Jochen Faber hat die Geschichten von Opfern, Tätern und Aufklärern von Gewalt in der NS-Zeit recherchiert. Foto: Werner Kuhnle

Bei der ersten Langen Nacht der Demokratie in Baden-Württemberg gab es auch in Kornwestheim und Ludwigsburg Aktionen. Bei der Diskussionsrunde in Kornwestheim bleiben Fragen der Schüler offen.

Sie gilt als hart erkämpft und nie stärker bedroht: die deutsche Demokratie. Rechtspopulistische Kräfte gewinnen mit rassistischen und hetzerischen Äußerungen weiter Stimmen – europaweit, deutschlandweit. Ein guter Zeitpunkt also, um am 2. Oktober in Baden-Württemberg die erste Lange Nacht der Demokratie an mehr als 20 Orten zu feiern – unter anderem in Kornwestheim und Ludwigsburg. „Nicht zuletzt stärken wir unsere Verbindung mit Demokratie, wenn wir uns mit ihr befassen“, sagt Landtagspräsidentin Muhterem Aras.

Politiker stellten sich den Fragen der Schüler

Bei der Diskussionsrunde zum Thema „Wozu Demokratie?“ im Grundbuchzentralarchiv Kornwestheim wird am Mittwochvormittag bisweilen heiß diskutiert, wenn auch nicht immer über das Thema Demokratie. Die Bundestagsabgeordneten Steffen Bilger (CDU) und Macit Karaahmetoğlu (SPD), Landtagsabgeordnete Silke Gericke (Grüne) sowie Gerald Maier, Präsident des Landesarchivs, stellen sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler zweier Realschulen aus dem Landkreis. Warum ist Demokratie so wichtig, und wie trägt sie zum Alltag der Bürger bei? Das waren nur einige Fragen der rund 60 Teilnehmer.

Der Integrationsrat Ludwigsburg verteilt Blumen und Zitate auf Papierstreifen. Foto: Werner Kuhnle

Was hat Transsexualität mit Demokratie zu tun?

„Ist Transsexualität ein Grundrecht und damit Teil der Demokratie?“, will Falk von der Maximilian-Lutz-Realschule in Besigheim wissen. Laut Silke Gericke stehen die Grünen dafür, eine inklusive Gesellschaft zu leben. „Wenn sich jemand angegriffen fühlt, hat er in einer Demokratie das Recht, dagegen vorzugehen.“ Auch Bilger betont, er habe kein Problem damit, jemanden mit den gewünschten Pronomen anzusprechen. „Wenn es aber darum geht, dass meine Töchter mit einem biologischen Mann in einer Umkleidekabine sind, hört es für mich auf.“

Warum wählen so viele junge Leute die AfD?

Besonders interessiert die Zehntklässler der Grund für das Erstarken der rechten Parteien und die Gefahr für die Demokratie. Maier sieht Ängste in der Bevölkerung, die von Parteien wie der AfD aufgegriffen werden, als einen Grund. „Sie bieten eine vermeintlich einfache Lösung, die eigentlich gar keine Lösung ist.“ Wählen deshalb so viele junge Menschen die AfD? Weil ihnen die Politik der anderen Parteien zu kompliziert ist? Eine kurze Umfrage im Raum zeigt, dass sich nur zwei Schüler richtig von der Politik vertreten fühlen. Eigentlich eine Chance für die Parteienvertreter, genauer hinzuhören, was sich die Jugendlichen wünschen. Stattdessen wird über E-Mobilität und Verbrennerverbot diskutiert.

Der Demokratiepfad startete von der Zentralen Stelle. Foto: Werner Kuhnle

Junge Menschen über Social Media erreichen

Zurück zur AfD. Gericke sieht den Erfolg vor allem in deren Social-Media-Auftritten. „Sie stellen sich auf Plattformen wie Tiktok dar und das nicht mit Inhalten, sondern plakativ und polarisierend.“ Martin Hofmann, Lehrer an der Gottlieb-Daimler-Realschule Ludwigsburg, weist darauf hin, dass die wenigsten Jugendlichen sich über Tageszeitungen oder lineares Fernsehen informieren. Ein attraktiver Social-Media-Auftritt sei wichtig, um junge Menschen zu erreichen. „Was Menschen auf Tiktok interessiert, ist nicht die Aktentasche von Olaf Scholz“, ergänzt Schüler Falk. Bilger hält es hingegen für zu kurz gesprungen, wenn man sagt, dass es an Medien und fehlender Kommunikation liege. „Es kann nicht gut werden, wenn man Politik gegen die Mehrheitsmeinung macht.“

Am Ende gehen viele Schüler mit einem gemischten Gefühl aus dem eineinhalbstündigen Gespräch. „Ich hatte das Gefühl, dass die Fragen nicht beantwortet wurden, sondern lieber darüber diskutiert wurde, ob die Grünen eine Verbotspartei sind oder nicht“, sagt Falk. Auch sein Mitschüler Colin teilt diese Meinung. „Manche Sachen wurden bewusst nicht beantwortet, beispielsweise Fragen zum Thema Migration.“ Es sei nicht darauf eingegangen worden, was die Schüler im Alltag erleben, stattdessen „wurde eher Parteipolitik betrieben“, so Hofmann.

Geschichten über Opfer, Täter und Aufklärer der NS-Zeit

Fünf Stunden später gibt Bernd Schlegel unweit der Zentralen Stelle in Ludwigsburg Wilhelm Bader eine Stimme. „Wenn Menschen alle Rechte genommen werden, dann muss man kämpfen – und wenn es das eigene Leben kostet“, sagt Schlegel. Der Ludwigsburger Stadtrat, dessen Biografie er vorliest, starb 1945 im Konzentrationslager Dachau. Sechs weitere Geschichten von Opfern, Tätern und Aufklärern von Gewalt in der NS-Zeit hören die rund 40 Besucher auf dem Weg zum Kulturzentrum. Der Ludwigsburger Jochen Faber hat sie recherchiert, aufgeschrieben und liest sie gemeinsam mit Theaterschauspielern vor. „Die Demokratie wird im deutschen Parlament angenagt“, sagt er und erinnert an die unterbrochene konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags. Umso wichtiger sei es zu erinnern, dass die Demokratie schon einmal nicht geschützt wurde. Dass es Errungenschaften gebe, für die es sich zu kämpfen lohne.

Am Ludwigsburger Demokratie-Pfad nahmen rund 40 Personen teil. Foto: Werner Kuhnle

Er ist nicht der Einzige, der bei der Langen Nacht der Demokratie an die Wahlergebnisse in Thüringen, Brandenburg und Sachsen denkt. „So weit muss man aber gar nicht gehen“, sagt Gordana Ancic, die an dem Spaziergang teilnimmt. Der Rahmen des Sagbaren habe sich in ihren Augen immer weiter verschoben, und die demokratischen Parteien hätten noch nicht verstanden, dass sie jetzt zusammenstehen müssten. „Mich mussten sie nicht erschießen, es hat gereicht, mich über diese Jahre in dieses Elend zu stecken“, liest Bernd Schlegel vor. Es sind Worte, die einen frösteln lassen – auch an einem Tag, an dem die Sonne den Rücken wärmt.

Demokratie bedeutet für Spaziergänger gleiche Rechte für alle

Was bedeutet Demokratie für die Spaziergänger? Für Bernd Schlegel sind es die gleichen Rechte für alle, unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Hautfarbe. Für Sina und Thomas Matthis der Austausch und das Aushalten verschiedener Meinungen. Für Sara, eine 29-Jährige, die in Ludwigsburg aufgewachsen ist und an dem Tag zu Besuch in ihrer Heimatstadt ist, gehört zur Demokratie dazu, sich aktiv zu informieren. „Wenn man sich immer nur treiben lässt, verliert man die Richtung.“

Beim Markt der Möglichkeiten ging es um Austausch und Begegnung. Foto: Werner Kuhnle

Da passt es gut, dass der Spaziergang von Jochen Faber vor dem Kulturzentrum endet, in dem ein „Markt der Möglichkeiten“ stattfindet. 13 Organisationen und Vereine haben ihre Stände aufgebaut und Flyer ausgelegt. Das Team der Landeszentrale für politische Bildung verteilt Grundgesetze in Hosentaschenformat, der Integrationsrat Zitate auf Papierstreifen. Darum herum Austausch über ein Thema, dessen Bedeutung und Schutz sich alle sicher sind.