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Von Hermann Dorn

Über die deutschen Königshäuser, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Mischung aus Bauwut und Verträumtheit sündhaft teure Schlösser und Burger geschaffen haben, kann man bis heute nur den Kopf schütteln. So viel Verschwendung. So viel Nostalgie. Und doch können sich auch nüchtern denkende Betrachter im 21. Jahrhundert der Faszination dieser Schöpfungen nicht entziehen. Das gilt auch und im Besonderen für Wanderer, die am Albrand unterwegs sind und am Zeller Horn auf die Burg Hohenzollern hinüberblicken. Jawohl, Postkartenidylle. Aber trotzdem märchenhaft schön. Zollernburg-Panorama – so heißt der Traufgang, der in Albstadt auf 16 Kilometer Länge immer wieder den Blick auf die Burg Hohenzollern öffnet. Solche Momente gehören zu den Höhepunkten dieser Wanderung, die am Nordrand der Alb, dem Trauf, entlang führt. Die Bilder von der neugotischen Burg bleiben auch dann im Kopf, wenn die Stammburg der Preußen immer wieder aus dem Gesichtsfeld gerät.

Zu sehen gibt es auf der Strecke, die 2011 nicht von ungefähr als zweitschönster Wanderweg in Deutschland ausgezeichnet worden ist, aber weit mehr als den Zoller. Bei guten Bedingungen zeichnet sich im Schwarzwald deutlich der Feldberg ab, im Süden erscheinen die Gipfel der Alpenlandschaft. Mit Fernglas lässt sich verfolgen, wie in Stuttgart die Flugzeuge starten und landen. Wer sich einen noch besseren Überblick verschaffen will, unternimmt einen Abstecher zum 956 Meter hohen Raichberg und klettert auf den gleichnamigen Turm. Zu den bleibenden Eindrücken eines Ausflugs auf die Zollernalb gehört neben den neben den Fernblicken eine weitere Erfahrung.

Immer am Abgrund entlang – so lautet das Motto für weite Abschnitte der Rundtour. Mehr als 300 Meter fällt der nördliche Albrand, der in der Fachsprache der Geologen stets Albtrauf genannt wird, schroff in die Tiefe. Angst? Dafür gibt es keinen Anlass. Die Wege führen überall in sicherem Abstand an den Stellen vorbei, an denen es gefährlich werden könnte. Schwindlig dürfte es auf dieser Tour selbst empfindlichen Ausflüglern nicht werden. Allerdings empfiehlt sich ein aufmerksames Auge für die Wurzelwerke der mächtigen Buchen, die sich schlangenförmig ausbreiten. Auch wenn die Voraussetzungen auf der kargen Zollernalb alles andere als ideal sind, können die Bäume bis zu 400 Jahre alt werden. Weil der felsige Weg in die Tiefe versperrt ist, holen sie mit ihren weitverzweigten Wurzeln an der Erdoberfläche ihre Nahrung aus großen Entfernungen. Die Standfestigkeit, die sie bei Stürmen beweisen, bewundert Wilfried Köhler vom Schwäbischen Albverein. „Da brechen höchstens einmal ein paar Äste ab“, sagt der Wegwart.

Die Preußen, die sich mit dem Wiederaufbau ihrer Stammburg der eigenen Herkunft versichern wollten, haben in Jahrhunderten gerechnet. 1267 – so lange reicht die Geschichte des Zollers zurück. Doch was sind Jahrhunderte im Vergleich zur Entstehung der Zollernalb? Geologen rechnen mit Zeiträumen von Millionen Jahren, wenn sie über diese Gesteinsformation reden. Das gilt auch für den Blick in die Zukunft. Weil die Verwitterung dem Felsstein zusetzt, zieht die Alb sich jedes Jahr um einen Millimeter nach Süden zurück. Ja, sie bröckelt. Aber bis sie verschwunden sein wird, hat es noch viel Zeit. Einen Vorboten des Zerfalls stellt der Hangende Stein dar. Eine zwei Meter breite und 200 Meter lange Kluft trennt die Felswand von der Umgebung. Früher oder später wird sie ins Tal stürzen. Das Wissen, dass die Hochfläche irgendwann nur noch Vergangenheit sein wird, spielt für die Menschen rund um den Raichberg im Alltag keine Rolle.

Das gilt auch für Konrad Keinath, der einen Aussiedlerhof mit mehr als 40 Kühen betreibt. Er rechnet in Generationen. Ob seine Kinder das Anwesen einmal übernehmen werden, ist ungewiss. Sie haben sich zunächst einmal für ein Studium entschieden. Keinath weiß, dass er die Entwicklung nicht aufhalten kann. Ihm bleibt das Glück, „in einer so herrlichen Umgebung leben und arbeiten zu dürfen“. Zur Schönheit leistet er einen nicht unerheblichen Beitrag. Der Bauer, der rings um den Raichberg mehr als 70 Prozent der Wiesen und Äcker bewirtschaftet, betreibt eine extensive Landwirtschaft. Verzicht auf Dünger, späte Termine für das erste Mähen – auf diese Weise ermöglicht der Bauer eine Artenvielfalt, die auch die Wanderer freut. Wohin der Blick reicht – überall findet er seltene Pflanzen und Schmetterlinge. Dass Keinath in dieser Umgebung bei aller Rücksicht auf die Natur sein Auskommen findet, wirkt da fast wie eine Nachricht aus einer heilen Welt. Als Biolandbauer gibt es für ihn den doppelten Milchpreis. „Damit lässt es sich leben“, sagt er zufrieden. Weil sich Keinath das Auge für die Schönheit seiner Heimat bewahrt hat, zieht es ihn in der Abendstille mitunter an den Albrand, wo er ebenfalls die Aussicht genießt. Wenn an Wochenenden die Sonne scheint, widmet er sich dagegen der Arbeit oder er bleibt zuhause. „Dann ist hier oben einiges los“, sagt er, wobei er eifrig betont, dass ihm die Ausflügler willkommen sind. Ruhe und Erholung finden die Gäste auch bei größerem Andrang. Da findet sich stets genügend Muße, um das trotzige Einzelgängertum der Fichten zu bewundern, die sich isoliert auf kleinen Felsvorsprüngen unter widrigen Umständen zumindest vorübergehend behaupten.