Vergangenen Samstag lag dem Filderstädter Amtsblatt Wahlwerbung der AfD bei – wie ist es dazu gekommen? Foto: /Caroline Holowiecki

Ein Parteien-Flugblatt kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar sorgt in Filderstadt für Wirbel. War die Beilage im Amtsblatt der Stadt trotz Karenzzeit erlaubt?

Viele in Filderstadt haben am Wochenende das Amtsblatt, das offizielle Mitteilungsorgan der Stadtverwaltung, aus dem Briefkasten geholt – und dabei ist ihnen ein Flyer des AfD-Kandidaten Christof Deutscher entgegengepurzelt. Stefan Hermann hat sich als Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Gemeinderat offenbar so sehr drüber geärgert, dass er bei Facebook die Beilage des Flugblatts als „rechtswidrig“ bezeichnet und von einer „Grenzüberschreitung“ gesprochen hat. Im sozialen Netzwerk sind die Emotionen danach hochgekocht – in Hunderten Kommentaren.

Für amtliche Druckwerke gibt es die sogenannte Karenzzeit, die besagt, ab wann vor Wahlen keine Wahlwerbung mehr erscheinen darf, um die Neutralität zu wahren. Die Dauer legen die Kommunen selbst im Redaktionsstatut fest, in Filderstadt sind es sechs Wochen. Seit der Ausgabe vom 17. Januar sind hier nur noch reine Terminankündigungen möglich, politische Äußerungen indes nicht. Allerdings, und das ist der Knackpunkt, ist von dieser Regelung der Anzeigenteil ausgeschlossen.


Der Verlag sagt, Wahlanzeigen seien zulässig

Für den ist Nussbaum-Medien verantwortlich, ein Verlag, der mehr als 300 Amtsblätter herausgibt. Online stellt er dar, wie er mit Wahlwerbung umgeht – in Form von Anzeigen und Beilagen. Unter anderem ist festgehalten, dass Wahlanzeigen zulässig seien, sofern „a) die betreffende Anzeige anlässlich einer konkreten Wahl vom Wahlkandidaten selbst oder von der politischen Gruppierung, der der Wahlkandidat angehört, aufgegeben wird, b) die Wahl der Inserenten im Vordergrund steht und c) sich die Anzeige weder gegen die Kommune richtet noch Angriffe gegen Dritte enthält, sich also auf die eigenen Ziele und Vorstellungen der Kandidaten/innen beschränkt“. Bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen lasse man auch isolierte Wahlwerbung der Spitzenkandidaten zu, so der Verlag.

„Dass diese Grundsätze unterschiedslos für Anzeigen aller politischer Parteien gelten, versteht sich von selbst“, heißt es. Dafür setzt es auch Kritik, wie Andreas Tews, einer der Geschäftsführer, sagt. „In Orten mit kostenpflichtigen Amtsblättern kommt es aus diesem Grund sogar immer wieder zu Abo-Kündigungen. Speziell von Abonnenten, die kein Verständnis dafür haben, dass wir AfD-Werbung zulassen.“ Dennoch: Er sei rechtlich verpflichtet, alle Parteien gleich zu behandeln.

Auch im Filderstädter Rathaus hat das AfD-Flugblatt für Wirbel gesorgt. „Es sind viele Nachfragen übers Wochenende eingegangen, die wir versuchen sachlich abzuarbeiten“, sagt der Oberbürgermeister Christoph Traub. Er bestätigt: Grundsätzlich sei die Einlage eines Flyers wie eine Anzeige zu behandeln, allerdings müsse das Papier dann auch genau in diesem Teil des Hefts – also dem Anzeigenteil – eingelegt sein. Das habe im aktuellen Fall allerdings nicht überall geklappt. Warum, das weiß auch Andreas Tews nicht. Die beauftragte Vertriebsorganisation arbeite in Filderstadt mit etwa 75 Zustellern, da sei es in der Praxis nur schwer zu kontrollieren, ob Anweisungen umgesetzt würden.

Im Filderstädter Gemeinderat sollen die Redaktionsstatuten des Amtsblatts jedenfalls demnächst thematisiert und gegebenenfalls überarbeitet werden, kündigt Christoph Traub an. Den Inhalt des umstrittenen Flyers kommentiert der Oberbürgermeister nicht. Das dürfe er gar nicht, denn die Stadt sei verpflichtet, alle zur Wahl zugelassenen Parteien gleich zu behandeln. „Es gibt nur null oder alle.“ Ein Grundsatz, den zuletzt etwa auch Schulen trafen, die politische Podiumsdiskussionen ausgerichtet haben. Der Rathauschef betont: „Wir auf kommunaler Ebene kriegen kein Parteiverbot light durchgesetzt.“

Was hat es mit der Karenzzeit auf sich?

Karenzzeit
 Die Karenzzeit besagt, dass keine Wahlwerbung für eine bestimmte Zeit vor einer Wahl im redaktionellen Teil des Amtsblatts erscheinen darf. In Filderstadt sind das sechs Wochen, in Leinfelden-Echterdingen sind es acht Wochen.

Kritik
 In Leinfelden-Echterdingen gibt es deshalb Aufregung: Einen „Maulkorb“ hat der Stadtrat Jürgen Kemmner (Liste engagierte Bürger/Demokratie in Bewegung) die Karenzzeit in seiner Rede zum Doppelhaushalt 2025/2026 genannt, einen „Maulkorb für das ureigenste Recht aller politisch aktiven Kräfte, meinungsbildend tätig zu werden“: Die Fraktionsgemeinschaft beantragt, das Amtsblatt-Statut zu ändern.

Demokratie
 Da auch alle anderen Kommunen betroffen sind, müsse die Problematik vor den Städtetag gebracht werden. „Die Wurzeln der Demokratie liegen in Städten und Gemeinden“, so Kemmner, „werden diese Wurzeln am Wachsen gehindert, kann ein Baum nicht seine volle Größe erlangen, die nötig ist, um zu leben.“ fri