weil das eben eine Lücke reißt. Eine Lücke, die nicht mit etwas Gleichartigem gefüllt wird.

Was würden Sie sagen, was sind für Sie die größten Abrisssünden in Stuttgart oder Baden-Württemberg?

Jedes Gebäude, das möglich gewesen wäre, zu erhalten. Das Landratsamt Karlsruhe gehört sicherlich dazu. Bei dem Thema bin ich aber deutschlandweit unterwegs. Also der Palast der Republik in Berlin hätte erhalten werden müssen, weil auch der für eine Epoche gestanden hat. Es ist eine Sünde gewesen, den abzureißen, auch für das Stadtschloss. Große Diskussionen gibt es jetzt gerade in Potsdam mit der Garnisonskirche. In Stuttgart haben auch flächenhafte Abrisse stattgefunden. Überall, wo in der Innenstadt so flächig saniert wurde, wird vorher irgendwas gestanden haben. Teile der Innenstadt sind aus meiner Sicht zumindest nicht sehr gelungen. Die sehen nicht sehr menschenfreundlich aus.

Sie sind auch Mitglied bei den Grünen. Dadurch liegt Ihnen wahrscheinlich Klimaschutz sehr am Herzen. Dämmen und Fotovoltaik-Anlagen anbringen, verträgt sich oft nicht mit Denkmal-Vorgaben. Welche Berührungspunkte gibt es dennoch zwischen Klimaschutz und Denkmalschutz?

Denkmalschutz ist Klimaschutz. Alles, was steht und Bestand hat, also nicht abgerissen wird, ist klimaschützend, dadurch, dass es eben schon steht. Wir haben eine Nutzungsdauer von mindestens 40 Jahren, die ein Gebäude erst einmal überstanden haben muss, damit es das CO2 wieder einspielt, was es im Bau verbraucht hat. Das heißt, jedes Nullenergiehaus geht erst einmal mit einem riesigen CO2-Fußabdruck an den Start. Wenn es denn funktioniert und wenn es lange genug steht, wird es irgendwann auch dieses CO2 wieder einholen. Aber zu Anfang ist eben erst einmal sehr viel, was da reingesteckt wird an Ressourcen. Die Denkmale haben eben einen besonderen Wert, weil sie eine Kulturepoche repräsentieren. Und auch eben in besonderem Maße den Stand der Wissenschaft zu der jeweiligen Epoche, aber natürlich auch die ästhetischen Vorstellungen der Menschen in einer bestimmten Zeit. Ein altes Gebäude, ressourcenschonend saniert und mit umweltfreundlicher Heizung ausgestattet, wird fit für die nächste Generation und ist ein Vorzeigeprojekt in Sachen Klimaschutz.

Zur Person: Barbara Saebel

Karriere
Die in der ehemaligen DDR geborene Politikerin sitzt seit 2016 im Landtag von Baden-Württemberg. Dem Bündnis 90/Die Grünen trat sie 1990 bei. Von 1999 bis zu ihrem Einzug in den Landtag war sie Mitglied des Ettlinger Gemeinderats. In der Fraktion der Grünen im Landtag ist Saebel für das Thema Denkmalschutz zuständig.

Fokus ihrer Arbeit
Barbara Saebel ist Initiatorin des Denkmalnetz BW und setzt sich seit vielen Jahren für den Erhalt von kulturellem Erbe ein. Außerdem ist sie Mitglied des Finanzausschusses im Landtag und setzt sich für die Energiewende ein.