Eine Gedenkstelle, wo der 16-Jährige erschossen wurde. (Archivbild) Foto: dpa/Gregor Bauernfeind

Ein Jugendlicher wird von der Polizei erschossen. Der Fall sorgt für viel Bestürzung. Nach einigen Wochen Ermittlungen wird deutlich: Die Vorwürfe gegen den Schützen wiegen schwerer als zunächst angenommen.

Nach den tödlichen Polizeischüssen aus einer Maschinenpistole auf einen 16-Jährigen in Dortmund wird gegen den Schützen weiter wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt. Es wird aber geprüft, ob die Ermittlungen auf den Verdacht des Totschlags ausgeweitet werden. Wie aus einem Bericht des Innenministeriums an den Landtag hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, wird zudem gegen vier weitere Beamtinnen und Beamte ermittelt, die während des umstritten Einsatzes „Waffen oder Einsatzmittel gegen den Jugendlichen eingesetzt haben“.

Die neuen Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt richten sich gegen eine Polizeibeamtin, die Pfefferspray eingesetzt hat sowie gegen eine Polizistin und einen Polizisten, die mit Tasern geschossen hatten. Außerdem gegen den Einsatzleiter wegen Anstiftung zur Körperverletzung. Er hatte den Einsatz von Pfefferspray und Tasern angeordnet. Neu ist auch, dass zwölf Beamtinnen und Beamte an dem Einsatz beteiligt waren, darunter vier in Zivil. Bisher ging man von elf Einsatzkräften aus.

Sechs Schüsse aus der Maschinenpistole

Nach dem umstrittenen Polizeieinsatz am 8. August waren gegen den Polizisten mit der Maschinenpistole zunächst Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Körperverletzung mit Todesfolge im Amt aufgenommen worden.

Die Polizei war an dem Tag zum Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung im Dortmunder Norden gerufen worden, in dem sich der 16-Jährige ein 15 bis 20 Zentimeter langes Messer an den Bauch hielt. Der Einsatz lief zunächst als Suizidversuch. Der unbegleitete minderjährige Flüchtling aus dem Senegal war im April nach Deutschland und erst Tage vor dem Einsatz nach Dortmund gekommen und soll nicht gut Deutsch gesprochen haben. Schließlich kamen Pfefferspray und zwei Taser zum Einsatz, von denen einer traf.

Nach aktuellem Stand lief der 16-Jährige nun mit dem Messer auf die Beamten zu. Der Polizist schoss mit seiner Maschinenpistole sechs Mal. Bisher hieß es, dass fünf Schüsse den Jugendlichen im Gesicht, am Unterarm, in den Bauch und zwei Mal in die Schulter trafen. Der Obduktion zufolge wurde er aber viermal getroffen. Er starb später im Krankenhaus. 

Keine Aufforderung, Messer wegzulegen

Wie aus dem Bericht an den Landtag hervorgeht, hatten die Beamten den Jugendlichen aus dem Senegal auf Deutsch und Spanisch angesprochen. Offenbar hatten sie ihm aber nicht gesagt, dass er das Messer weglegen soll, so der Bericht. Wie es in dem Papier weiter heißt, hatten beide Taser-Schüsse nicht gewirkt. Der erste traf nicht richtig, der zweite hatte den Jugendlichen unter anderem am Glied getroffen. Offenbar aber nur Schmerz ausgelöst und keine weitere Reaktion.

Bislang nicht geklärt sei, wie genau der Jugendliche danach das Messer in der Hand hielt und ob und wie er sich noch fortbewegte. Dieser Punkt ist entscheidend für die Frage, ob der Polizist mit den Schüssen seine Kollegen vor einem Messerangriff gerettet hat.

Mehrere Punkte des Einsatzes sorgten für Kritik. Dabei ging es etwa um die Tatsache, dass die Bodycams der Polizisten nicht eingeschaltet waren. Die Begründung: Das Filmen „höchstpersönlicher Lebenssachverhalte“ bei einem Suizideinsatz ist nicht erlaubt. Und als die Situation kippte, wurde die Lage für die Beamten laut deren Angaben so stressig, dass keiner an die Bodycams dachte. Auch dass mehrere Schüsse aus einer Maschinenpistole auf einen offenbar suizidalen Jugendlichen gefeuert wurden, sorgte für Bestürzung. In NRW gehören seit Juli 2018 zwei MP5 in jedem Funkstreifenwagen zur Ausrüstung. Fragen warf außerdem auf, dass der 16-Jährige kurz vor seinem Tod in einer Psychiatrie gewesen war.

Demonstrationen in Dortund

Teils wurde auch der Vorwurf der Polizeigewalt laut, wobei insbesondere die Tatsache betont wurde, dass die Polizei einen schwarzen Jugendlichen erschoss. In Dortmund gab es Demonstrationen des linken Spektrums und der afrikanischen Community. Laut Staatsanwaltschaft gab es aber keine Hinweise, dass die Hautfarbe bei dem Einsatz eine Rolle gespielt hätte.

Innenminister Herbert Reul (CDU) sieht nach der Ausweitung der Ermittlungen „eine neue Lage“. Das zeige aber auch, dass in dem Fall genau hingeschaut werde, sagte Reul am Donnerstag. Reul betonte, dass es sich bei allen Verfahren um einen Anfangsverdacht handele. Wie er weiter berichtete, sind gegen die Beamten inzwischen auch Disziplinarverfahren eingeleitet worden.