Ausschnitt aus „Cedille à mine“ Foto: alerie Klaus Braun/Braun-Kubitza

Zerfetzt und wieder zusammengefügt: Die Galerie Braun zeigt Arthur Aeschbachers Collagen aus sieben Jahrzehnten.

Paris war ein Plakat. Ob Jugendstil am Montmartre oder Mai 68 auf den Straßen – der Mythos der Seine-Metropole hat sich immer auch in der Gebrauchsgrafik, die an Wänden oder Litfaßsäulen hing, niedergeschlagen. Und keiner wusste die alltäglichen Bekanntmachungen so sensibel als Stimmungs- und Gedächtnisspeicher zu nutzen wie Arthur Aeschbacher. Als der Künstler 2020 hochbetagt starb, war er einer der letzten aus der Gruppe der „Affichistes“, der Plakatabreißer. Jetzt wäre Aeschbacher 100 geworden, was die Stuttgarter Galerie Braun zum Anlass nimmt, mit Werken aus sieben Jahrzehnten auf sein Schaffen zurückzublicken.

André Breton vermittelt dem jungen Frankoschweizer im Nachkriegs-Paris die erste Ausstellung. Wie der surrealistische Dichter erlebt auch Aeschbacher die Großstadt als Jagdrevier für Bilderjäger. Und seine Collagen haben es verdichtet, dieses urbane Reich der Zeichen. Anfangs arbeitet Aeschbacher eher assoziativ. Werke wie „Fixer Les Rouge Des Vertiges“ (1960) fangen mit ihrem zerrissenen Buntpapier den Charme anarchisch beklebter Bauzäune ein.

Verflossener Zauber

Dann aber hält ein strengerer Formgeist Einzug, der sich auf Ordnung und Schrift konzentriert. Systematisch wird das Zerfetzte nun wieder zusammengesetzt. „Das strukturelles Denken unterscheidet ihn von seinen Zeitgenossen“, sagt Galerie-Inhaber Klaus Braun, der jahrzehntelang Aeschbachers wichtigster Vermittler außerhalb Frankreichs war.

Interessanterweise verstärkt die Beschränkung auf die klare Härte der Buchstaben den verflossenen Zauber des Relikts. Mit etwas Glück erkennt man in den bleiern-stoischen Texttrümmern die Titel vergessener Theaterstücke oder die Reklame eines lange geschlossenen Varietés. Das Papier mancher Collagen sieht aus, als wäre es im Zigarettenrauch eines Existenzialistencafés vergilbt. Geschickt wusste Aeschbacher den erinnerungspoetischen Effekt zu betonen, indem er die ausgeschnittenen Schriften mit dünnflüssiger weißer Farbe überzog. Sinnbild für den Schleier des Vergessens, durch den die vage Ahnung einer großen Zeit ins Heute herüber schimmert.

Dass die Leuchttafeln den papiernen Anschlag verdrängen würden, sah der Fragment-Monteur früh kommen und hatte vorgesorgt. „In seiner Pariser Mansardenwohnung“, erzählt Klaus Braun, „lagerten Tausende historische Plakate, meist von Theatern oder Cabarets.“ Aus diesem Fundus konnte er bis zuletzt schöpfen. Trotz allem erschöpft sich Aeschbachers Œuvre nicht im Rückblick. Mit den knallgelben Bierkartons der Marke Pacífico, die er aus seinem mexikanischen Winterdomizil kannte, entdeckte noch der fast 90-Jährige ein neues Arbeitsmaterial. Vor allem aber staunt man in der schönen Ausstellung bei Braun, wie variantenreich der Grandseigneur der Plakatkunst die Lettern aus dem Umraum isoliert und zur modernen Hieroglyphe verkürzt. Offenbar hat sich der bis zuletzt wache Großstadtgeist auch an den Buchstabenspielen der Graffitiszene ein Beispiel genommen.

Werkphasen – Arthur Aeschbacher Bis 15. April, Galerie Braun, Charlottenplatz 14, Do, Fr 14–18, Sa 11–14 Uhr