Alex Capus erzählt bei der Lesart, wie sein Roman „Susanna“ entstand. Foto: Ines Rudel

Einblicke in sein literarisches Schaffen gab der Autor Alex Capus bei der Lesart. Der historische Schriftsteller erzählte, wie sein neuer Roman „Susanna“ entstand.

Auf die Spuren einer faszinierenden Frau hat sich Alex Capus in seinem neuen Roman „Susanna“ begeben: Mit fünf Jahren flüchtete das Mädchen Susanna Carolina Faesch mit seiner Mutter per Schiff nach New York. Dort erlernte die Heranwachsende den Beruf der Kunstmalerin und machte sich später als Bürgerrechtsaktivistin einen Namen. Geboren wurde sie 1844 in Basel, gestorben ist sie 1922 in Brooklyn.

Beim Esslinger Literaturfestival Lesart erzählte Alex Capus, wie er die starke Frau zu seiner Hauptfigur gemacht hat. „Lesen können Sie das Buch selbst, wenn ich wieder weg bin“, sagte der Autor im Saal des CVJM. Er las am Montagabend nur zwei knappe Auszüge vor. Der 61-jährige Schweizer Schriftsteller zieht es vor, über sein literarisches Schaffen zu sprechen. Bei der Lesart holte er weit aus. Ganz erschlossen sich seine Gedanken zunächst nicht; aber nach und nach bekam sein Erzählfluss Sinn.

Der Literat betreibt in seiner Heimatstadt Olten eine Bar und steht dort montags von 16 bis 20 Uhr selbst hinterm Tresen. Das Leben, das sich in Wirtschaften abspielt, saugt er auf. So überraschte es das gebannte Publikum nicht, dass er bei Pizza und Rotwein mit seinem Basler Schriftstellerfreund Patrick Tschan vom Leben des Aristokratenmädchens Susanna Carolina Faesch erfahren habe. Für den Schriftsteller, der Geschichte in seinen Romanen lebendig werden lässt, war das ein reizvoller Stoff.

Kraftvolle Fiktion

Die Stärke von Alex Capus ist es, historische Fakten mit seiner kraftvollen Fiktion zu verknüpfen. Das ist ihm auch in seinem neuen, im Hansa-Verlag erschienen Roman „Susanna“ gelungen. Die Handlung beginnt in Basel. Dort hat er studiert, die Stadt kenne er gut, erzählt er. In seiner klaren, malerischen Sprache beschreibt er das Mädchen Susanna, wie es bei dem volkstümlichen Festtag der Basler Ehrengesellschaften die erschreckende Seite der Tradition erlebt. Bei dem Spektakel, das jedes Jahr im Januar stattfindet, fährt ein als Wilder Mann verkleideter Darsteller auf einem Floß über den Rhein.

Kritisch und klug blickt der schweizerisch-französische Romanschriftsteller hinter die Fassade des Brauchtums der Kleinbasler. In der pietistisch geprägten Stadt entlädt sich da die Leidenschaft. Der Tanz des Wilden Mannes am Ufer macht dem Kind Angst, es setzt sich zur Wehr. „Die Szene habe ich erfunden“, verrät der Schriftsteller. Mit diesem Kniff gelingt es ihm, die inneren Beweggründe seiner Hauptfigur nachzuzeichnen. Das Wilde hat seine Susanna schon als Kind kennen und auch fürchten gelernt. Die Mutter nahm sie dann mit in die USA, wo sie in New York mit ihrem Geliebten ein neues Leben beginnt. Susanna wächst in New York auf. Als erwachsene Frau zieht es sie aber in den Wilden Westen – als Caroline Weldon wird sie Kunstmalerin und Bürgerrechtsaktivistin, die sich für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner einsetzt.

In rasantem Tempo bewegt sich Capus über die Kontinente und durch die Zeit. Um die Spuren der Kunstmalerin im Mittleren Westen zu suchen, hätte man früher Monate gebraucht. „Vieles findet man heute im Internet.“ Das Ölbild, das die Malerin von dem berühmten Indianerhäuptling Sitting Bull gezeichnet hat, hängt im Museum von North Dakota. Das Werk Caroline Weldons ist auf dessen Homepage abgebildet. „Sie werden sich wundern, im Hintergrund ein Birkenwäldchen zu sehen“, sagt Capus dem Esslinger Publikum. Denn Birken gibt es im Mittleren Westen nicht. Das Rätsel hat der Autor gelöst: Weldon hat offenbar das Bild eines kanadischen Künstlers benutzt, das als Postkarte verkauft wurde. In Kanada wachsen Birken.

Überzeugende politische Perspektive

Großartig ist Capus’ Literatur dann, wenn er die politische Perspektive einbezieht. Kritisch betrachtet der Schriftsteller, der einige Jahre als politischer Redakteur in Bern gearbeitet hat, die Westernshows von Buffalo Bill, in denen Indianer regelrecht vorgeführt und gedemütigt wurden. „Der Sioux-Häuptling Sitting Bull hatte keine andere Wahl, als sich zu verkaufen, denn sein Stamm litt Hunger.“ Griffig beschreibt Capus, wie die stolzen Kämpfer dem johlenden Publikum präsentiert und verspottet wurden. Sitting Bull hatte entscheidenden Anteil am Sieg über die US-Kavallerie am Little Bighorn. Weil die Armee sein Charisma fürchtete, wurde er gejagt und im Dezember 1890 erschossen. Was sie bei ihren Reisen beobachtete, bewegte Caroline Weldon dazu, sich für die Rechte der Indianerstämme einzusetzen.

Obwohl die Lesepassagen denkbar knapp ausfielen, zeichnete Capus mit seiner Erzählkunst das komplexe Bild einer starken Frau, die ihren Weg in Europa wie auch in der neuen Welt ging. „Die Spuren von Frauen sind nicht leicht zu finden“, räumt der Schriftsteller ein. Denn in vergangenen Jahrhunderten hatten Frauen keine Rechte. Die Reise, auf die er sein Lesepublikum im Roman „Susanna“ mitnimmt, macht das umso spannender. Capus gelingt das Porträt einer starken Frau, die sich aufmacht, eine andere Kultur zu entdecken. Die Grenzen, an die sie stößt, kommen im Roman klar zum Tragen.