Patienten auf dem Land fürchten Unterversorgung. Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Knapp 700 Hausarztstellen im Land unbesetzt: Ärztemangel auf dem Land am Beispiel Bühlerzell. Privat finanzierte medizinische Versorgungszentren könnten möglicherweise künftig die Lücken schließen oder auch Genossenschaftsmodelle.

Liebe Patientinnen und Patienten, unsere Praxis ist geschlossen! Für medizinische Angelegenheiten verweisen wir auf unsere niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen“, informiert ein handgeschriebener Zettel an der Türe der ehemaligen Praxis von Wilfried und Sybille Ziegler in Bühlerzell (Kreis Hall). Nur: Welche niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen in der Umgebung nehmen uns auf? Das fragen sich Bürgerinnen und Bürger der 2000-Seelen-Gemeinde (Kreis Hall).

Seit Monaten machen rund 20 von ihnen in der Bürgerinitiative „Arztstelle Bühlerzell“ auf den Mangel aufmerksam – bisher ohne Erfolg. Verzweiflung, Angst und Sorge vor allem bei älteren Patientinnen und Patienten seien groß, sagt deren Sprecher Josef Hirsch. Etwa bei seiner krebskranken Nachbarin: „Sie hat noch keinen Arzt gefunden, der sie aufnimmt.“ Auch Verbitterung mache sich breit. Wer in einer bestehenden Praxis untergekommen sei, müsse bis zu 30 Kilometer Anfahrt auf sich nehmen. 1983 Unterschriften für den Erhalt der hausärztlichen Versorgung haben der Senior und seine Mitstreiter gesammelt. Die Petition wollen sie im Landtag einreichen.

Run auf Medizinstudienplätze

Beim Besuch von Ute Leidig (Grüne), Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, machten die Bühlerzeller kürzlich ihrem Ärger Luft. „Wir wollen gehört werden!“, skandierten rund 200 Personen in Anlehnung an die Politik des gehört Werdens, die Ministerpräsident Winfried Kretschmann versprochen hat. Wenigstens das. Denn auch die Politikerin Leidig konnte den protestierenden Bürgern keine Abhilfe versprechen. Sie verwies auf die Landarztquote: für die vom Land vergebenen 75 Medizinstudienplätze, haben sich in diesem Jahr fast fünf mal so viele junge Menschen beworben. „Die Landarztquote soll dazu beitragen, die hausärztliche Versorgung gerade auch im ländlichen Raum zu sichern“, ließ Regierungspräsidentin Susanne Bay mitteilen. Die vielen Bewerbungen zeigten, dass ein großes Interesse bestehe, nach dem Studium als Hausärztin oder Hausarzt tätig zu sein.

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Diese Einschätzung können Wilfried und Sybille Ziegler nicht teilen. 34 Jahre lang haben die beiden Mediziner viele Menschen in Bühlerzell betreut. „Wir wussten, dass wir hier keine Reichtümer verdienen können, aber Ellenbogenfreiheit haben.“ Der Arzt räumt derzeit die Praxisräume aus, in den Fluren türmen sich die Umzugskartons. Trotz intensiver Bemühungen sei es nicht gelungen, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden. Der 66-Jährige macht sich keine Illusionen: „Den Hausarzt bisheriger Ausprägung wird es bald nicht mehr geben.“

Die Versäumnisse liegen für Ziegler und Hirsch auch aufseiten der Politik. Der Landarztmangel sei ein Problem mit Ansage. Noch ist der Landkreis Hall mit einem kassenärztlichen Versorgungsgrad von 106 Prozent überversorgt. Doch 40 Prozent der Hausärzte sind über 60 Jahre alt. Seit zehn Jahren befasst sich die kommunale Gesundheitskonferenz im Kreis mit der Überalterung der Ärzte und der drohenden Unterversorgung. Ohne Erfolg, kritisiert Josef Hirsch. Der Kreis Hall betreibt in Crailsheim zwar ein Medizinisches Versorgungszentrum mit zwei Zweigstellen, sieht sich aber nicht imstande, im Bühlertal Abhilfe zu schaffen. „Es ist nicht möglich“, zitiert die örtliche Zeitung Landrat Gerhard Bauer aus der Kreistagssitzung, „wir können uns keine Ärzte backen.“

Wege der Rekrutierung

Zur medizinischen Versorgung auf dem Land werden sich auch privat finanzierte medizinische Versorgungszentren bilden, sagt Wilfried Ziegler voraus: „Die schaffen die Ausrüstung an, stellen Personal ein und kümmern sich um alles.“ Solche wie Voramedic. Auf der Website der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg sucht das Unternehmen aus Celle bereits Fachärzte für Allgemeinmedizin und Innere Medizin in 115 baden-württembergischen Städten und Gemeinden – von Achern bis Wertheim. Hinter Voramedic stehen zwei Mediziner, die eigenen Angaben zufolge bereits 21 hausärztliche Praxen weiterführen. „Wir bieten Ihnen eine angenehme work-life-balance und das zu einem attraktiven Gehalt. Sie kümmern sich nur noch um das Wesentliche – Ihre Patienten -, den Rest übernehmen wir“, wirbt Voramedic um medizinisches Personal für die anvisierten Standorte.

Im Schwäbischen Wald setzen zwölf Gemeinden auf ein Genossenschaftsmodell – der Landarzt als Genosse. Die Kommunen haben sich mit acht Ärztinnen und Ärzten zusammengeschlossen, um junge Mediziner anzustellen. Ein Geschäftsführer soll sich um das Management der angeschlossenen Praxen kümmern. Medwald heißt die neue Genossenschaft, die in anderen Landkreisen zwar Vorbilder besitzt, in ihrer Größe aber landesweit einzigartig ist. Das Land unterstützt und fördert solche Modellprojekte.