2,5 Zentimetern pro Stunde – in dieser Geschwindigkeit zogen am Donnerstag elf mit Strom betriebene Hydraulikpressen das Brückenteil an Stahlseilen über die Neckarauen Foto: dpa/Bernd Weißbrod

An der Autobahn A 6 bei Heilbronn-Untereisesheim ist ein gigantisches Bauwerk um 22 Meter auf seine endgültige Position über den Neckarauen verschoben worden.

Heilbronn - So wie man auch die Augen zukneift und einen Punkt an Brücke und Pfeiler fixiert: Wie sich das 48 000 Tonnen schwere und 820 Meter lange Brückenteil an der A6 bei Heilbronn-Untereisesheim nun bewegt, das ist beim besten Willen nicht wahrnehmbar. 2,5 Zentimetern pro Minute – in dieser Geschwindigkeit zogen am Donnerstag elf mit Strom betriebene Hydraulikpressen das Brückenteil an Stahlseilen über die Neckarauen. Und das ist sicherlich nur im Zeitraffer erkennbar. „Ich bin angespannt und aufgeregt, dass das nun funktioniert“, hatte Christine Baur-Fewson, Direktorin der Autobahngesellschaft Südwest am Morgen gesagt. Mit der Brückenverschiebung werde ein „Herzstück“ des sechsspurigen Ausbaus der A 6 zwischen Wiesloch-Rauenberg und dem Weinsberger Kreuz fertig. Das P rojekt mit einer Länge von 47 Kilometern war in öffentlich-privater Partnerschaft an die Projektgesellschaft Via6West – zu der Baufirmen wie Hochtief gehören – vergeben worden.

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Kosten von 1,3 Milliarden Euro

Der auf 30 Jahre angelegte Bau, Betrieb und Erhalt des Projektes kostet 1,3 Milliarden Euro, davon entfallen 600 Millionen auf Baukosten und einer der größten Posten bei diesen Baukosten ist mit 180 Millionen die Neckartalquerung. Aus zwei großen Brückenteilen ist die Querung, die eigentlich 1,3 Kilometer lang ist und auf 99 Pfeilern ruht, zusammengesetzt. Zug um Zug hat man sie bei laufendem Verkehr aus einer „provisorischen Seitenlage“ auf ihre künftige Position gezogen. Jetzt war das letzte und größte Teilstück dran. Für die 140 Mitarbeiter, die bei der Aktion dabei waren, war es ein stolzer Moment, als das Bauwerk mit dem fünffachen Gewicht des Eiffelturms sich in Bewegung setzte. Das sei vermutlich „die größte Querverschiebung überhaupt“ und man schreibe hier „Technikgeschichte“, meint Simon Dany, Geschäftsführer der ViA6West. Und der Polier Udo John sagt: „So etwas werden wir nie wieder erleben.“ Thema Nummer eins für ihn sei aber die Sicherheit der Mitarbeiter.

Neun Vermessungsingenieure überwachen das Geschehen

Wenn das Bauwerk auch computergesteuert gezogen wurde – und bewacht von neun Vermessungsingenieuren – so waren doch Teams von jeweils fünf Arbeitern an jeder der 23 Achsen ganz hautnah am Geschehen dran. „Das ist einerseits Hightech, andererseits aber einfache Handwerkerarbeit“, berichtet Gerald Hauke von der Baufirma Hochtief. So rutscht das Riesenbrückenteil, das zu aller Erschwernis eine leichte Kurve in sich trägt, auf kleineren Teflonplatten über die Gleitachsen. Mit dicken Pinsel werden sie von den Arbeitern noch mit einem Teflonfett bestrichen, damit es besser flutscht. Überdies werden die Platten, sobald sie „überrutscht“ worden sind, hinter der Brücke eingesammelt und vorn wieder verlegt. Manchmal hake so eine Platte, die werde dann mit dem Brecheisen befreit, sagt Hauke.

Wind und Kälte hätten das Verschieben verhindert

Insgesamt zwölf Stunden lang sollte der Verschiebebahnhof dauern, aber eine Verzögerung – so die Bauleitung – wäre auch nicht schlimm. Aus Sicherheitsgründen war ohnehin ein Zeitpuffer eingeplant, denn die Verschiebung sollte bei schönem Wetter stattfinden: bei Windgeschwindigkeiten über 50 Kilometer pro Stunde wäre sie gar nicht möglich gewesen, denn die anmontierte Lärmschutzwand hätte dem Wind eine hohe Angriffsfläche geboten. Auch wären Temperaturen unter minus fünf Grad hinderlich gewesen, in der Kälte wäre das Hydrauliköl zu zähflüssig gewesen. Nach der endgültigen Positionierung erhält das Brückenbauwerk noch eine neue Fahrbahndecke. Dass man die nicht schon zuvor verlegte, hat laut Gerald Hauke einen Grund: bei solch einer Verschiebung um 22 Meter könne sich das Teilstück leicht verziehen, dann hätte man Risse im Asphalt gehabt. Überhaupt muss die Neckarbrücke etwas flexibel sein – in ihrer Gesamtlänge (1,3 Kilometer) kann sich das Beton-und-Stahl-Konstrukt bei Sommerhitze um bis zu 1,95 Meter ausdehnen, auch deshalb hat man sie in zwei Brückenteile angelegt, die eigentliche Neckarbrücke und die jetzt verschobene, längere Vorlandbrücke.

Rund 30 Prozent des Verkehrs entfallen auf Lkw

Die Kraichgau-Autobahn, wie sie früher hieß, war 1967 eröffnet worden und für maximal 60 000 Fahrzeuge ausgelegt. Heute rollen laut Autobahngesellschaft rund 100 000 Fahrzeuge über den Abschnitt zwischen Wiesloch-Rauenberg und dem Weinsberger Kreuz, davon sind 30 Prozent Lastwagen. Die Lkw-Staus hier sind berühmt-berüchtigt, auch am Donnerstag meldete der Rundfunk 13 Kilometer Lkw-Stau auf der A6. Nach fünfeinhalb Jahren Bauzeit könnte die Ausbaustrecke Ende des Sommers freigegeben werden. Alexander Hoffmann von der Firma Hochtief nannte es einen Vorteil der öffentlichen-privaten Partnerschaft, dass bei ihr Termine gut eingehalten werden. Für das Landesverkehrsministerium sagte Staatssekretärin Elke Zimmer, dass die Neckarquerung ein gutes Beispiel sei, wie mit intelligenter Planung ein Brückenbau ohne Sperrungen unter dem „rollenden Rad“ möglich sei: „Wir sind froh über den Ausbau. Er wird die Anwohner der umliegenden Orte vom Ausweichverkehr bei Staus entlasten.“