Jamie (Lucas Jade Zumann) kann sich auf Mitbewohnerin Abbie (Greta Gerwig), Mutter Dorothea (Annette Bening), Freundin Julie (Elle Fanning) und Mitbewohner William (Billy Crudup, von links) verlassen. Foto: Splendid Film Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Esslingen - Mike Mills hatte immer schon ein ganz spezielles Verhältnis zu seinen Eltern, die ihn auch als Filmemacher inspirierten: Erst war es das späte Coming-out seines Vaters, das er in seinem hoch gelobten Kinodrama „Beginners“ thematisierte, nun erweist er mit der Familiendramödie „Jahrhundertfrauen“ seiner Mutter die Ehre. Doch es ist nicht nur eine familiäre Nabelschau, die der Regisseur im Sinn hatte. Sein neuer Film erzählt vom Erwachsenwerden Ende der 70er-Jahre, von Menschen, die einen auf diesem Weg begleiten, und er erzählt von einer Zeit, die nicht nur die USA ganz wesentlich verändert hat und von der Mike Mills heute sagt: „Die späten 70er waren der Anfang unserer Gegenwart, und doch lebten die Menschen damals in einer völlig anderen Welt, in der sie nichts von den bevorstehenden Veränderungen ahnten: Ronald Reagan, die Gier nach Reichtum, HIV und Aids, das Internet und seine Folgen, die Anschläge des 11. September 2001 und die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. So gesehen, ist dieser Film wie ein Trauergesang auf eine Zeit und deren Unschuld, zu der wir nie zurückkehren können.“

Starke Frauen und ein guter Mann

Von alledem ahnt der 15-jährige Jamie (Lucas Jade Zumann) noch nichts, auch wenn sein Leben im kalifornischen Santa Barbara anno 1979 nicht ganz so geregelt verläuft wie das vieler seiner Altersgenossen: Sein Vater hat die Familie schon vor Jahren verlassen, seither kümmert sich Dorothea (Annette Bening) allein um ihren Sohn. Sie war schon 40, als sie endlich Mutter wurde, und sie hätte alles dafür getan, einen Ersatzvater für ihn zu finden, doch alle Versuche blieben vergeblich. So versucht Dorothea, für ihren Jungen Mutter und Vater zugleich zu sein. Und sie hat zwei starke Frauen an ihrer Seite, die ihr helfen, dabei Jamie zu einem „guten Mann“ zu machen: die Mieterin Abbie (Greta Gerwig), die sich in der Punkerszene zuhause fühlt und ein Leben abseits aller Konventionen führt. Und die 17-jährige Julie (Elle Fanning), die eigentlich mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen hat und froh ist, bei Jamie und Dorothea ein neues Zuhause gefunden zu haben. Mit ihr verbindet Jamie eine platonische Freundschaft. Dass der Junge gerne mehr von ihr will, macht die Sache nicht gerade einfacher.

So unterschiedlich diese vier auch sein mögen - sie können sich aufeinander verlassen und bleiben einander für immer verbunden. Der einzige Mann im Haus ist der Ex-Hippie William (Billy Crudup), der Jamie immerhin zeigen kann, wie man Autos repariert und das Haus in Schuss hält. So versucht jeder von ihnen, den richtigen Weg für sich und für die anderen zu finden. Doch das ist gar nicht so einfach, wenn man aus unterschiedlichen Generationen kommt, mit unterschiedlichen Lebensentwürfen groß geworden ist und noch nicht einmal weiß, wo der richtige Weg eigentlich verläuft ...

Vieles von dem, was Mike Mills in „Jahrhundertfrauen“ erzählt, hat einen realen Hintergrund. „Ich wurde von einer sehr starken Frau großgezogen“, verrät der Regisseur. „Mein Vater war zwar da, aber irgendwie doch abwesend. Den größten Teil meiner Kindheit in Santa Barbara habe ich mit meiner Mutter und meinen zwei Schwestern verbracht. Seither versuche ich, das Seelenleben der Frauen zu erforschen. Ich habe sie immer studiert, wollte stets von ihnen lernen, auch wenn sie von Natur aus unergründlich und undurchschaubar sind.“ Entsprechend einfühlsam zeichnet Mills seine Figuren, die von einem durchweg starken Darstellerensemble brillant gespielt werden. Jeder bringt seine eigene Perspektive ins Spiel, Jamie und Dorothea zeigen mit ihren Kommentaren, dass man ein und dasselbe ganz unterschiedlich erleben und beurteilen kann. Kein Wunder, dass sich Eltern und ihre Kinder bei aller Liebe manchmal so unglaublich schwer tun miteinander.

Mit Ernsthaftigkeit und trotzdem wohltuend leicht und unterhaltsam erzählt Mike Mills von den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens - und davon, dass Eltern und ihre Kinder auch beim allerbesten Willen manchmal ihre liebe Not haben, einen gemeinsamen Nenner im Leben zu finden.