Im Zuge der laufenden Sanierung gleich umbenennen? Die Ostfilderner SPD-Fraktion hält das für geboten. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Darf die Einkaufsmeile in Nellingen weiter nach Paul von Hindenburg benannt werden, obwohl der eine fragwürdige Rolle in der deutschen Geschichte spielt? Die Ostfilderner SPD sagt Nein.

OstfildernEigentlich hatte Ostfilderns Gemeinderat das Thema vor knapp sieben Jahren ad acta gelegt. Straßennamen, die historisch fragwürdigen Personen gewidmet sind, wolle man kritischer denn je untersuchen, hatte OB Christof Bolay im Juli 2013 nach einer denkwürdigen Entscheidung des Gremiums angekündigt. Damals sprach sich der Gemeinderat mehrheitlich dafür aus, die Ernst-Heinkel-Straße im Scharnhauser Park nicht umzubenennen, obwohl neuere Forschungen ergaben, dass der begnadete Tüftler ein gnadenloser Profiteur des Hitler-Regimes war. Nach den Recherchen des Politikwissenschaftlers Roman Fröhlich war der Flugzeugingenieur Ernst Heinkel einer, der über Leichen ging und in seinen Werken allein im Jahr 1944 mehr als 50 000 Zwangsarbeiter knechtete und in Konzentrationslagern unterbrachte (die EZ berichtete).

Jetzt kocht das Thema wieder hoch. Diesmal geht es um Paul von Hindenburg, den früheren Generalfeldmarschall und Reichstagspräsidenten, dem zu Ehren 1933 die wichtigste Durchgangsstraße in Nellingen benannt worden war. Den Anstoß zu der erneut aufgeflammten Diskussion gab ein Antrag der SPD, den Stadträtin Martina Sandhorst-Schäfer in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats einbrachte. In einer Zeit, in der, 75 Jahre nach Kriegsende, ein Fraktionsvorsitzender einer im Bundestag vertretenen Partei – gemeint ist die AfD – die NS-Zeit als „Vogelschiss in der Geschichte“ bezeichne und Personen, die für unsere Demokratie und Vielfalt einstehen, verbalen und auch tätlichen Angriffen ausgesetzt seien, solle „die Gewöhnung an fragwürdige Straßenbezeichnungen hinterfragt werden“. Die seit Monaten laufende Sanierung der Hindenburgstraße und das 900-jährige Bestehen des Stadtteils Nellingen seien gute Anlässe für eine kritische Auseinandersetzung. Die Namensgebung sei am 2. Mai 1933 erfolgt, begründet Sandhorst-Schäfer ihr Anliegen, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem „Tag von Potsdam“. Am selben Tag sei in Nellingen die heutige Otto-Schuster-Straße in Adolf-Hitler-Straße umbenannt worden.

Frage der historischen Bewertung

Die SPD-Stadträtin verweist auf Städte wie Kiel, Münster und Trier, die mittlerweile in ihrem Stadtbild auf den Namen Hindenburg verzichten. Und sie nennt das Beispiel des Esslinger Gemeinderats, der sich für einen Kompromiss entschieden hatte: In der Hindenburgstraße sollen Hinweisschilder detaillierte Informationen zur Person von Paul von Hindenburg liefern. Darin wird es beispielsweise heißen, dass der frühere Reichspräsident ein „aktiver Wegbereiter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ gewesen sei (siehe Infobox unten).

Sandhorst-Schäfer bezieht sich auf einen Vortrag von Ostfilderns Stadtarchivar Jochen Bender aus dem Jahr 2015, in dem dieser aufzeigte, dass Hindenburg maßgeblich an der Verbreitung der „Dolchstoßlegende“ beteiligt gewesen sei, die die Weimarer Republik schädigte. Zudem werde ihm angekreidet, dass er als Reichstagspräsident seit 1930 mit Notverordnungen und Präsidialkabinetten regierte und damit die Funktion des Parlaments schwächte.

Bender war damals sehr ausführlich auf die Geschichte der Straßennamen in Ostfildern eingegangen und hatte sich dabei, gerade in den kritischen Passagen, um eine differenzierte und ausgewogene Betrachtungsweise bemüht. „Ob eine Hindenburgstraße heute noch akzeptiert werden kann, ist keine Frage der historischen Wahrheit, sondern eine Frage der historischen Bewertung“, sagte der Stadtarchivar in dem Vortrag, der heute noch im Internet nachzulesen ist. Detailliert listet er die von Historikern vorgebrachten Argumente pro und kontra Hindenburg auf.

OB: Name nur noch ein Begriff

Dass das Thema nun wieder aktuell ist, sieht Ostfilderns OB Bolay der neuen Zusammensetzung des Gemeinderats nach den jüngsten Wahlen im Mai 2019 geschuldet. Neue Mandatsträger brächten neue Sichtweisen in die Diskussion. Die Argumentation seiner Parteigenossin kann er nachvollziehen. Doch hält der Rathauschef wie schon im Fall der Ernst-Heinkel-Straße nicht viel von einer Umbenennung der Hindenburgstraße. Denn er glaube, dass sich der Name mittlerweile von der historischen Person gelöst und sich als Begriff eingebürgert habe.

So oder so – man werde den SPD-Antrag im zuständigen Gremium behandeln, sagt der OB. Dazu gehört der Vorschlag von Sandhorst-Schäfer, Opfer oder Gegner des Nationalsozialismus wie Anne Frank, Eugen Bolz oder Georg Elser als neuen Namensgeber zu wählen.