Flüchtlinge schlafen auf der Straße - bei Anne Will wurde man dem Thema nicht ganz gerecht. (Archivbild). Foto: ARD Das Erste/NDR/Wolfgang Borrs/ARD Das Erste

Zu viele Gäste, zu wenig Struktur. Nur zwei Gründe dafür, dass das Gespräch bei Anne Will dem Thema nicht gerecht wurde. Es gibt aber auch noch weitere.

Stuttgart - Es ist ein großes Thema, und es ist praktisch gesetzt gewesen, dass Anne Will am Sonntag Gäste um sich scharte, mit denen die Geschehnisse auf Moria und die europäische Flüchtlingspolitik besprochen werden sollten. Eine große Sendung ist es nicht geworden, leider. Zum einen, weil die Zahl der Gesprächsteilnehmer mit fünf im Studio um mindestens eine Person zu hoch gewesen ist, um strukturiert voran zu kommen. Zum anderen, weil die Verweigerungshaltung beachtlich gewesen ist, auf die durchaus pfiffigen Fragen der Moderatorin einzugehen. Vor allem die Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock machte in dieser Kategorie Punkte.

Den Höhepunkt von 60 Minuten Sonntag-Abend-Talk gab es daher gleich zu Beginn. Da wurde nach Lesbos geschaltet, wo Isabel Schayani bei einer Flüchtlingsfamilie saß, die gerade zu Abend gegessen hatte. Vier Menschen, drei Eier. Die Familie sitzt nach dem Brand im Flüchtlingslager Mori, im wahrsten Sinne des Wortes, auf der Straße. Die WDR-Journalistin sitzt bei ihr und erzählt über die Gedanken und Ängste der Flüchtlinge.

Gerüchte schwirren durch die Reihen

In Windeseile hat die griechische Regierung ein neues Lager errichtet, Platz für 3000 Menschen auf einem ehemaligen Militärgelände geschaffen. Bei den Flüchtlingen geht die Angst um, sie wissen nicht, was sie dort erwartet. Gerüchten zufolge soll ihnen das Handy abgenommen werden oder die Schnürsenkel. Nichts genaues weiß man nicht. Auch nicht, ob das Lager offen oder geschlossen sein soll. Von offizieller Seite gebe es dazu keine verlässliche Auskunft, sagt die Reporterin aus Deutschland. „Wir sind erschöpft, warum behandelt man uns wie Tiere?“, fragen die Flüchtlinge. Es sind beklemmende Bilder aus einer kalten griechischen Nacht.

Manfred Weber, der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament, muss natürlich voranstellen, dass er „nichts schönreden“ will, bevor er erklärt, dass die Situation in Moria schlimm ist, aber zumindest im Vergleich mit der Lage kurz vor dem Brand, schon einmal schlimmer war. „Vor einem Jahr gab es dort 25 000 Flüchtlinge, jetzt sind es 13 000“. Auch die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen habe sich massiv verringert. Annalena Baerbock gibt sich empathischer, geht auf das Leid der Menschen ein – aber nicht konkret auf die Frage der Moderatorin, ob denn nun alle Menschen nach Deutschland gebracht werden sollten. Ein klares Ja oder Nein zu Beginn wäre da wünschenswert gewesen, gerne mit angehängter Begründung. Was kam waren bewährte Polit-Sprechblasen, aus der sich jeder das Seine herauslesen kann.

Ein neuer Deal mit Erdogan?

Der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus rechnet vor, dass die mageren europäischen Angebote zur Aufnahme von Flüchtlingen nach dem Brand in Wirklichkeit nichts mit dem Brand zu tun haben. „Europa nimmt keine einzige Person auf Grund des Feuers auf, die Angebote bestanden schon zuvor“. Einen Ausweg aus der Dauerkrise sieht er nur mit Griechenland an der Seite – und mit der Türkei. Man müsse den EU-Türkei-Deal erneuern, sagt Knaus. In Griechenland herrsche Angst vor, dass die Flüchtlinge in der Hand eines Gegners wie Erdogan zur Waffe werden. „Die EU muss Erdogan noch einmal ein Angebot von fünf Milliarden Euro machen“, so sein sehr konkreter Vorschlag.

Der „Zeit“-Journalist Ulrich Ladumer stellt die (freilich im folgenden unbeantwortete) Frage, weshalb gerade aus Afghanistan so viele junge Leute fliehen, obwohl diesem Land wie wenig anderen in den letzten 20 Jahren durch den Westen geholfen worden sei. „Es gehen diejenigen, die das Land aufbauen sollten“. Sein Plädoyer, genauer hinzusehen, verhallte in der Runde. Auch der Hinweis, dass aus Eritrea gerade die fliehen, die eine politische Opposition aufbauen könnten.

Beim Einspieler von Bundesinnenminister Horst Seehofer, der im Bundestag erklärte, dass Deutschland derzeit werktäglich 300 bis 400 Flüchtlinge aufnehme, mochte Annalena Baerbock die Frage nicht beantworten, ob das nicht eine ordentliche Zahl sei. Manfred Weber schummelte sich kurz darauf um eine Stellungnahme dazu herum, was Ungarns Premier Victor Orbán eigentlich in seiner EVP-Fraktion verloren hatte.

Marie von Manteuffel, eine Vertreterin von Ärzte ohne Grenzen, brachte es schließlich auf den Punkt. Alles, was sie hier höre, höre sie seit 2016. Stimmt.