Die Omnibusfirma E. Fischle sucht wie andere Busbetriebe dringend Personal. Eine Aktion von Jobcenter und Arbeitsagentur soll Abhilfe schaffen: Klientinnen und Klienten wurden zum Speeddating in einen Linienbus von Fischle eingeladen.
Passagiere in Bussen und Bahnen in der Region müssen häufig Geduld haben. Immer wieder fallen im Öffentlichen Nahverkehr Fahrten aus, besonders in Zeiten von Krankheitswellen. Denn in der Branche grassiert der Fachkräftemangel. Die Verkehrsunternehmen beschäftigt die Frage, wie sie mehr Bewerberinnen und Bewerber für die Jobs am Steuer, in der Werkstatt oder anderen Bereichen begeistern können. In Esslingen geht man neue Wege.
Am Donnerstag hat die Esslinger Omnibusfirma Fischle Arbeitslose zum Gespräch in den Linienbus eingeladen. Das Fahrzeug parkte vor dem Jobcenter in Esslingen – die Behörde hatte die Aktion gemeinsam mit der Agentur für Arbeit initiiert. Mehr als 60 Männer und Frauen waren in die Pliensauvorstadt gekommen, um sich über die Branche und die Berufe zu informieren. Ein Großteil nutzte im Anschluss die Gelegenheit, um mit Vertretern der Firma Fischle zu sprechen. „Darunter waren viele, die für den Beruf infrage kommen“, sagt deren Betriebsleiter, Ralf Steinmetz.
2500 Stellen sind nicht besetzt
Sein Busunternehmen hat derzeit etwa 15 offene Stellen in der Region Stuttgart, wo 140 Menschen für Fischle arbeiten. Die Busse fahren unter anderem auf Linien im Raum Plochingen. Außerdem gibt es eine Dependance im Kreis Darmstadt. „Wir sind personell nicht schlecht aufgestellt“, sagt Steinmetz, Fischle gehe es in der Hinsicht derzeit besser als so manchem Mitbewerber. „Gleichwohl steht das Problem vor der Tür.“ Der demografische Wandel verschlechtere das Arbeitskräfteangebot, bald gingen zahlreiche Mitarbeiter aus der Babyboomer-Generation in Rente. Während man für die Verkehrswende mehr Personal brauche. Einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge sind bundesweit vier von zehn Bus- und Straßenbahnfahrern älter als 55. Dabei sind schon jetzt in Baden-Württemberg 2500 Stellen nicht besetzt – das sagt Michael Gersch vom Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen. Ihm zufolge habe die Branche ein Imageproblem. Dabei seien die Bedingungen besser als viele dachten, betonen die Branchenvertreter. Bei Fischle, einem tarifgebundenen Unternehmen, liege das Einstiegsgehalt für Berufsanfänger unter den Busfahrern bei etwa 40 000 Euro im Jahr, mit Berufserfahrung seien bis zu 55 000 Euro möglich. Außerdem sei es ein krisensicherer Beruf. Und man habe es zwar auch mal mit schlecht gelaunten Kundinnen und Kunden zu tun – bekomme aber auch oft ein Lächeln geschenkt, ergänzt Gersch.
Diese Argumente haben an diesem Donnerstag in Esslingen einige Männer und wenige Frauen in den Bus gelockt. Unter ihnen Georgios Haralabidis. Der 57-Jährige war 24 Jahre lang Taxifahrer, bis seine Branche infolge der Coronakrise ins Straucheln kam. Dann habe er einen früheren Kollegen getroffen, der in den Öffentlichen Nahverkehr gewechselt habe. „Das ist ein sicherer Job, auch in der Krise“, stellt Haralabidis fest. Er will Busfahrer werden und ist bereits dabei, die nötigen Qualifikationen zu erwerben. Oleksii Dmytrenko war Busfahrer in der Ukraine. Doch in Deutschland kann er nicht ohne weiteres in seinem Beruf weitermachen, seine Fahrerlaubnis wird nicht sofort anerkannt. Und der 45-Jährige braucht neben besseren Sprachkenntnissen eine sogenannte Berufskraftfahrerqualifikation. Diese und weitere Hürden moniert die Branche. So koste ein Busführerschein in Deutschland bis zu 14 000 Euro, weit mehr als anderswo, weil die Zahl an Pflichtstunden höher sei, erklärt Gersch. Um dieses und weitere Themen anzugehen, hat sich in Baden-Württemberg ein Fachkräftebündnis für den öffentlichen Verkehr gebildet, zu dem neben Gerschs Verband und dem Verkehrsministerium auch die Agentur für Arbeit zählt.
Unterstützung durch Agentur für Arbeit und Jobcenter
Initiiert hat das Esslinger Zusammentreffen unter dem Motto „Mit dem Bus zum Job“ das Team rund um Florian Bauer vom gemeinsamen Arbeitgeber-Service der Arbeitsagentur und des Jobcenters. Ziel des Projekts sei, Brücken zu bauen zwischen Betrieben und den eigenen Klientinnen und Klienten. Diese Teilnehmer wurden gezielt danach ausgewählt, ob ein Grundinteresse am Job in einem Busunternehmen besteht. Auch nach der Aktion wollen Agentur für Arbeit und Jobcenter dabei helfen, dass Klienten und Unternehmen zusammen kommen. Beispielsweise mit Finanzierung der Qualifizierungen oder einer Teilübernahme des Gehalts für Arbeitnehmer mit großen Startschwierigkeiten. Zudem möchte das Team um Bauer ähnliche Aktionen für andere Berufsfelder starten.
„So eine Resonanz auf unsere Stellenangebote hatten wir noch nie“, sagt Steinmetz. Er ist guter Dinge, dass die Hälfte derer, die zum Vorgespräch im Bus waren, über kurz oder lang dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und er selbst einen Teil rekrutieren kann. Allerdings lässt es Fischle dabei nicht bewenden. Der Betrieb öffnet seine Türen für andere Interessentinnen und Interessenten zum „Tag des Busses“ am 21. September.
Tag der offenen Tür in der Busbranche
Tag des Busses
Am 21. September präsentiert sich die Verkehrsbranche bundesweit. Um Nachwuchs zu gewinnen, öffnen vor allem Privatunternehmen ihre Betriebshöfe – darunter im Kreis Esslingen tätige Firmen. Bei Fischle in Sirnau (Wolf-Hirth-Straße 4) können Besucher von 10 bis 14 Uhr beispielsweise einen Bus lenken. Schlienz in Kernen öffnet von 10 bis 16 Uhr.
SVE
Der Städtische Verkehrsbetrieb Esslingen (SVE) beteiligt sich nicht am Tag des Busses – man wolle dem privaten Omnibusgewerbe in Esslingen den Vortritt lassen, erläutert Werksleiter Andreas Clemens. Beim SVE sei man derzeit personell gut aufgestellt, mit Blick auf den demografischen Wandel und den ÖPNV-Ausbau brauche man perspektivisch aber auch mehr Personal.