Anna Katharina Hahn geht mit wachen Augen durch die Stadt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Alles drängt wieder nach draußen und hält doch meist Abstand. In Corona-Zeiten arbeiten Menschen trotzdem neu am Zusammenhalt. Unserer Kolumnistin Anna Kathrina Hahn fällt das beim Gang durch die Stadt immer wieder auf.

Stuttgart - Dick, dunkel und bequem steht es hier seit Wochen. Aus den Augenwinkeln habe ich es zum ersten Mal wahrgenommen, als ich Richtung Marienplatz unterwegs war, vor Monaten, in einer anderen Zeit: ein ausrangiertes Sofa, das auf den Sperrmüll wartet, ein alltäglicher Anblick, der kaum zum Innehalten reizt. Irgendwann später, mitten in der tiefen Stille der Ausgangssperre, fällt alles schärfer ins Auge, bisher Unbeachtetes setzt sich neu zusammen: Platt getretene weißgraue Kaugummiklumpen bilden Sternbilder auf dem dunklen Asphalt des Trottoirs, in der Schnitzerei einer Haustür entdecke ich zwei Eichhörnchen, auf dem Sofa sitzt ein Mann und trinkt Kaffee, neben sich einen leuchtend blauen Beistelltisch. Erst jetzt entdecke ich den Zettel an der Hauswand über dem Sitzmöbel: „Bitte nicht wegtragen, aber gerne sitzen und verweilen.“ Es wird wärmer, und die Karriere des Sofas nimmt ihren Lauf. Jedes Mal, wenn ich vorbeikomme, hat sich jemand zwischen seinen abgewetzten Polstern niedergelassen. Inzwischen liegt sogar ein alter Teppich davor, ein Stück Wohnzimmer mitten in der Stadt.