Die diesjährige Orgelreihe ist zu Ende: Das Abschlusskonzert mit dem Maulbronner Kammerchor bot ein unvergessliches Erlebnis.
Was war das für ein Konzertbeginn in der voll besetzten Martinskirche. Der Maulbronner Kammerchor war zum Abschlusskonzert der Orgelreihe nach Sindelfingen gekommen und legte mit einer Intensität los, die man stürmisch nennen könnte.
Der Klang war von einer begeisternden Festigkeit, ohne dass die Stimmen hart klangen. Die Balance zwischen den einzelnen Stimmlagen war perfekt. Der Sopran leuchtete und der Bass klang für einen Chor ungewöhnlich samtig, aber präzise. Dirigent Benjamin Hartmann und der Chor hatten offensichtlich intensiv geprobt und vielleicht auch einen guten Tag erwischt.
Mutiger Kammerchor
Unser musikalisches Leben, ob Kirche oder Konzertsaal, entgeht nicht der Gefahr, einem verbleichenden Museum zu ähneln. In vielen Fällen werden immer dieselben Hits gespielt, die zu Recht beliebt sind, aber sich irgendwann abnutzen. Denn sie sind nicht dafür komponiert worden, pausenlos das Publikum zu beglücken. Entsprechend erfrischend war deshalb dieses Konzert, weil der Maulbronner Kammerchor sich mutig an bisher kaum gespielte Literatur gewagt hat.
So wurden die Chorsätze beispielsweise durch zwei überragende Orgel-Solodarbietungen von Mona Hartmann aufgelockert. Sie spielte das lodernde Prélude „Vision in flames“ des Japaners Akira Nishimura und die Tanz-Toccata des Österreichers Anton Heiller. Die Organistin glänzte bei letzterem mit populär klingenden Beat-Rhythmen und einer wunderbaren Mischung aus sportlichem Tempo und eingängigen Klängen.
Stanford, Lidholm, Gardonyi und die Ukrainerin Hawrylez – viele der vom Chor gesungenen Komponisten sind in unserem deutschen Kirchenmusikleben kaum geläufig, was nach diesem Konzert unverständlich scheint. Der Maulbronner Kammerchor interpretierte mit ihnen fast ausschließlich Komponisten, die erst im 20. Jahrhundert gestorben sind. Und ihre Werke strahlten moderne Attraktivität aus.
„Evening Hymn“ als Schlussakkorf
Die Programmauswahl bewies, dass vergleichsweise neue und unbekannte Werke das Publikum keinesfalls befremden müssen. So war die Programmzusammenstellung sowohl intelligent als auch im allerbesten Sinne unterhaltsam. Positive Überraschungen bedeuten immer die Erweckung der Neugier. Bekannter ist hierzulande der ungarische Györgi Ligeti, dessen „Reggel Ejszaka“ durch kecke Intervallsprünge und raffinierte Chromatik eine begeisternde Lebendigkeit erzeugte.
Nach dem schlichten gregorianischen Choral „Da pacem Domine“ zeigte die Komposition „Bogorodite devo“ von Sergei Rachmaninow, dass der gläubige russische Komponist auch mit menschlichen Kehlen fast verführerische Klänge erzeugen kann. Benjamin Britten und Edward Elgar rundeten den international farbigen Eindruck ab. Henry Balfour Gardiners „Evening Hymn“ setzte nach 90 Minuten den Schlussakkord bei diesem Konzerterlebnis.
Woher 500 Stühle nehmen?
Passend zum Motto der diesjährigen Orgelreihe – „100 Jahre evangelisches Gesangbuch“ – lockerte die Liturgin Eva Katharina Kramer-Well die Musikfolge durch Betrachtungen zum Thema Choral und durch Rezitation von Choraltexten auf.
Sindelfingens Bezirkskantor Daniel Tepper zieht nach zwölf Konzerten im Rahmen dieser mittlerweile 33. Auflage der Orgelreihe eine zufriedene Bilanz. „Die Saison ist sehr gut gelaufen“, sagt der Kirchenmusiker. Die Konzerte seien mit im Schnitt rund 300 Gästen konstant gut besucht gewesen. Teilweise habe es auch deutliche Ausreißer nach oben gegeben, so wie etwa bei Teppers Zusammenspiel mit Lukas Hanke (Viola) am 3. August. „Da mussten wir erst einmal überlegen, wo wir für mehr als 500 Leute Stühle herbekommen“, erzählt Tepper.
Die dem Motto geschuldeten fünf Vokalkonzerte prägten die Reihe ebenso wie die beiden Orgel-Soli mit Gastmusikern aus Paris und Rom. Besonderen Anklang fand im Bruckner-Jahr auch das Hörner-Quartett, das damit sowohl den Gusto des Komponisten als auch des Publikums entsprach.
Bruckner steht auch im Mittelpunkt, wenn am 11. Oktober im Rahmen der Reihe „Musik für Sindelfingen“ Dirigent Frieder Bernius mit dem Kammerchor Stuttgart und der Klassischen Philharmonie Stuttgart die Martinskirche beehrt. Möglich wird dies, weil ein gewisser Daniel Tepper im Kammerchor Stuttgart mitsingt.