Thomas Reiter arbeitete zwischen 1995 und 1996 auf der „Mir“. Foto: dpa/Yuri Gripas

Vor fast genau 20 Jahren verlassen die letzten Kosmonauten die russische Raumstation – der Koloss hatte Geschichte geschrieben. Thomas Reiter war 177 Tage auf der „Mir“ und hat ein spezielles Souvenir.

Moskau - Der deutsche Astronaut Thomas Reiter hat von seiner Mission auf der russischen Raumstation „Mir“ vor 25 Jahren ein besonderes Souvenir mitgebracht: die Handschuhe des Außeneinsatzes. „Das bedeutet mir sehr viel. Die Handschuhe haben jetzt meine Söhne“, sagte der heute 62-Jährige. Damals seien die Spezialanfertigungen schon drei Mal benutzt gewesen und wären sowieso vernichtet worden.

„Auch unser Kommandant Juri Gidsenko, der vom Flugdirektor die Genehmigung einholte, durfte seine Handschuhe mitnehmen.“ Reiter war 1995/96 rund 177 Tage auf der „Mir“, die 2001 beim kontrollierten Absturz größtenteils in der Atmosphäre verglühte. Ein Datum, das sich jetzt jährt.

Eine Tigerente als Erinnerung

Auch eine kleine Tigerente, die ihm sein Sohn mitgegeben habe, erinnere ihn an den Aufenthalt in dem fliegenden Labor rund 350 Kilometer über der Erde. „Die habe ich ebenso mit dem Bordstempel signiert wie ein paar andere Dinge, die mir meine Familie mitgegeben hatte“, sagte der Raumfahrer.

Der pannenanfällige Vorposten im All wurde am Dienstag vor genau 20 Jahren, am 16. Juni 2000, von den russischen Astronauten Sergej Saletin und Alexander Kaleri verlassen.

Die „Mir“ ruht am Meeresgrund

Eigentlich war Kaleris und Saletins Mission so etwas wie eine Notoperation, um die fliegende Station doch noch zu retten. Etliche Lecks dichteten die beiden Männer während ihrer 72 Tage im All ab. „Was meinen Sie, was das für eine Arbeit war, so ein Riesending wieder flott zu kriegen“, sagte Bordingenieur Kaleri danach. Zu diesem Zeitpunkt war noch offen, ob die „Mir“ etwa zu einem Weltraum-Hotel umgerüstet werden könnte. Doch es fehlten Geldgeber.

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So kam es, wie es wohl kommen musste: Am 16. November 2000 beschloss die Regierung in Moskau, die Raumstation aufzugeben. Am 23. März des darauffolgenden Jahres verglühte das marode Sowjet-Erbe kontrolliert in der Atmosphäre und ging als Trümmerhagel im Südpazifik östlich von Neuseeland nieder. Nach etwa 86 300 Erdumrundungen liegen die Reste der „Mir“ auf dem Meeresgrund.

Ihr Name bedeutet „Frieden“ oder „Welt“

Was von ihr bleibt? Sie gilt als Meilenstein der bemannten Raumfahrt. Ihr Name, der übersetzt „Frieden“ oder „Welt“ bedeutet, steht auch für die Zusammenarbeit der einstigen Konkurrenten im Kalten Krieg: 1995 lässt Russland erstmals US-Astronauten an Bord. Mit diesem Schritt soll nicht zuletzt der Weiterbetrieb der Station finanziell gesichert werden. Noch heute forschen Russen und Amerikaner gemeinsam auf dem Nachfolger der „Mir“, der Internationalen Raumstation ISS.

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Insgesamt mehr als 100 Raumfahrer forschten rund 400 Kilometer über der Erde und mussten dabei auch als Handwerker einspringen. „Leider war es nicht gelungen, andere Länder zur Mitfinanzierung zu bewegen“, sagt Jan Wörner, der Leiter der Europäischen Raumfahrtagentur Esa. Das Ende der „Mir“ sei aber zugleich der Anfang der ISS gewesen.

Die 1986 gestartete „Mir“ sollte die Überlegenheit der Sowjetunion im All beweisen. Der Kreml reagierte damit auf dem verlorenen Wettlauf zum Mond. Das war ein bitterer Schmerz für die Sowjets. Heute gilt die Raumfahrt als eines der wenigen Gebiete, wo Russland und die USA ungeachtet politischer Spannungen noch zusammenarbeiten.

Thomas Reiter war 177 Tage auf der „Mir“

1995/96 arbeitete Thomas Reiter 177 Tage auf der „Mir“. Aus heutiger Sicht sei die Ausstattung schlicht gewesen, meint er. „Man ist durch die ISS ein wenig verwöhnt. Aber damals war man am Ziel seiner Träume, an Bord einer Raumstation – und das war eben die Umgebung, in der man zu leben hatte.“

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Teilweise sei es „richtiges Handwerk“ gewesen. „Wenn ich überlege, welche Reparaturen wir über die Woche zu erledigen hatten, zum Teil mit Lötkolben. Die wissenschaftlichen Experimente wurden aber nicht beeinträchtigt. Für die ISS hat man von der „Mir“ sehr viel gelernt.“

Reiter hofft auf mehr internationale Zusammenarbeit

Das Ende der „Mir“ sei schmerzhaft gewesen, erzählt Reiter. „Der Tag, an dem mein Zuhause für ein halbes Jahr in der Atmosphäre verglühte, war ein trauriger Moment.“ Aber man dürfe nicht vergessen, dass die „Mir“ ursprünglich nur für sechs Jahre im All angelegt war. „Oben war sie letztlich 15 Jahre. Sie war zuletzt in keinem guten Zustand.“

2006 arbeitete Reiter schließlich 166 Tage lang auf der ISS. Er hofft auf eine weitere Zusammenarbeit von Russland, den USA, Europa – und vielleicht China. „Eine solche Kooperation wird immer geprägt von der großen Politik einerseits, aber auch von den Menschen, die tagtäglich in diesem Programm arbeiten. Und auf beiden Seiten gab und gibt es Menschen, die diese Zusammenarbeit wirklich gelebt haben und leben“, sagt er. Europa habe die Vermittlerrolle immer gut gestanden.