Bei Anne Will ging es am Sonntagabend um die das weitere Vorgehen in der Coronapandemie (Archivbild). Foto: imago images/Jürgen Heinrich/Jürgen Heinrich

Vor dem nächsten Treffen von Bund und Ländern blicken die Gäste bei Anne Will nicht nur in die Vergangenheit und auf die Coronapolitik der Bundesregierung. Wegen steigender Infektionszahlen geht es auch darum, ob nun etwa wieder Lockdown und Ausgangssperre drohen.

Berlin - Seit Sonntag liegt die bundesweite Corona-Inzidenz bei über 100. Angesichts dessen, so erklärte ein Einspieler zu Anne Will, sei im Gespräch, bei der Bund-Länder-Konferenz an diesem Montag, von der angekündigten Notbremse Gebrauch zu machen. In einem Entwurf dazu forderten die SPD-Ministerpräsidenten, dass bestehende Beschlüsse weiterhin gälten, einzelne Modellprojekte zeitlich befristet zu öffnen und kontaktarmer Urlaub ermöglicht werden solle. Bundeskanzlerin Merkel aber sei das nicht genug, sie fordere einschränkende Maßnahmen – wie etwa Ausgangsbeschränkungen, und Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen zu schließen.

Ob angesichts des Impfdebakels und der steigenden Infektionszahlen nur noch die Notbremse helfe, dazu diskutierten der Arzt und Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, Janosch Dahmen, Ulrich Weigeldt, der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, und Zeit-Redakteurin Samiha Shafy sowie über den Bildschirm zugeschaltet: Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, und Wolfgang Kubicki, Bundestagsvizepräsident und stellvertretender Parteivorsitzender der FDP.

Streitthemen des Abends

Ob Kinder Infektionstreiber sind, darüber stritten Weigeldt, Dahmen und Schwesig. Während Weigeldt plädierte, an die Kinder und Jugendlichen zu denken, betonte Dahmen, dass Schulschließungen zu 30 Prozent zu niedrigeren Inzidenzwerten beitrügen. Schwesig betonte, dass sich die meisten der angesteckten Lehrer und Erzieher außerhalb anstecke. Und auch Kubicki wies darauf hin, dass Schulen keine Pandemietreiber seien – und verwies nach Dänemark und in die Niederlande.

Eine Notbremse hielt insbesondere Dahmen für falsch und forderte stattdessen, man müsse vielmehr zurückgehen, denn das Virus sei uns voraus. Ausgangsbeschränkungen reichten daher nicht aus, auch körpernahe Dienstleistungen sowie Bildungs- und Pflegeeinrichtungen müssten geschlossen werden, bis genügend Tests und Masken zur Verfügung stünden. Der Grünen-Politiker störte sich außerdem daran, dass man sich aufs Impfen verlassen habe und andere Punkte wie Tests außer Acht gelassen habe. Schwesig sprach sich mehr dafür aus, bisherige Öffnungsschritte beizubehalten und vor allem die Teststrategie auszubauen. Ausgangsbeschränkungen hielt sie zwar für möglich, aber lokal begrenzt. Und sie müssten gut begründet sein. Gleichzeitig mahnte die SPD-Politikerin, dass das „starke Einschränkungen für Bürgerinnen und Bürger“ bedeute.

Kubicki stimmte Schwesig diesbezüglich zu, nach ihm dürften Ausgangsbeschränkungen nur als ultima ratio eingesetzt werden und ergänzte, dass flächendeckende Ausgangsbeschränkungen rechtswidrig seien. Durch das „Versagen der Bundesregierung“ müsse man nun über Ausgangssperren sprechen und vom einen in den nächsten Lockdown springen. Auch Weigeldt lehnte einen weiteren Lockdown bis in den April ab, denn bis dahin sei die Mutante nicht verschwunden. Auch die Zeit-Journalistin Shafy fand: „Eine Notbremse ist keine Strategie.“ Tests und Ausgangssperren würden nur als Krücken fungieren. Sie kritisierte, die Politik der Bundesregierung seit Oktober letzten Jahres wirke kopflos und planlos.

Hier herrschte Einigkeit

Das Impfen müsse schneller laufen, waren sich die Gäste einig. In einem weiteren Einspieler ging es um den Impfgipfel und darum, wie das Impfen beschleunigt werden könne - etwa indem Hausärzte mithelfen. Wieso darauf nicht schon früher gesetzt wurde, fragten sich auch die Gäste. Auf Alltagsstrukturen zu setzen und die Hausärzte vermehrt zu nutzen, wie Schwesig es ab dieser Woche schon machen wolle, forderte auch Dahmen.

Kubicki und Weigeldt wollen, dass Hausärzte dabei die Priorisierung selbst vornehmen können und sich nicht an die der ständigen Impfkommission STIKO entwickelten Prioritätenlisten halten müssen. Denn Weigeldt zufolge solle sich jeder dort impfen lassen können, wo man wolle. Der Bundestagsvizepräsident lehnte dabei die Kritik von SPD-Politiker Lauterbach ab, der befürchtete, dass so Kontakte über die Impfstoffvergabe entscheiden könnten.

Überzeugendster Auftritt des Abends

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig machte die beste Figur. Die SPD-Politikerin kritisierte, dass es unfair sei, Urlaub auf Mallorca zu erlauben, im eigenen Land aber nicht. Im Flugzeug und auch durch die höhere Mobilität sah sie zudem ein größeres Infektionsrisiko. Auf die Bemerkung Wills, dass die SPD im Auswärtigen Amt an diesem Beschluss beteiligt war, betonte Schwesig, dass es ihr nicht um die Partei, sondern um die Sache gehe. Geduldig erklärte sie Will daher, wieso ihr die Quarantäne für Mallorca-Urlauber so wichtig sei – was auch an der auf Mallorca nachgewiesenen Mutante liege. Denn die sei so gefährlich, weil gegen sie womöglich keiner der bislang entwickelten Impfstoffe helfe.

Die Ministerpräsidentin forderte, dass die Bevölkerung – wie es mit Masken geschehen sei – mit Selbsttests ausgestattet werden müsse und erzählte, dass ab dieser Woche in ihrem Bundesland Hausärzte beim Impfen einbezogen würden. Auch was den Sommerurlaub anging, blieb die SPD-Politikerin realistisch, machte aber immerhin etwas Hoffnung auf Urlaub im eigenen Land: „Wir sind in der dritten Welle mit Mutation, ein großer Urlaub mit Hin- und Herreisen ist nur schwer möglich. Da wäre es doch sinnvoll, zum Beispiel kontaktarmen Urlaub in Ferienwohnungen oder -häusern zu ermöglichen.“

So schlug sich Will

Moderatorin Anne Will gab sich besonders kritisch und ließ ihre Gäste kein einziges Mal mit einfachen oder schwammigen Antworten davonkommen. Gleich zu Beginn der Sendung hakte sie kritisch bei Schwesig nach, als diese das Für und Wider von Ausgangssperren abwog, und wollte wissen, wie sie denn nun zu diesen stehe. Und auch den Grünen-Politiker Dahmen gab Will nicht frei, ehe er präzisierte, was er damit meine, statt einer Notbremse zurückzugehen und Lockerungen rückgängig zu machen. Auch als Kubicki höhere Inzidenzwerte mit vermehrtem Testen erklärte, wollte die Moderatorin von Mediziner Dahmen genau wissen, ob das wirklich so sei.

Als der Mediziner Weigeldt davon sprach, dass ein Großteil der älteren Menschen geimpft sei, grätschte sie rein, dass aber längst nicht alle geimpft seien. Auch die fast schon zynische Bemerkung, dass zwar mehrere Politiker aus dem Gesundheitsministerium für die Sendung angefragt wurden – darunter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – diese aber alle nicht kommen wollten und konnten, ließ sich Will nicht nehmen. Will wollte zudem wissen, was es mit der Quarantäne für Mallorca-Rückkehrer trotz der niedrigen Inzidenzen auf sich habe und ob das eine Bestrafung sein solle.

Die Mehrzahl der Gäste sprach sich gegen einen weiteren Lockdown aus. Einzig Dahmen von den Grünen plädierte für einen weiteren harten Lockdown. Einer Ausgangssperre standen Kubicki, Shafy und auch Schwesig kritisch gegenüber. Schwesig mahnte, man müsse nun besonders das verlorene Vertrauen in den Impfstoff von Astrazeneca wiedergutmachen und die Journalistin Shafy unterstrich, wie wichtig es sei, nicht nur die deutsche, sondern die ganze Weltbevölkerung zu impfen. Denn sonst könnte es passieren, dass die Mutanten weiterhin mutieren, was die Impfstoffwirkung damit reduzieren könnten.