Kurzarbeitergeld. Der Begriff ist derzeit wieder in aller Munde, immer mehr Betriebe melden KUG an, immer mehr Mitarbeiter sind betroffen. Was bedeutet das? Zahlen und Fakten aus der Region Stuttgart.
Kreis Esslingen - Kurzarbeitergeld. Der Begriff ist derzeit wieder in aller Munde. Mitarbeiter in Unternehmen, die aufgrund der Turbulenzen in der Weltwirtschaft vorübergehend die Arbeitszeit reduzieren, erhalten für ihre Gehaltseinbußen einen Ausgleich von der Arbeitslosenversicherung. Das half den Firmen vor zwölf Jahren, ihre Mitarbeiter halten zu können und die damalige Wirtschaftskrise zu überstehen. Derzeit steigen die Zahlen der Kurzarbeiter in der Region wieder und sorgen für Verunsicherung, sind sie doch ein Symptom der Industrierezession. Dabei wissen viele nicht einmal genau, was Kurzarbeitergeld bedeutet. Oder, dass es mehr als eine Form gibt – und für Arbeitnehmer in bestimmten Branchen kein Grund zur Aufregung.
Die Basics: Es gibt drei Varianten von Kurzarbeitergeld (KUG). Konjunkturelles, Transfer- und Saison-KUG. Allen gemein ist, dass Mitarbeiter für die Stunden, die sie weniger arbeiten, einen Ausgleich aus der Arbeitslosenversicherung bekommen. Das sind 60 Prozent des Nettolohnverlusts oder 67 Prozent, wenn Kinder mit zu versorgen sind. Teilweise werden auch Sozialversicherungsbeiträge bezuschusst. Während das Saison-KUG ohne großen Aufwand beantragt werden kann, muss dem Bezug bei der konjunkturellen und der Transfer-Variante eine Anzeige durch den Betrieb vorausgehen. Die Agentur prüft dann, ob ein Betrieb bezugsberechtigt ist. Alexander Müller und sein Team sind dafür in den Landkreisen Esslingen, Göppingen und Rems-Murr zuständig. Sie haben derzeit viel Arbeit, immer mehr Betriebe lassen sich beraten und stellen Anzeigen. „Besonders im Bereich des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes gibt es eine erhebliche Steigerung seit dem Sommer 2019, vor allem in den Landkreisen Esslingen und Göppingen“, sagt Müller.
Konjunkturelles Kurzarbeitergeld: Besonders präsent in den Medien ist diese Variante für Betriebe, die aufgrund der Konjunkturflaute vorübergehend Hilfe brauchen, um die Mitarbeiter halten zu können. Die Betonung liegt hierbei auf dem Begriff „vorübergehend“. Vor wenigen Wochen beschloss der Bund angesichts von Forderungen aus der Industrie, diese Hilfen auszuweiten, sodass Unternehmen nun bis zu zwei Jahre statt bis dato zwölf Monate Lohnausgleich für ihre Mitarbeiter beantragen können, wenn die Zeit für Weiterbildung genutzt wird. Während im Juli 2018 noch 1849 Männer und Frauen in Baden-Württemberg konjunkturelles KUG bezogen, waren es im Juli 2019 schon 7320 – jüngere Zahlen hat die Arbeitsagentur nicht. Zum Vergleich: 2009 gab es zeitweise im Südwesten mehr als 300 000 Kurzarbeiter. Die Zahl der Personen, für die Arbeitgeber konjunkturelles KUG im Voraus angezeigt haben, lag landesweit im Dezember 2019 bei 13 165 – allerdings steht hier noch nicht fest, ob dann auch tatsächlich so viele KUG bezogen haben. Christoph Nold, Geschäftsführer der IHK Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen, nennt als Gründe für den Anstieg der KUG-Bezieher deutliche Rückgänge im Auftragseingang seit Mitte 2019. Auch wegen Produktionsausfällen wegen des Coronavirus und der daran hängenden Lieferketten werde KUG vereinzelt beantragt. „Das Kurzarbeitergeld ist in meiner Wahrnehmung ein bewährtes Instrument im Bereich der Produktionsunternehmen – und bei denen liegt ein Wertschöpfungsschwerpunkt im Landkreis“, lobt Nold. „Das KUG ist aber kein Instrument, das die notwendige Weiterentwicklung, Transformation und Anpassung der Geschäftsmodelle, die die Betriebe zum Teil vor sich haben, ersetzt!“
Transfer-Kurzarbeitergeld: Wenn die Schwierigkeiten nicht nur vorübergehend sind, wird diese Variante ein Thema – derzeit lassen sich immer mehr Unternehmen dahingehend beraten, sagt Alexander Müller, darunter viele Automobilzulieferer und Maschinenbaufirmen. Steht Personalabbau im größeren Stil an, können Arbeitgeber und Betriebsrat einen Transfersozialplan vereinbaren. Dieser gibt den Betroffenen die Möglichkeit, statt direkt mit einer Abfindung entlassen zu werden, für maximal ein Jahr in eine Transfergesellschaft zu wechseln. In dieser Zeit beziehen die Männer und Frauen KUG und erhalten Hilfe bei der Jobsuche sowie Qualifzierungsmöglichkeiten. Letztere werden von Arbeitgeber und Arbeitslosenversicherung bezahlt. Gemanagt werden Transfergesellschaften von spezialisierten Beratungsunternehmen. Für ihn sei der Weg in die Transfergesellschaft „alternativlos“ gewesen, sagt ein 47-Jähriger aus dem Kreis Esslingen, der anonym bleiben will. Bis Herbst 2018 war er elf Jahre lang als Quereinsteiger bei einem Automobilzulieferer in der Entwicklung tätig. Es sei absehbar gewesen, dass seine frühere Abteilung, über kurz oder lang geschlossen wird. Also griff der zweifache Vater die Gelegenheit beim Schopf. „Es wird auch mit etwas Abstand der richtige Weg für mich gewesen sein. Aber es war nicht einfach.“ Der Diplom-Bauingenieur sah für sich in der Autobranche keine Zukunft, weshalb er zurück in sein ursprüngliches Metier wollte. Nach Misserfolgen bei der Jobsuche absolvierte der 47-Jährige sechs Monate lang Auffrischungskurse. Danach ergatterte er ein Praktikum und daraufhin einen Job in einem Architekturbüro. „Ich bin zufrieden“, sagt der Familienvater, auch wenn er kräftige Gehaltseinbußen verkraften muss. Sein Fazit: Es sei gut, dass es Transfer-Gesellschaften gebe. Allerdings sieht er Verbesserungsbedarf in der Beratung. Es sei viel Eigeninitiative notwendig und die Gefahr groß, in ein Loch zu fallen. Einige seiner früheren Arbeitskollegen hätten noch immer keinen Anschluss gefunden.
Saison-Kurzarbeitergeld. Das ist für Mitarbeiter in Bau, Gerüst- und Gartenbau kein Anlass für Zukunftsängste – ganz im Gegenteil. „Es ist für unsere Mitarbeiter eine Absicherung“, sagt Eva Weinmann, die bei der Denkendorfer Bauunternehmung Wilhelm Keller für die Lohnbuchhaltung zuständig ist. Alljährlich in der kalten Jahreszeit von Dezember bis März, wenn Frost, Feuchtigkeit, starke Niederschläge oder eine geringere Auftragslage die Kolonnen dazu zwingen, die Füße still zu halten, beziehen viele Saison-KUG. Natürlich könne das ein finanzieller Einschnitt für den Einzelnen sein, gibt Weinmann zu. Darum versuchen gerade große Unternehmen der witterungsabhängigen Branchen, dieses Mittel nur selten einzusetzen – und zwar mithilfe von Arbeitszeitkonten. Das Jahr über sammelt der Keller-Mitarbeiter auf dem Bau gut 100 Überstunden an, die bei Arbeitsstopps im Winter zunächst abgebaut werden, bevor KUG beantragt wird. Die Männer und Frauen erhalten ihren gewohnten Lohn und einen Anreiz für das zusätzliche Engagement in den milden Jahreszeiten in Form von 2,50 Euro je witterungsbedingt abgebauter Überstunde. Finanziert wird das über eine Umlage, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern anteilig aufgebracht wird. Auch für jede Stunde, die die Arbeiter und Arbeiterinnen vom 15. Dezember bis Ende Februar trotz Wind und Wetter auf den Baustellen schuften, gibt es zusätzlich ein Euro. Ohne diese Möglichkeiten wäre es für die Unternehmen und die Männer und Frauen am Bau deutlich schwieriger, lobt Eva Weinmann die Gesetzgebung. Es sei schließlich ohnehin weniger attraktiv, im Winter draußen zu arbeiten, und schwierig, Personal im Baugewerbe zu finden. In der Region Stuttgart allerdings hat sich die Häufigkeit der Arbeitsstopps aufgrund der immer milderen Winter ohnehin verringert, sagt Weinmann, die seit 30 Jahren in der Branche arbeitet. Früher habe es oft längere Frostperioden gegeben, in denen die Arbeit weitgehend niedergelegt werden musste. Mittlerweile gehe es meist nur um Stunden oder Tage. Dieses Jahr etwa im Januar, als die Erddeponien aufgrund starken Regens geschlossen waren. Das Saison-Kurzarbeitergeld wird bei Keller kaum mehr notwendig.
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