Thomas Hitzlsperger ist Vorstandschef der VfB Stuttgart AG, nun möchte der 38-Jährige auch noch Präsident des VfB Stuttgart e.V. werden. Foto: dpa/Tom Weller

Thomas Hitzlsperger strebt nach der geballten Macht beim VfB Stuttgart. Der AG-Vorstandschef will nun auch Präsident des Vereins VfB Stuttgart werden – und greift Amtsinhaber Claus Vogt massiv an.

Stuttgart - Thomas Hitzlsperger hat seinen Hut für die Präsidentenwahl beim VfB Stuttgart ziemlich überraschend auch noch in den Ring geworfen. Der Vorstandschef der VfB Stuttgart AG tritt damit gegen Amtsinhaber Claus Vogt an, der das Amt seit rund einem Jahr innehat. Alles läuft auf eine Kampfabstimmung zwischen diesen beiden Lagern hinaus, zwischen denen es seit geraumer Zeit im Club schwelt. Die weiteren Kandidaten sind der Remstäler Geschäftsmann Volker Zeh und Friedhild Miller, eine Bewerberin in der Wahl zum Stuttgarter Oberbürgermeister. Der Vereinsbeirat des Fußball-Bundesligisten wählt zwei Bewerber aus, die sich bei der für den 18. März geplanten Mitgliederversammlung zur Wahl stellen. Die Erklärung von Thomas Hitzlsperger zu seiner Kandidatur in Auszügen im Wortlaut.

Thomas Hitzlsperger richtet sich in einem offenen Brief an die VfB-Mitglieder.

„Ich habe am 18. Dezember 2020 beim Vereinsbeirat meine Kandidatur für das Amt des Präsidenten des VfB Stuttgart 1893 e.V. fristgerecht eingereicht. Hinter mir lagen Tage und Nächte des Grübelns und Abwägens: Es waren auch Tage und Nächte vieler Gespräche in unserem Club. Im Einklang mit dem vorgesehenen Prozess wollte ich meine Entscheidung ausschließlich intern halten und erst nach den Gesprächen mit den Mitgliedern des Vereinsbeirats im Januar kommunizieren. Leider wurde meine Kandidatur jetzt jedoch gegen meinen ausdrücklichen Wunsch vorzeitig „durchgesteckt“. Deswegen mache ich sie nun offiziell öffentlich. (...) Ich will Euch die Gründe deshalb erklären. Offen und ehrlich, Euch und auch meinen Mitbewerbern.“

Hitzlsperger verurteilt den Riss, der sich zwischen dem gesamten AG-Vorstand und weiteren Gremienmitgliedern sowie dem Vereinspräsidenten Claus Vogt gebildet hat.

„Der VfB hat sich in den vergangenen Monaten positiv entwickelt. (...) Hinter diesem positiven Bild gibt es jedoch eine Realität, über die ich nicht hinwegsehen kann – und über die ich als Vorstandsvorsitzender auch nicht hinwegsehen darf. Ein tiefer Riss geht durch unseren Club. Dieser Riss gefährdet alles, worauf wir zu Recht stolz sind. Anders als es einigen erscheint, verläuft dieser Riss nicht zwischen e.V. und AG – und nein, dieser Riss ist auch nicht „typisch VfB“. Der Riss verläuft zwischen unserem Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden Claus Vogt auf der einen Seite und dem gesamten Vorstand der AG und zahlreichen Gremienmitgliedern aus Präsidium, Aufsichtsrat und Vereinsbeirat sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf der anderen Seite. Dieser Zustand ist nun endgültig unzumutbar geworden. Es geht hierbei leider – und leider nur unter anderem – auch um Rechtsfragen und die viel zitierte „Corporate Governance“, also um eine transparente, zielgerichtete und risikobewusste Führung der AG und des Vereins. Wenn wir dieses Thema unterschätzen, wird der VfB in mehrfacher Hinsicht teuer dafür bezahlen.“

Hitzlsperger wirft Vereinspräsident Vogt vor, er lasse Sorgfalt bei der Aufarbeitung der Datenaffäre vermissen und wolle sich profilieren.

„Im Verlauf der vergangenen Monate hat sich ein Kreis um den Präsidenten gebildet, der seine Ziele in einer Art und Weise verfolgt, die unserem Club massiv schadet. Der zuletzt öffentlich über Dritte ausgeübte Druck auf die Mitglieder des Vereinsbeirats ist hierfür ein Beispiel. Schwerer wiegt aber der Umgang mit der Datenaffäre. Es war und ist richtig, diese Vorgänge extern und kritisch untersuchen zu lassen. Wenn der VfB Fehler macht, muss er dafür geradestehen. Die externen Prüfer von Esecon machen ihren Job. Gerade wenn man sich Transparenz und Integrität auf die Fahne schreibt, muss aber auch die Aufklärung professionellen und rechtlichen Kriterien entsprechen. Mit der Autorität der Ämter als Präsident und Chef des Aufsichtsrats hat Claus Vogt jedoch eine Beauftragung ohne Ausschreibung, ohne Kostenschätzung und ohne Projektplan durchgedrückt und bei der Projektleitung die nötige Sorgfalt, Kompetenz und Abstimmung vermissen lassen. Die unkontrolliert ausufernden Kosten führten dazu, dass die AG den Verein unterstützen muss, um ihn vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Der Profilierungswunsch eines Einzelnen bedroht so die Existenz des ganzen Vereins.“

Hitzlsperger wirft Präsident Vogt vor, er habe den Club kaum weitergebracht und besitze keine Strategie – das ließe sich aber nicht auf die Corona-Krise schieben.

„Claus Vogt ist mit Zielen und Vorstellungen angetreten, die uns allen wichtig sind. Ein Jahr später ist so gut wie nichts davon umgesetzt. Seien es neue Formen des Fandialogs, die Weiterentwicklung des Breitensportangebotes, das Mittelstandsbündnis, der Expertenrat oder die Frage, wie wir den VfB Stuttgart über sein Kerngeschäft Bundesliga-Fußball hinaus gesellschaftlich positionieren und verankern wollen: Bei keinem dieser Themen, bei denen der Präsident die Führung übernommen hat, gibt es erkennbare Fortschritte. Es tut mir leid, aber das lässt sich nicht auf die Corona-Pandemie schieben. Es war zu keiner Zeit eine Strategie oder Vorgehensweise erkennbar, wie wir gemeinsam den VfB voranbringen wollen, vor allem: Was der Beitrag des Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden sein soll. In der Gremienarbeit verliert er sich in Details, er führt nicht, er informiert zu wenig, er fällt selten Entscheidungen, er pflegt keinen offenen Austausch und keinerlei Streitkultur.“

Hitzlsperger sieht seine Kandidatur als Ausweg aus einer gefährlichen Situation, in der alles kaputt gemacht werden könnte, was in den vergangen zwölf Monaten aufgebaut worden ist.

„Jetzt steht die Wahl des Präsidenten an. Und damit die Entscheidung darüber, ob wir in den kommenden Jahren in dieser Konstellation weitermachen können. Meine Antwort ist eindeutig: Nein. Das bedeutet für mich: Ich kann mich mit meiner Geschichte, meiner Leidenschaft, meiner Verantwortung und in meiner Position jetzt nicht wegducken. Unsere Ämter für den VfB sind kein Selbstzweck. Meine Verpflichtung sehe ich darin, unseren Club in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Damit meine ich, was ich Euch vor einem Jahr in der Schleyerhalle genannt habe: nachhaltigen Erfolg. Unser Erfolg darf keine Momentaufnahme sein. Ungeschminkt: Wir sind auf dem Weg, kaputtzumachen, was wir in den letzten zwölf Monaten erreicht haben! Meine Kandidatur soll ein Ausweg aus dieser Lage sein.“

Hitzlsperger will die aufgerissenen Gräben wieder zuschütten, eine Aufbruchsstimmung erzeugen und damit die Lähmung des Clubs überwinden.

„Ihr kennt mich inzwischen hoffentlich gut genug. Ihr wisst: Ich bin der Letzte, der beim VfB Selbstzufriedenheit und Bequemlichkeit retten und Veränderung unterbinden will. Die AG wird unter meiner Führung derzeit bewusst umstrukturiert. Wir wollen in der Geschäftsstelle eine Aufbruchsstimmung erzeugen und diese aufrechterhalten. In den vergangenen Monaten sind innerhalb des VfB jedoch nicht Gräben zugeschüttet, sondern neue Gräben aufgerissen worden. Unabhängig von unserem derzeitigen sportlichen Erfolg: Dieser Streit lähmt. Diese Lähmung ist gefährlich, gerade in der Krise, in der wir durch Corona stecken. Mit „Wir“ meine ich nicht nur den VfB und den Fußball, ich meine auch unsere Gesellschaft, den gesamten Sport, die Kultur, und viele andere Branchen, die davon leben, dass sich Menschen begegnen. In dieser Situation sollte der Präsident des VfB Stuttgart 1893 e.V. eine Hilfe sein, ein Vorbild, einfach: Der eine Mann mehr!“

Hitzlsperger will den Totalschaden beim VfB abwenden, dass mit seiner Kandidatur ein paar Kratzer im Image des Fußball-Bundesligisten entstehen, nimmt er dabei durchaus in Kauf.

„Ich weiß, welche Risiken mit meinem Schritt verbunden sind. Eine Auseinandersetzung wie diese ist hart und kann dem Image des VfB einen Kratzer zufügen. Einige werden sagen: Typisch VfB, kaum läuft es mal, fallen sie übereinander her. Aber ein Kratzer ist besser als ein Totalschaden. Ein Fußballverein hat keinen Erfolg, wenn seine Funktionäre unterschiedliche Vorstellungen über die Zusammenarbeit und Probleme einfach weglächeln. Für diese Form der Gemütlichkeit bin ich der Falsche. Verantwortung zu übernehmen bedeutet, mit Mut und Tatkraft Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie unbequem sind und man dafür ins Risiko gehen muss. Für den VfB gehe ich jetzt ins Risiko. Weil es sein muss. In meinem Leben und in meiner Karriere gab es Siege und Niederlagen. Aber Wegducken war und ist keine Option.“