Die Szene der eskalierten Festnahme im Jahr 2017. Quelle: Unbekannt

Nach Schlägen eines Polizeibeamten gegen einen widerspenstigen Raucher blieb das Amtsgericht unter dem Strafmaß von einem Jahr Haft. Das hätte ihn sonst den Job gekostet.

StuttgartFür den Polizisten ist es ein harter Schlag: Acht Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung. Im Flur des Amtsgerichts diskutiert er am Donnerstag kopfschüttelnd mit seinen Anwälten, die doch einen Freispruch gefordert hatten. „Natürlich prüfen wir, ob wir Rechtsmittel einlegen“, sagt der Verteidiger des 30-jährigen Polizeikommissars. Der Anwalt des Opfers und Nebenklägers dagegen hält das Urteil für zu milde. „Eine Berufung ist eher wahrscheinlich“, sagt er. Zu hart, zu milde? Amtsrichter Gerhard Gauch war bei seinem Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt dem Antrag der Staatsanwaltschaft gefolgt.

Dabei geht es für die Öffentlichkeit um die Frage: Hatte der Polizist den Mann festnehmen und in Handschellen legen dürfen? Nur weil der an jenem 19. Februar 2017 an der Unfallstelle seine Zigarette nicht ausmachen wollte und einen Alkomattest ablehnte? Die drastischen Videoszenen, bei denen ein 35-jähriger Unfallbeteiligter nachts in der Willy-Brandt-Straße letztlich von vier Polizeibeamten mit Stockschlägen und Fausthieben zu Boden gebracht wird, hatten bundesweit bis in die türkischen Medien für Aufsehen gesorgt. Polizeigewalt in Stuttgart – unverhältnismäßig oder gar rechtswidrig? Ob das Amtsgericht juristisch das letzte Wort gesprochen hat, ist offen.

Dabei waren es nicht vorrangig die Faustschläge, die dem Polizeikommissar beruflich zum Verhängnis hätten werden können. sondern seine spätere dienstliche Stellungnahme, bei der er die Gründe für die Eskalation bei der Unfallaufnahme geschildert hatte. Der Beamte gab vor, bedroht worden zu sein und aus Gründen der Eigensicherung gehandelt zu haben. Das war ihm von der Staatsanwaltschaft so ausgelegt worden, dass er nachträglich den missratenen Polizeieinsatz beschönigen wollte. Eine Verfolgung Unschuldiger aber ist ein Verbrechen – und wird nicht unter einem Jahr Haft bestraft. Die Messlatte für ein sofortiges berufliches Aus als Polizeibeamter. Das hat ihm Amtsrichter Gauch erspart. „Wir gehen davon aus, dass sie subjektiv und objektiv einen Angriff erlitten haben“, sagt er, „und wir können nicht feststellen, dass sie inhaltlich falsche Angaben gemacht haben, um einen Unschuldigen zu verfolgen.“ Das hatte auch die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer so gesehen – und ihre Anklage in diesem Punkt zurückgenommen.

Ein Mini Cooper war an jenem 19. Februar 2017 viel zu schnell auf der B 14 durch die Innenstadt unterwegs. Ein Zeuge spricht von einem Wettrennen. Mit überhöhter Geschwindigkeit prallte der Wagen gegen einen Opel Corsa, überschlug sich, blieb auf dem Dach liegen. Alle Beteiligten blieben unverletzt. Die Situation eskalierte später, als der 35-jährige Mini-Beifahrer einen Streit um seine Zigarette anzettelte. Der Polizist versuchte ihn festzunehmen – was aber angesichts der Ringerkünste des Beifahrers ziemlich danebenging. Am Ende gab es vier kämpfende Polizisten. Einer mit Schlagstock. Der 30-jährige Kommissar mit Faustschlägen gegen den Kopf.

Das wäre alles noch rechtmäßig gewesen. Wenn die Festnahme wegen des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt erfolgt wäre, erläutert die Staatsanwältin. Der Beamte habe sich allerdings auf einen Paragrafen im Polizeigesetz berufen, nach dem eine „erhebliche Störung nicht anders beseitigt werden kann“, beziehungsweise „zum eigenen Schutz erforderlich ist“. Doch dann habe er die Ebene der Verhältnismäßigkeit verlassen – mit mehreren Faustschlägen gegen den Kopf. Dass der Polizist zuvor verbal von seinem Gegenüber und Landsmann auf Türkisch bedroht worden sei, wie er behauptet, sei nicht mehr nachweisbar – und müsse im Zweifel für den Angeklagten gewertet werden, sagt die Staatsanwältin. Aber: „Die Faustschläge waren jedoch zu viel, sie waren ein Exzess.“