Johannes M. Fischer schreibt über den Alltag in Esslingen. Foto: Roberto Bulgrin/bulgrin

Johannes M. Fischer beschreibt einen Tag, an dem er durch die Stadt stromert und an dem scheinbar nichts Besonderes ist. Und doch ist es irgendwie ein besonderer Tag.

Esslingen - Manche Tage haben es in sich. Sie vergehen schnell, es passiert viel, und dennoch fragt man sich am Abend: Was war so besonders an diesem Tag? Die ernüchternde Antwort lautet: eigentlich nichts. Das Protokoll eines Tages, an dem nichts passierte und der mich trotzdem erfüllte:

Phase 1: Es ist sieben Uhr. Kaffee machen, Mails checken und was man sonst noch macht am Morgen. Als ich in die Jeans schlüpfe, fällt mir wieder auf, dass der Gürtel kaputt gegangen ist. Ich gehe ohne Gürtel.

Phase 2: Irgendwo zwischen Innenstadt und Oberesslingen gibt es einen Waschsalon, über den ich schreiben will. Die Inhaberin ist da. Sie ist immer höflich, aber heute hat sie Ärger mit einem unverschämten Kunden. Meine Hemden, die ich vor einer Woche abgab, sind fertig. Aber ich kann sie nicht mitnehmen – ich bin mit dem Fahrrad da.

Phase 3: Ich fahre weiter in ein Handtaschen- und Schuhgeschäft und schaue mich nach einem Gürtel um. Die Verkäuferin verblüfft mich. Sie erzählt mir, dass sie zwölf Paar neue Schuhe und zwei neue Handtaschen im Jahr benötigt.

Phase 4: In einer Drogerie kaufe ich einen Schreibblock, weil ich die Eindrücke aus dem Waschsalon festhalten will. Mit der Verkäuferin komme ich ins Gespräch. Unser Thema: Corona. Jeder zweite Kunde spricht sie auf Desinfektionsmittel an, sagt sie.

Phase 5: Per Textnachricht verabrede ich mich zu einem Treffen mit einer Künstlerin. Sie macht Musik und Theater. Mittags ist sie fertig mit der Probe und wir können reden. Bis zu diesem Termin ist noch etwas Zeit. Ich bummele durch die Gassen der Innenstadt und bemerke, dass ich nicht der Einzige bin, der den Tag genießt. Trotz Corona, Regierungskrise und Börseneinbrüchen.

Phase 6: Zeit für einen meiner Lieblingsstadtteile: die Pliensauvorstadt. Allein der Weg über die Brücke lohnt sich. Auf der anderen Seite hinter Gleisen und Fluss gibt es eine Unterführung und dort eine Rolltreppe. Sie ist kaputt. Seit einer Ewigkeit, ein Vorstadt-Drama. Ich sage „Hallo“ und verspreche ihr, demnächst über sie zu schreiben.

Phase 7: Ich komme fast ohne Verspätung in der Dieselstraße an, wo die Künstlerin schon wartet. Es ist eines dieser Gespräche, die komplett aus der Routine fallen. Über alles, Gott und die Welt. Sehr offen, sehr persönlich, sehr tief.

Phase 8: Langsam fällt der Nachmittag in den Abend. Mein Smartphone blinkt. Jemand schreibt mir. Der Tag ist noch nicht so alt, als dass ich nicht noch eine weitere Verabredung vertragen könnte. Ich beeile mich. In unserem Gespräch spielt erneut der Alltag eine große Rolle: Urlaub, Arbeit, bürokratische Hürden. In einem Baum hängt ein verirrter Drache.

Phase 9: Inzwischen ist es dunkel, ich bin wieder zu Hause, aber nur kurz. In der Nachbarschaft trifft sich ein Sängerkreis. Über die Vorstadtkneipe und den Chor möchte ich eine Geschichte schreiben. Die Sänger haben sich in einer Turnhalle versammelt und lassen es sich gut gehen. Sie essen, sie trinken und sie singen.

Phase 10: Der Tag ist durch. Ich liege auf dem Bett und halte mein Smartphone in den Händen. Ein paar Nachrichten über WhatsApp und Facebook, die ich beantworte. Ich frage mich: Was hab ich eigentlich gemacht an diesem Tag? Nicht viel. Es war ein ganz normaler Tag.