Verstehen sich nicht nur, wenn Trophäen verteilt werden: Maria Segura Pallerés (li.) und Krystal Rivers nach dem Pokalsieg von Allianz MTV Stuttgart im März. Foto: Baumann

Die US-Amerikanerin verzichtet auf das wichtige Amt, bleibt für den Volleyball-Bundesligisten aber eine unersetzbare Spielerin. Die neue Spielführerin kommt aus Spanien.

Im Fußball, das hat die WM in Katar einmal mehr gezeigt, geht es nicht nur um Tore, Taktik und Tricksereien. Sondern oft auch um Botschaften, für die sich Binden ganz gut eignen. Oder eben nicht. In anderen Sportarten sind derartige Diskussionen ausgeschlossen – weil die Kapitäne dort gar keine Binden tragen. Im Volleyball zum Beispiel werden die Spielführer durch einen acht mal zwei Zentimeter großen Balken unter der Nummer auf der Vorderseite des Trikots gekennzeichnet. Dieser Platz ist selbst für Kurzmitteilungen zu klein, was allerdings nichts über die Bedeutsamkeit des Amts aussagt. Weshalb die Veränderung, die es nun bei Bundesligist Allianz MTV Stuttgart gab, durchaus bemerkenswert ist.

In der vergangenen Saison stemmte noch Krystal Rivers (28) den Pokal und die Meisterschale in die Höhe, die überragende Diagonalangreiferin ist seit Jahren eines der Gesichter der Stuttgarter Volleyballerinnen. Aber seit Anfang der Woche nicht mehr ihre Kapitänin. Schon an diesem Mittwoch, im ersten Champions-League-Heimspiel gegen Fenerbahce Istanbul (19 Uhr/Scharrena), wird Maria Segura Pallerés (30) das MTV-Team anführen. Ein Ämtertausch mitten in der Saison? Ist selten, in diesem Fall aber absolut nachvollziehbar – schließlich steht die Gesundheit von Krystal Rivers auf dem Spiel.

Tückische Krankheiten besiegt

Die US-Amerikanerin kam mit dem Tethered-Spinal-Cord-Syndrom zur Welt. Ihre Wirbelsäule war steif und verkürzt, die Bauchdecke bei der Geburt offen, viele Knochen waren deformiert. Es folgten mehrere Operationen, mit einem Jahr mussten ihr beide Hüftgelenke gebrochen werden. Im Teeniealter hatte Krystal Rivers bereits 20 Operationen hinter sich und zudem die Diagnose der Ärzte, dass sie niemals würde laufen können. Den Traum, eine Topsportlerin zu werden, erfüllte sie sich trotzdem. Dann kam mit 19 Jahren der Krebs – in fortgeschrittenem Stadium. Lymphknoten in Hals, Brust und Hüfte waren betroffen. Es folgte eine lange Chemotherapie. Und der Sieg über die nächste tückische Krankheit.

Danach wurde Krystal Rivers, was für eine unglaubliche Leistung, zur besten Angreiferin der Volleyball-Bundesliga – obwohl sie die Folgen ihrer Leidenszeit weiterhin spürt. Bis zu zwei Stunden täglich muss die Volleyballerin für die Pflege ihres Körpers aufwenden. Ausfälle sind dennoch unvermeidlich. Darüber zu klagen entspräche nicht ihrer Art. Im Gegenteil. Krystal Rivers investierte, obwohl eher introvertiert veranlagt, sogar noch zusätzliche Kraft, um ihr Team als Kapitänin anzuführen, sich um ihre Mitspielerinnen zu kümmern, häufig mit dem Trainer zu kommunizieren, das Sprachrohr nach außen zu sein. „Sie ist als Athletin ein Vorbild, hat eine unfassbare mentale Stärke“, sagt Kim Renkema, die Sportdirektorin von Allianz MTV Stuttgart, „und trotzdem kostete das Amt sie natürlich viel Energie. Diese Energie benötigt sie jetzt für sich selbst.“

Fehlzeiten schmerzen doppelt

Das Problem ist nicht, dass Krystal Rivers an Klasse verliert, zuletzt spielte sie vor zwei Wochen beim 3:0 in der Champions League in Lodz auf Topniveau. Das Problem ist, dass sie ihre Klasse (zu) oft nicht zeigen kann. „Sie ist nicht anfälliger für Verletzungen als andere Spielerinnen, aber anfälliger für Krankheiten“, sagt Kim Renkema, „deshalb müssen wir die Belastung steuern. Im Training und im Wettkampf.“

Die Mannschaft ist zwar meist stark genug, um Krystal Rivers ersetzen zu können, immer aber klappt das nicht. Das Play-off-Finale um die Meisterschaft 2021 gegen den Dresdner SC ging auch deshalb verloren, weil die US-Amerikanerin in den letzten beiden Duellen fehlte. Wie auch vor zehn Tagen beim 2:3 im Pokal-Halbfinale gegen den SSC Palmberg. „Wenn sie in wichtigen Spielen nicht dabei ist, tut das weh“, erklärt die MTV-Sportchefin, „und das gleich doppelt.“ Weil nicht nur die stärkste Angreiferin vermisst wird. Sondern auch die Kapitänin.

Eine wichtige Botschaft – auch ohne Binde

Deshalb füllt dieses Amt, das Lust und Last zugleich ist, nun eine andere aus. „Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem meine Gesundheit mich veranlasst hat, meine Rolle im Team zu überdenken“, sagt Krystal Rivers, die nach ihrer Grippe gegen Fenerbahce Istanbul zurückkehren wird, „ich kann nicht länger meine Pflichten als Kapitänin erfüllen und zugleich die Energie aufbringen, um auf höchstem Niveau zu spielen.“

Renkema („es war eine gemeinsame Entscheidung“) musste nach einer bestens geeigneten Nachfolgerin nicht lange suchen: „Maria Segura Pallerés passt dank ihrer extrovertierten Persönlichkeit und ihres stabilen Spiels perfekt.“ Zugleich, davon ist die Sportchefin überzeugt, wird es Krystal Rivers gut tun, sich nun auf sich selbst konzentrieren zu können. Das volle Vertrauen der Verantwortlichen genießt die Volleyballerin, die seit Sommer 2018 in Stuttgart spielt – auch für die Zukunft. „Wann ihre Zeit bei uns zu Ende geht“, erklärt Kim Renkema, „das bestimmt sie selbst.“ Es ist eine Aussage, die verdeutlicht, dass es auch im Volleyball wichtige Botschaften gibt. Eine Kapitänsbinde braucht es dafür nicht.